Ordnungskrisen der Moderne
Liberale Perspektiven jenseits der Systemüberdehnung
Working Paper – pdf Version: FFG_Working-Paper_250514_Ordnungskrise
Vorbemerkung: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ — dieser österreichische Satz, geboren aus den Erfahrungen habsburgischer Verwaltungskunst, beschreibt in zugespitzter Form einen Grundzug moderner westlicher Gesellschaften. Trotz funktionierender Institutionen und ungebrochener Alltagstätigkeit mehren sich die Anzeichen, dass die politische und institutionelle Ordnung im Westen schleichend erodiert. Die Stabilität, die nach außen hin noch sichtbar ist, ruht auf zunehmend belasteten Fundamenten.
Der folgende Text ist der Versuch, diese Entwicklungen ordnungspolitisch einzuordnen. Er geht über die klassische Ordnungsökonomik hinaus und nimmt politische, institutionelle und systemische Mechanismen in den Blick. Es geht weder um parteipolitische Positionierung noch um kurzfristige Diagnosen, sondern um die nüchterne Analyse langfristig relevanter Strukturen. Diese Arbeit geschieht aus einer doppelten Motivation: aus analytischer Distanz und aus der Sorge um das Gemeinwesen. Ordnungspolitik bleibt die Kunst der Resilienz-pflege freier Gesellschaften — auch und gerade in Zeiten, in denen Freiheit von vielen selbstverständlich genommen wird.
Berlin, 14. Juni 2025
Michael von Prollius
Aus dem Denkanstoß
Kurzgefasst
Moderne westliche Gesellschaften befinden sich in einer strukturellen Ordnungskrise.
Peter Turchins „Cliodynamics“ – hier „End Times“ (2023) – bietet interessante Ansätze, ist für moderne postindustrielle Systeme jedoch nur bedingt tragfähig.
Neben den klassischen Krisentreibern (Elite-Überproduktion, Volksverarmung, Staatsverschuldung, Elite-Fraktionierung) wirken heute zusätzliche Dynamiken: Technologiedruck, globale Interdependenz, demographische Umkehr und Regelüberdehnung.
Die liberale Ordnung gerät dadurch an mehreren Fronten unter Druck: durch Exekutivdominanz, Rentenökonomien, Diskursverengung und institutionelle Überforderung.
Fünf Szenarien erscheinen betrachtenswert: schleichende Erosion, trabende Krise, galoppierende Eskalation und exogene Kettensäge sowie adaptive Stagnation.
Liberale Ordnungspflege bleibt möglich, erfordert aber strategische Nüchternheit, langfristige Denkarbeit, Prinzipientreue und Netzwerkpflege.
Die entscheidende Aufgabe liegt weniger in kurzfristiger politischer Wirksamkeit als im Aufbau eines belastbaren intellektuellen Fundaments für künftige Ordnungsfenster.