Kotau vor dem Establishment
Kotau vor dem Establishment

Kotau vor dem Establishment

Wer den Bock zum Gärtner macht, der behauptet, der verwüstete, abgefressene Garten sei beim Bock in den besten Händen. Wer Zentralbankchefs zu Historikern von Finanzkrisen macht, erwartet Erzählungen, wer alles für Finanzkrisen verantwortlich sei – außer den Zentralbanken.

Mervyn King war zehn Jahre lang Chef der britischen Zentralbank und hat dort insgesamt vier Jahrzehnte gearbeitet. King ist ein Künstler. Er schafft es über das Scheitern des Finanzsystems zu schreiben, ohne das staatliche Zentralbanksystem einer kritischen Revision zu unterziehen. Selbst seine treffende toxische Triologie bleibt lediglich ein Feigenblatt, das, um im obigen Bild zu bleiben, wenig später aufgefressen wird: „Der toxische Zusammenhang zwischen Haftungsbegrenzung, Einlagensicherung und letztinstanzlichem Kreditgeber läuft darauf hinaus, dass das Eingehen von Risiken seitens der Banken stark subventioniert wird.“ Die desaströse Trennung von Handeln und Haften, die Risiko schürende Einlagensicherung und die Too Big to Fail Anreize eines Kreditgebers der letzten Instanz sind wissenschaftlich detailliert aufgearbeitet worden. King lotst seine Leser indes zum Fallobst.

Kenner der Österreichischen Schule der Nationalökonomie dürften sich kopfschüttelnd abwenden angesichts der im Plauderton ausgebreiteten neokeynesianisch-neoklassischen Irreführungen:

  • Die Savings glut, also eine vermeintliche Ersparnisschwemme, habe die Zentralbanken zur Zinssenkung genötigt.
  • Die allgemeine Nachfrageschwäche habe die Zentralbanken zu Zinssenkungen gezwungen.
  • Die Free Banking Periode sei eine auf wenige Jahrzehnte begrenzte Misserfolgsgeschichte gewesen.
  • Gold sei tatsächlich ein barbarisches Relikt, wie von Keynes behauptet.
  • Bargeld, so suggeriert King, werde immer nachgefragt werden, und zwar von Kriminellen.
  • Die Befreiung des Kapitalverkehrs in Europa bewertet King als negativ, die Deregulierung pauschal als unschön.

Kein Wort über Vermögenspreisinflation und von Zentralbanken aufgepumpte Kredit- und Derivateblasen, die über den Globus wandern. Kein Wort über die strukturellen Defizite zentralistischer Behörden, ihren systemischen Wissensmangel eingeschlossen. Das wäre angesichts der nicht grundsätzlich verkehrten konservativen Therapie, die King im Rahmen des Systems vorschlägt – mehr Eigenkapital, mehr liquide Vermögenswerte, eine Obergrenze für die Verschuldung von Finanzinstituten – indes unerlässlich. Kein Wort über die automatische Goldbremse im Goldstandard und den tatsächlich steigenden Bargeldgebrauch in Europa. Die Ausführungen zum Free Banking sind eine Frechheit. Führende Forscher wie Selgin und White werden nicht erwähnt.

Unbedarfte Leser werden die in seriösem Ton erzählte Zentralbank-Apologetik als geschichtliche Lehrstunde auffassen. Kings Alchemie dokumentiert wie die Deutungshoheit über das Finanzsystem und die Geschichte von Finanzkrisen aufrechterhalten wird. Ausgerechnet der Finanzbuch Verlag publiziert das Buch des Elder Statesman der überkommenen Finanzwelt mit dem Zitat auf dem Cover „Dieses Buch könnte die Welt retten.“ Gerettet wird allenfalls das Establishment. Einsichten und Hilfe bieten indes vor allem beim Münchener Verlag zuvor erschienene kritische, innovative Publikationen die den offiziösen Narrativ durchbrechen.

Michael von Prollius

Mervyn King: Das Ende der Alchemie. Banken, Geld und die Zukunft der Weltwirtschaft, Finanzbuch Verlag, München 2017, 411 Seiten, 26,99 Euro.