Wie eine fundamentale Finanzkrise entsteht: 1873 – ähnelt 2007
Wie eine fundamentale Finanzkrise entsteht: 1873 – ähnelt 2007

Wie eine fundamentale Finanzkrise entsteht: 1873 – ähnelt 2007

Wie eine fundamentale Finanzkrise entsteht: 1873 – ähnelt 2007

Die deutsche Gründerkrise von 1873 hat Deutschland verändert, vielleicht den Lauf der Welt. Die Reaktionen auf 1873 – und die Entstehung der Finanzkrise, wie Eduard Braun und Florian Follert zeigen – weisen erhebliche Gemeinsamkeiten mit der von 2007 auf.

Die detaillierte Aufarbeitung der Gründerkrise von 1873 zeigt, wenn sie Theorie geleitet ist und derart viel Literatur und Empirie verwendet, dass sie sowohl verbreitet historische als auch vorherrschende aktuelle Auffassungen korrigieren kann. Zugleich wertet sie heterodoxe Sichtweisen auf; hier ist das die Österreichischen Schule der Ökonomik mit ihrer Boom & Bust Theorie (ABCT).

Eine simple und gerade deshalb heute noch gerne bemühte Erklärung für Wirtschaftskrisen lautet: irrationale Überschwänglichkeit – mit anderen Worten Gier, Herdentrieb, Spekulation. Diese Schlagworte sind ähnlich überzeugend, bemerkte der langjährige Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der George Mason University Donald Boudreaux einmal, wie die Feststellung, die Schwerkraft sei verantwortlich für den Tod eines von einem Hochhaus gestoßenen Mannes.

Eduard Braun und Florian Follert haben in ihrem Aufsatz „Fair value accounting and Austrian business cycle theory: what can we learn from the German crisis of 1873?“ eine überzeugendere Beobachtung von Krisenfaktoren getätigt und ein Muster identifiziert, das zu dem ABCT-Modell passt

Wesentliche Erkenntnisse lauten:

  1. Die Liberalisierung des Unternehmensrechts 1870 war nicht die Ursache für die Gründerkrise.
  2. Drei Faktoren wirkten zusammen und können die Krise erklären:
    1. Die Inflation der Geld- und Kreditmenge, vor allem durch französische Reparationszahlungen nach dem verlorenen Krieg 1870/71; das führte in Verbindung mit infolgedessen zu niedrigen Zinsen zu einer Finanzblase.
    2. Die grundlegenden Änderung der Rechnungslegungsvorschriften (Fair-Value-Bilanzierung) bei Abschaffung des staatlichen Konzessions- oder Lizenzsystems; das führte bei einem Börsenboom zu einer Zunahme der Dividendenzahlungen, gezahlt aus Kapital statt realisierten Erträgen.
    3. Massive Fehlinvestitionen verursacht durch Inflation und Niedrigzinsen sowie die Abschaffung des staatlichen Konzessionssystems schufen Anreize, Spekulationsgesellschaften zu gründen, deren Zwecke im Verkauf überbewerteter Aktien bestand; diese mündeten am Ende des Booms notwendigerweise in einem gigantischen Finanzmarktcrash.

Die Analyse ist detailreicher und differenzierter als hier zusammengefasst.

Die historische Parallelen zur globalen Finanzkrise von 2007/08 sind augenfällig. Diese wurde bereits überzeugend ebenfalls mit der ABCT erklärt.

Eine in ihrer Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzende Folge war der Niedergang des klassischen Liberalismus in den deutschsprachigen Ländern – in ökonomischer Hinsicht. Politisch, das ließe sich ergänzen, hatten die Liberalen mit dem Nationalismus der Reichsgründung längst auf das falsche Pferd gesetzt.

Ergänzen ließe sich zudem: Timing is everything! Nicht jeder Sieg, nicht jede Liberalisierung oder besser staatliche Rechtsänderung kommt zur rechten Zeit.

Darlegenswert erscheint im Anschluss an die Untersuchung, ob Interpretation und staatliche Maßnahmen nach 1873 ähnlich schwerwiegende Folgen wie in den 1930er und 2010er Jahren hatten (Große Depression, Große Rezession).

In Anlehnung an Friedrich Hayek gilt, dass unser Geschichtsbild die Gegenwart prägt. Was wäre, wenn dieser Aufsatz knapp 100 Jahre früher entstanden und verstanden worden wäre?