Das Machtproblem
Die aktuellen Diskussionen um Reformen beinhalten neben Kritik und gelegentlichem Zuspruch vor allem rationale Argumente und Konzepte. Dabei wird m.E. zweierlei missverstanden: 1. Wir haben kein Erkenntnisproblem. 2. Wir haben ein Machtproblem. Das Machtproblem hat verschiedene Facetten – Anreize respektive Interessen und mangelnde Macht, etwas als notwendig erkanntes zu realisieren.
Lassen wir die Politik einmal beiseite, dann können wir das Thema aus der jedermann konkret bekannten Umgebung einer Organisation angehen. Es könnte ein Unternehmen sein oder eine Behörde. Ich greife eine realistische, aber fiktive Handlung auf, die in den USA spielt, im Police Department von Los Angeles. Es geht um die Serie „Bosch“.
Ich finde die dargestellte Rolle der Vorgesetzten mit ihrem Karrierestreben und ihren politischen Ambitionen und „Machenschaften“ bezeichnend und realistisch. Deutlich wird in der ersten Staffel, was nach einem Klischee klingt: Die da oben gewinnen regelmäßig auf dem Rücken von denen da unten.
Die Serie zeigt das Spannungsfeld zwischen Ermittlern, die ihren Job machen wollen, und den Machenschaften der Führungsebene, die oft von politischen und karrieristischen Motiven getrieben ist. Der Realismus kommt dadurch zustande, dass die „Bösen“ in der Serie nicht überzeichnet sind. Sie sind nicht einfach nur korrupt, sondern handeln oft aus eigenem Interesse oder aus politischem Druck. Zwei Beispiele:
Deputy Chief Irvin Irving: Er ist das Paradebeispiel für einen Polizisten, der in der Führungsebene spielt. Sein Ziel ist es nicht unbedingt, die Wahrheit zu finden, sondern seinen eigenen Aufstieg zu sichern. Trotzdem ist er nicht völlig gewissenlos – er hat Prinzipien, aber setzt sie primär dann durch, wenn sie ihm nicht schaden. Als purer politischer Karrierist agiert hingegen Richard „Rick“ O’Shea von der Bezirksstaatsanwaltschaft.
Immer wieder wird Bosch von der Einheit Interne Ermittlungen (IAD) ins Visier genommen – nicht, weil er ein schlechter Cop wäre, sondern weil seine Methoden dem Image der Polizei schaden könnten. Es geht oft nicht um Gerechtigkeit, sondern darum, den „Schein“ zu wahren. Bürokratismus wird bei den Untersuchungen auch deutlich, nämlich das Thematisieren von Regeln, die einem Selbstzweck ähnlich, als Maßstäbe gelten.
„Die da oben gewinnen fast immer“ – Warum ist das so?
Die Serie zeigt, dass das System nicht darauf ausgelegt ist, Gerechtigkeit um jeden Preis zu suchen. Stattdessen gilt:
- Wer politisch geschickt ist, steigt auf.
- Wer unbequem ist (wie Bosch) und fachlich sehr gut, wird eher ausgebremst.
- Die „Machthaber“ sind nicht unbedingt böse, aber sie denken strategisch und nutzen (mitunter rücksichtslos) Gelegenheiten für ihren Vorteil.
Das ist in vielen Bereichen der Realität so. Die Serie zeichnet dieses Bild realistisch, weil sie nicht einfach Schwarz-Weiß-Malerei betreibt. Dabei gilt: Je höher, desto befremdlicher.
Bosch bleibt sich treu – aber das kostet ihn immer wieder einiges. Er wird isoliert, muss gegen das System kämpfen und erkennt, dass seine Gegner nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Büros sitzen. Seine Hartnäckigkeit macht ihn zu einem der letzten „ehrlichen“ Ermittler, aber sie sorgt auch dafür, dass er nie wirklich gewinnt – zumindest nicht im großen System. Später tendiert der Eigenbrödler dazu, sein Handeln in auch dunkle Grauzonen auszudehnen, weil er bürokratisch und machtpolitisch eingeeingt wird.
Zurück zur aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage: In einer Zeit der Konflikte und der Stagnation treten die problematischen Folge politischer Machtspiele stärker zutage. Außerdem stauen sie sich über die Zeit auf. Wenn relevante Probleme nicht mehr angemessen oder gar nicht adressiert werden, kommen Systeme an einen kritischen Punkt. Die Kritiker werden dann zu Feinden des Systems stilisiert. Allerdings sind sie zunächst Symptomträger, versuchen sich als Problemlöser. Sie werden erst später zu Systemgegnern, nicht zuletzt aus guten Gründen. Immer wieder gilt: Je heftiger die Reaktion des Establishments, desto treffender die Kritik.
Mehr dazu, akademisch fundiert, in politikökonomischer Perspektive in meinem Buch „Wirtschaftsfaschismus. Extremer Etatismus in Aktion“ u.a. in dem Kapitel „Herrschaft von Bürokratie und Experten“ ab S. 143.