„Freie Wirtschaft, starker Staat“
„Freie Wirtschaft, starker Staat“

„Freie Wirtschaft, starker Staat“

„Freie Wirtschaft, starker Staat“

„Freie Wirtschaft, starker Staat“ war ein Vortrag, den Alexander Rüstow, im Herbst 1932 auf der Jahresversammlung des Vereins für Sozialpolitik in Dresden hielt. Rüstow kehrte als verfolgter Liberaler aus der Emigration nach Deutschland zurück und erwarb sich als einer der Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft und Vorsitzender der gleichnamigen Aktionsgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland große Verdienste.[1]

Sein Vortrag war eine klare Absage an den Interventionismus der öffentlichen Hand: „Über die Einsicht, dass die gegenwärtige deutsche Krise zu einem erheblichen Teil durch Interventionismus und Subventionismus der öffentlichen Hand verursacht ist, herrscht nachgerade unter den Urteilsfähigen Einigkeit[2]. Für Rüstow lag eindeutig ein Fall von Staatsversagen vor. Damit legte er sich quer zur vorherrschenden Ansicht einer vermeintlich unübersehbaren kapitalistischen Krise.

Alexander Rüstow mit Ehefrau Lorena vor der Abfahrt ins Exil (1933). Quelle: Hellmut HC Rüstow, http://www.ruestow.org/Galerie.htm

Diesen teilweise bemerkenswert aktuellen Befund vertiefte er mit seiner Kritik an der staatlichen Interventionsschraube: Preismanipulationen würden wegen sinkender Preise zum Schutz vor Strukturwandel und zur Sicherung sozialer Besitzstände vorgenommen und sinkende Einkommen durch Zahlungen der Allgemeinheit ausgeglichen.

Besonders harsch urteilte der ursprüngliche Altphilologe über den Siegeszug des Sozialstaats in der Weimarer Republik: „Ich will auch nicht von der Übertreibung dieser sozialen Einstellung reden, von jener Wehleidigkeit, mit der heute fast jeder Interessent erwartet, dass auf jedes Wehwehchen, und sei es noch so klein, sofort von öffentlicher Hand ein möglichst großes Pflaster geklebt wird, ein Pflaster, das letzen Endes aus unserer Haut geschnitten werden muss, man verzeihe das etwas grausame, aber leider zutreffende Bild.“[3]

Die Rede enthält neben der Diagnose, dass der Staat das Schicksal der Wirtschaft ist, auch einen Therapievorschlag. Rüstow plädierte für einen dritten Weg, der zwischen dem Laissez faire des 19. Jahrhunderts und dem Weimarer Interventionismus liegt. Die „reaktionäre“ Wirtschaftspolitik müsse aufgegeben und durch liberale Eingriffe „in Richtung der Marktgesetze“ ersetzt werden, um den neuen Zustand gleichsam schneller herbeizuführen. Wilhelm Röpke sollte später den Begriff „marktkonform“ für Interventionen prägen, die die Preismechanik und damit die Selbststeuerung des Marktes nicht aufheben sollen. Angemerkt sei, dass bis heute unklar ist, was marktkonform konkret bedeutet. Der aus einer unsauberen Methodik hervorgegangene Begriff ist zum Einfallstor für Interventionen geworden.

Rüstows Rede nimmt eine Reihe weiterer Gedanken vorweg, die das Ideengebäude der „Sozialen Marktwirtschaft“ und damit einen gleichsam staatspolitisch geordneten Liberalismus ausmachen sollten:

Rüstow wollte den schwachen Weimarer Staat stärken. Schwach war er – wie heute auch –, weil er allzuständig war, seine Kräfte überspannt hatte und so zur Beute der Interessengruppen wurde. Die Staatsohnmacht könne aber gerade nicht durch weitere Zuständigkeiten oder eine noch umfassendere Planung geheilt werden, wie dies in der totalen Planwirtschaft Russlands angestrebt werde, urteilte der Universalgelehrte, der zeitweise Referent im Reichswirtschaftsministerium gewesen war. Daher lautet die Forderung Rüstows: „Selbstbeschränkung als Grundlage der Selbstbehauptung“. Erst das „Sichbesinnen und Sichzurückziehen des Staates auf sich selber“ schaffte für Rüstow einen starken Staat, der über den Interessen steht.

Rüstow hatte seine von heiterer Zustimmung getragene Rede mit dem Aufruf geschlossen: „Der neue Liberalismus jedenfalls, der heute vertretbar ist, und den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört.“ Parallelen zur Warnung von Walter Eucken, das „Heranwachen des Wirtschaftsstaates“ sei eine schwere Erschütterung, weil der Interventionismus das Preissystem funktionsunfähig macht, sind deutlich erkennbar.

Heute lohnt es sich die Gedanken und Erfahrungen der Gründerväter in Erinnerung zu rufen. Ein konsequenter Liberalismus ist längst bedeutungslos geworden. Ein Staatsliberalismus im Sinne Rüstows mit Kernaufgaben für einen kleinen, kompakten, kompetenten Staatsapparat bei gleichzeitig freier Entfaltung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräfte wäre indes heilsam.

[1] Seine Rede sollte zusammen mit dem zeitgleich publizierten Aufsatz von Walter Eucken „Staatliche Strukturwandlungen und die Krisis des Kapitalismus“ als Gründungsdokumente des Neoliberalismus in die Geschichte eingehen.

[2] Alexander Rüstow: Freie Wirtschaft, starker Staat, in: Deutschland und die Weltkrise. Verhandlungen des Vereins für Sozialpolitik in Dresden 1932, hg. v. Franz Boese, München, Leipzig 1932, 62-69, 62.

[3] Ebenda, 63.

Einen Einstieg in Leben und Werk bietet in kompakter Form mein Alexander Rüstow Brevier.