Bürokratie – schleichende Verstaatlichung unseres Lebens
Bürokratie – schleichende Verstaatlichung unseres Lebens

Bürokratie – schleichende Verstaatlichung unseres Lebens

Bürokratie – schleichende Verstaatlichung unseres Lebens

Bürokratie ist weit mehr als Vorschriften und deren teure Bewältigung. Bürokratie ist ein Koordinationsmechanismus für Organisationen und eine Verdrängungskonkurrenz für Märkte und Gesellschaften. Das ist der Grund der „so furchtbar“ gewordenen Verhältnisse.

Ein Kommentar zum NZZ Artikel  vom 11.11.2024 Anatomie der deutschen Bürokratie: Wie ist so furchtbar geworden, was einst als Fortschritt galt?

Bürokratie ist in aller Munde, Bürokratieabbau eine allfällige Forderung. Der Unternehmer Elon Musk soll in der zweiten Amtszeit von Donald Trump den Staatsapparat verschlanken. In Argentinien warb der Ökonom und heutige Präsident Javier Milei mit einer Kettensäge als Symbol für die Durchforstung des Staatsdickichts. Die „Bürokratieentlastungsinitiative“ der deutschen Ampel-Koalition ist wie andere versackt. Warum? Bürokratie ist mehr als eine Vorschriftenflut.

Bereits 1950 kritisierte der leidenschaftliche Wahlschweizer Wilhelm Röpke in seinem von Bundeskanzler Adenauer beauftragten Gutachten einen „Fiskalsozialismus“. Röpke hielt eine Staatsquote von 25% für angemessen und erachtete bereits in der Nachkriegszeit Budgetdefizite und Sozialpolitik sowie künstlich zu niedrige Zinsen als kontraproduktiv für Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft. Seine Forderungen nach Aufgabe von Wohnungszwangswirtschaft und Zurückdrängen des Wohlfahrtsstaates erscheinen aktuell. Röpke führt uns noch heute auf die richtige Spur.

In ordnungsökonomischer Perspektive lassen sich Koordinationsformen unterscheiden. Idealtypisch sind das die dezentrale, bottom-up Marktwirtschaft und die zentralen, top-down Systeme (sozialistische) Planwirtschaft und (faschistische) Organisationswirtschaft. Freie Marktwirtschaft und offene Gesellschaft stehen Formen des extremen Etatismus gegenüber. Mischformen sind durch staatliche Interventionen gekennzeichnet, die sich system- und anreizbedingt ausdehnen.

Entscheidend ist, dass die (staatliche) Bürokratie, auch in ihrer demokratisch-rechtstaatlichen Form, ein eigener, grundlegend anderer Koordinationsmechanismus ist, sich darin von Märkten, Netzwerken, Gesellschaften und Gemeinschaften unterscheidet. Das Kardinalproblem ist die Ausdehnung der Prinzipien der Verwaltung auf die Sphäre der spontanen Ordnung. Warum?

Märkte und Gesellschaften funktionieren nicht wie ein Finanzamt. Bürokratie kann mit einfachen bis komplizierten Sachverhalten umgehen und dazu Sachverständige einbinden, auch aus den eigenen Reihen. Komplizierte Probleme sind beherrschbar, komplexe Probleme sind es nicht. Komplexe dynamische Systeme bestehen aus schwer überschaubaren Feedbackschleifen. Wissen ist per se verstreut und entsteht auf Märkten erst durch ex ante nicht feststehendes Handeln, koordiniert durch das Preissystem. Der Wettbewerb ist ein Entdeckungsverfahren. Disruptive Innovationen plant niemand. Die Bürokratie weiß bereits alles, vermeintlich.

Die Übertragung des ohnehin fast durchweg prekären Expertenwissens auf komplexe Probleme, die Forderung nach Machtworten und Führung in Krisen durch starke Männer und Frauen ist dann ein kategorialer Fehler, wenn die Koordination komplexer Herausforderungen gefragt ist. Nicht Hierarchie und Anweisung, nicht Geld und Gesetze, sondern dezentrale Lösungsfindung in einem Entdeckungsverfahren ist gefragt. Das funktioniert kontraintuitiv im Prozess der Interaktion vieler Menschen, die nicht dasselbe Ziel verfolgen, wie Adam Smith wusste.

Klimawandel, Finanzkrise, Flüchtlingskrise lassen sich nicht als überschaubare Fachthemen organisieren und allein durch Autoritäten beherrschen. Eine Anmaßung von Expertenwissen offenbart in vielen Ländern der Umgang mit der Coronakrise.

Hinzu kommt die Erkenntnis der Public Choice Schule und ihrer Nobelpreisträger: Bürokratie und Regierung verfolgen nicht einfach das Gemeinwohl, sondern ihre persönlichen Interessen und die ihrer Behörden. Bereits die Untersuchung der Kuba-Krise durch Graham T. Allison zeigt zudem, dass Bürokratie und Regierung nicht wie ein Akteur handeln, sondern viele konkurrierende Akteure existieren.

Unterschätzt wird der personale Faktor. Machtpolitik ist ein wesentlicher Teil politischer Alltagsarbeit und der Bürokratie. Henry Mintzberg hat 1990 aufgezeigt, dass Top-Manager den überwiegende Teil ihrer Arbeitszeit nicht mit Strategien, sondern mit Machtpolitik verbringen. Machtpolitik folgt einer anderen Logik, erfordert andere Fähigkeiten, hat andere Auswirkungen und zieht andere Menschen an als Unternehmer und Innovatoren, die sich auf Märkten durchsetzen müssen ohne Hilfe des Staatsapparats.

Fiskalsozialismus ist das Ergebnis eines permanenten Primats von Gesetzen und Geld, von bürokratischer Logik zur Behandlung komplexer Probleme. Symptome sind die permanente Ausgabensteigerung des Staates, eine progressive Sozialisierung der Einkommensverwendung und eine progressive Zuständigkeit für alltägliche Lebensbereiche der Menschen – von der Babyanfangsnahrung über Wohnen, Bildung und Lebensrisiken bis zu Friedhöfen, schließlich Sklerose und Stagnation.

Kann die Bürokratie Terrain zurückgeben und sich selbst schrumpfen?