Eine Hommage auf den Ökonomen und Präsidenten Javier Milei
Wer sich über Milei informieren möchte, hatte es in deutschen Medien und Texten bisher vielfach schwer. Mitunter wurden Vorurteile mit mangelhaften Informationen verbunden. Argentinien ist ein Land das ökonomisch und sozial nicht am Abgrund stand, sondern sich ganz weit unten befand. Armut und Hyperinflation sind nur zwei Stichwörter. Ursache ist eine Jahrzehnte währende verheerende Politik zugunsten weniger und zulasten vieler. Teil dessen sind die die strukturelle Krise verschärfenden Maßnahmen des IWF, insbesondere die höchsten je vergebenen Kredite. Problemverschleppung statt Problemlösung.
Der Realitätscheck wird der negativen medialen Mischung – Milei irre oder gefährlich – nicht gerecht. Bereits jetzt gilt: Die monatliche Inflation ist von 25% auf 3,5% gesunken und verharrt dort. Die Armutsquote sinkt seit dem Frühjahr. Seit Januar 2024 gibt der bislang überschuldete Staat mit bisher unausweichlichem Staatsbankrott weniger aus als er einnimmt. Die Kapitalmärkte anerkennen die positive Entwicklung (Bloomberg). Die Mieten sind nach dem Ende der Mietpreisbremse um 40% real gefallen. Das Immobilienangebot ist in Buenos Aires um 300% gestiegen. Allerdings ist das lediglich ein kleiner Hoffnungsschimmer. Und Milei hat viele Versprechen bisher nicht eingelöst und einige sogar gebrochen. Einen ausgewogenen Bericht bietet Reason. Zu den Herausforderungen siehe zudem Global Americans und Global X und Foreign Affairs. Wie in derartigen Krisen üblich wird der Mangel an Devisenreserven zu einem gravierenden Problem.
Nun gibt es eine Alternative zur mental-medialen Depression. Das gilt sowohl für das Informieren über Javier Milei als auch politisch-ökonomisch mit dem ersten liberal-libertären Staatsoberhaupt weltweit. Allerdings hat auch dieses Buch einen starken Bias. Es ist eine Hommage. Kritik fehlt oder wird einfach als Teil der Persönlichkeit und des Erfolgs aufgelöst. Eine exzentrische Persönlichkeit ist indes nur solange kein Problem, bis sie es wird. Die Einseitigkeit gilt auch für den ökonomischen Optimismus angesichts zahlreicher konkreter administrativer Herausforderungen für die die Österreichische Schule kein Handwerkszeug liefert, nicht liefern kann, wie Ludwig von Mises als Chefökonom Österreichs in der täglichen Arbeitspraxis selbst erlebte, und sie gilt für die in der Hommage alternativlos wirkende politikökonomische Präferenz des Libertarismus. Die rein akademische Betrachtung schwebt über der realpolitischen Lage.
Zugleich erfährt der Leser einiges über die Person, den Lebensweg und den unwahrscheinlichen Erfolg des Ökonomen, der sich vom interventionistischen Neokeynesianer zum minimalstaatlichen Österreicher und philosophischen Anarchokapitalisten entwickelt hat. Milei hat, so eine Botschaft seines wirtschaftspublizistisch ausgezeichneten Essay-Biographen Philipp Bagus, durch ökonomische Vorlesungen in der Öffentlichkeit und wirtschaftspolitische Gespräche mit der Bevölkerung in persönlichen Begegnungen den Diskurs verschoben und die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewonnen. Das ist gelinde gesagt „krass“! Und es ist ein Signal der Hoffnung in politikökonomisch schweren Zeiten in denen Stromlinienförmigkeit im Status quo persönlichen Erfolg verspricht. Zugleich zeigt es wie sehr die vermeintliche politische Mitte sich von der den Problemen der Bevölkerung entfernt hat. Wähler reagieren, nicht nur in Argentinien. Das ändert nichts daran, dass Milei keine wirksame machtpolitische Basis im Alltag hat, was indes nicht thematisiert wird.
Das Buch besteht nach einem Vorwort von Javier Milei, der mit Philipp Bagus u.a. durch ein gemeinsames ökonomische Seminar verbunden ist, aus fünf Kapiteln zur Person Milei, zum Libertarismus, zum Kulturkampf, zur Österreichischen Schule und als kurzer Ausblick zum Vorbild von Mileis Handeln für andere Länder. Milei macht also nur einen Teil des Buches aus. Und die verwickelten Probleme Argentiniens, sowohl ökonomische im Inland und in der Außenwirtschaft sowie beispielsweise vergleichbare Probleme anderer Länder und deren Erfolge und Misserfolge, werden entweder nur gestreift oder ausgelassen. Der Tenor lautet: Weniger Staat, mehr Freiheit, bessere sozioökonomische Lage – gar kein Staat noch besser. Ob es für eine Ära Milei reichen wird, bleibt nach weniger als 1 Jahr Amtszeit nicht zuletzt die Hoffnung des Autors.
Bemerkenswert sind drei Aspekte, die ich nach der Lektüre thematisieren möchte:
- Milei versteht es, komplexe politik-ökonomische Sachverhalte allgemeinverständlich zu vermitteln. Dazu vereinfacht er. Das ist für den politischen Erfolg vermutlich unumgänglich. Der libertäre Katechismus politischer Ökonomie gelangt so in die Masse der Bevölkerung. Das Unmögliche gelingt – ein Dis-Kurs-Wechsel. „Informierte Wut“ der Bürger wird zu einer relevanten Kraft. Der linke Kulturkampf funktionierte mit Vereinfachungen ähnlich, allerdings wird im linken Kulturkampf die Realität von den Füßen auf den Kopf gestellt. Für Menschen, die differenziert denken, ist Vereinfachung, die zu simpel wird, indes zuweilen eine Herausforderung. Und die Probleme Argentiniens werden sich weder politisch ohne tragfähige parteipolitische Mehrheit noch praktisch ohne kompetenten administrativen Unterbau lösen lassen.
- Tabula rasa statt Reformen, auch das ist eine Herausforderung, bereits für klassische Liberale. Das gilt schon deshalb, weil in revolutionären Phasen zumeist die Feinde der Freiheit die Oberhand behalten, die in Machtkämpfen Versierten, diejenigen, die über die Macht- und Gewaltmittel verfügen. Insofern gilt es das Schicksal Argentiniens und Mileis zu beobachten. Problematisch wird es dann, wenn leichtfertig Institutionen zerstört werden, die noch als Schutz gegen Schlimmeres gebraucht werden. Wenn es allerdings so dramatisch, so elend zugeht wie in Argentinien vor Milei, dann hilft wahrscheinlich nur noch eine Radikalkur. 1948 war in Deutschland glücklicherweise ein „wohlmeinender Diktator“ am Werk. Und bisher wurden, soweit aus der Ferne erkennbar, hilfreiche Institutionen nicht zerstört, nur ein paar Ministerien abgeschafft.
- Milei ist ein Unikat. Kopieren lässt er sich nicht. Wer auf die zentralen Probleme in Deutschland und Europa schaut, wird rasch zur Frage gelangen, ob notwendige Reformen durch die bestehenden Führungskräfte und ihren Unterbau ohne substanzielle Veränderungen zu bewältigen sein werden. Die Radikalkur, unter Thatcher als Rosskur bezeichnet, könnte bei aller Schroffheit und Konfrontation ein Fitnessprogramm für eine wieder freie Gesellschaft mündiger Menschen und entmachteter politikökonomischer Strukturen sein. Ausgemacht ist das nicht.
Philipp Bagus: Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg, LMV, München 2024, 260 S., 22,00 Euro.