Lebensanschauungen großer Denker im Zeitablauf
Lebensanschauungen großer Denker im Zeitablauf

Lebensanschauungen großer Denker im Zeitablauf

Lebensanschauungen großer Denker im Zeitablauf

Ein Panorama der Lebensanschauungen herausragender Philosophen hat Rudolf Eucken (1846-1926) im Jahr 1890 publiziert. Der Vater des Ordoliberalen Walter Eucken zeigt drin die Herausforderungen und Errungenschaften auf, deren jeweilige Unzulänglichkeiten Ausgangspunkt für das Weiterdenken wurden, ohne bis zur Jahrhundertwende um 1900 je zu einem Abschluss kommen zu können. Der Literaturnobelpreisträger war weniger ein origineller Denker als ein zeitgemäßer bürgerlicher Erfolgsautor, dessen Werk ich in der 12. Auflage als Kindle Version gelesen habe und hier thematisiere. Das Buch kann uns trotz aller Ferne des Kaiserreichs manches sagen.

Gelesen habe ich „Die Lebensanschauungen der großen Denker“ in der S-Bahn, immer wieder über Wochen hinweg in Abschnitten. In meiner handfesten gedruckten 11. Auflage von 1916 hat der Band immerhin 546 Textseiten. Zunächst fiel mir die andere Sprache und das andere, ausgleichende, zum ganzheitlich-wohlwollenden neigende Denken auf. Euckens Lebensphilosophie hat etwas Therapeutisches, bietet Anküpfungspunkte für unsere psychologisierte, gecoachte Zeit, allerdings aus Bildung schöpfend und von einem christlichen Korsett getragen. Rudolf Euckens Thema ist die Suche der Menschen nach Halt und nach einer übergeordneter Ordnung im Einklang mit dem menschlichen Sein. Wer z.B. astrologisches Interesse hat, findet hier bemerkenswerte philosophische Denkmuster und Formulierungen. Eine Eigenheit Euckens ist es, verschiedene Seiten einer Philosophie zu sehen und darin stets etwas Gutes zu finden, Unzulänglichkeiten als vielfach notwendigerweise inhärent anzuerkennen, zumal nachfolgende Denker darauf reagieren.

Rudolf Eucken gliedert sein Werk in drei Hauptteile:

Das Griechentum mit der Untersuchung der klassischen griechischen Philosophie, insbesondere der Werke von Platon und Aristoteles.

Das Christentum mit der Erforschung der christlichen Philosophie von den Anfängen über Augustinus bis zum Mittelalter.

Die Neuzeit mit der Analyse der philosophischen Strömungen von der Renaissance über die Aufklärung bis hin zu den Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, einschließlich des deutschen Idealismus und des Realismus.

Euckens Ansatz zeichnet sich durch die Verbindung von Philosophiegeschichte mit der Frage nach dem Sinn des Lebens aus. Er betont die Bedeutung der inneren geistigen Entwicklung und des „schöpferischen Aktivismus“ als zentrale Elemente menschlicher Existenz. Das populäre Buch erreichte 18 Auflagen (1922).

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Gestaltung eines glücklichen Lebens ist zeitlos und beschäftigt die Menschen heute. Im Angebot sind unüberschaubare viele Beiträge in Buchform, als YouTube Videos und als Kurse, auch in Form von Reisen und Retreats.

Bereits in der Einleitung stellt der Professor für Philosophie in Jena fest: „Nicht lange kann der Mensch seine Seele verleugnen und ihr Befinden gleichgültig nehmen, seine Innerlichkeit erhält sich bei aller Einschüchterung, sie hört nicht auf, alles Ereignis auf sich zu beziehen und an sich zu messen.“ und fordert eine „Bewegung wider die Entseelung des menschlichen Daseins“. Als Vertreter der Lebensphilosophie konstatierte er das „Verlangen: ein starkes Sehnen nach mehr Glück, nach mehr Entfaltung selbsteignen Lebens, nach einer Umwandlung, Erhöhung, Erneuerung des Menschenwesens.“ und kritisierte an der Aufklärung „Das Zurücktreten der Synthese, die Losreißung der Seele vom All … die Schranken der bloßen Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit“.

Gleichermaßen zeitgebunden wie wieder aktuell erscheint da lebensphilosophische Konzept, demnach nur das Erringen eines geistigen Lebensinhaltes die Menschheit vor dem inneren Zerfall behüten könne. Die dazugehörige Maxime Euckens lautet: „Alle echte Philosophie ist ein Ringen des Ganzen einer Persönlichkeit mit dem Ganzen des Alls“.

In der Zeitenwende mutet schließlich folgende Feststellung nicht völlig fremd an: „Denn über das Ganze des Lebens waltet heute peinlichste Unsicherheit, alte Ideale gerieten ins Wanken, neue aber sind noch nicht zur Genüge herausgebildet; so fehlt unserm Leben ein beherrschender Mittelpunkt, wir werden nach verschiedenen, oft entgegengesetzten Richtungen gezogen und sind wehrlos gegen alles, was gebieterisch auf uns eindringt. Damit verdunkelt sich aller Sinn und Wert des menschlichen Lebens, der Mensch scheint nichtig gegenüber einer, wenn nicht feindlichen, so doch gleichgültigen Welt.“

Es mangelte bei aller Zustimmung nicht an Kritik. Das Buch sei

  • methodisch zu subjektiv, es fehlten Tiefe und Originalität, zumal es
  • deskriptiv statt analytisch konzipiert sei, didaktisch kraftvoll, aber stilistisch mit mangelhafter Präzision, dafür
  • mitunter pathetisch und durch Moralismus gekennzeichnet.

Zudem blende die Konzentration auf sein eigenes Thema – das Lebensproblem, der Frage nach dem Sinn des Lebens und einer guten Lebensführung – wesentliche Aspekte großer Denker aus.

Gerade deshalb war das Buch wahrscheinlich erfolgreich, zeitgemäß, zugänglich für ein breites bildungsaffines Publikum, zudem moralisch und spirituell als wertvoll erachtet. Eucken erging es insofern wie den von ihm beschriebenen Denkern. Es ist frei zugänglich im Projekt Gutenberg – de.

Zum Nachdenken ein Ausspruch von Rudolf Eucken: „ … zerstört das ausschließliche Streben und Jagen nach einer besseren Zukunft nicht alle wahrhaftige Gegenwart?“

Nachtrag

Einzelaspekte wesentlicher Denker im summarischen Überblick

1. Das Griechentum

Hauptdenker:

Platon vertritt eine idealistische Philosophie, in der die Welt der Ideen als die wahre Realität gilt. Der Mensch soll sich durch philosophische Erkenntnis von der vergänglichen Sinneswelt lösen und die ewigen, unveränderlichen Ideen erkennen.

Zentral ist das Streben nach dem „Guten“, das sowohl ethisch als auch metaphysisch die höchste Idee darstellt.

Anders als Platon legt Aristoteles Wert auf die empirische Welt. Er betont die Verbindung von Form (Idee) und Materie in allen Dingen. Für ihn liegt das Glück (Eudaimonia) in der Verwirklichung der eigenen Natur, insbesondere durch die Tugend.

Aristoteles liefert ein umfassendes System, das Wissenschaft, Ethik und Metaphysik integriert.

Epochale Kennzeichen: Die griechische Philosophie prägt das Denken durch eine rationale und systematische Auseinandersetzung mit der Welt. Es werden zentrale Kategorien wie Sein, Wissen, Tugend und Glück entwickelt, die bis in die Neuzeit philosophisch bedeutend bleiben.

Aufgegriffene Probleme: Die Spannung zwischen Idealismus (Platon) und Realismus (Aristoteles) prägt die gesamte Philosophiegeschichte. Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der richtigen Lebensführung bleibt eine Herausforderung für spätere Denker.

 

2. Das Christentum

Hauptdenker:

Augustinus verbindet die Philosophie der Antike mit christlichem Denken. Augustinus sieht die Erlösung und das ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott als das höchste Ziel.

Zentral ist der Glaube an die göttliche Vorsehung und die Abhängigkeit des Menschen von Gottes Gnade.

Thomas von Aquin integriert die Philosophie des Aristoteles mit christlicher Theologie. Thomas sieht Vernunft und Glauben als zwei komplementäre Wege zur Wahrheit.

Er betont die Ordnung der Welt, die auf Gott als höchste Ursache verweist, und die Harmonie zwischen natürlichem und übernatürlichem Wissen.

Epochale Kennzeichen: Das Christentum verschiebt den Fokus vom Menschen und der Welt hin zu Gott und dem Jenseits. Die Lebensführung wird stark von der Idee der Sünde, Gnade und Erlösung geprägt. Die Theologie wird dominierender Rahmen für philosophisches Denken.

Aufgegriffene Probleme: Die Verbindung von Vernunft und Glauben wird bis in die Neuzeit diskutiert. Spätere Denker wie Kant und Hegel setzen sich mit der Frage auseinander, ob religiöse Wahrheiten rational begründet werden können. Die christliche Betonung der Transzendenz wirft Fragen nach der Bedeutung des Irdischen auf, die in der Renaissance eine zentrale Rolle spielen.

 

3. Die Neuzeit

Hauptdenker:

René Descartes führt mit seinem „Cogito ergo sum“ einen radikalen methodischen Zweifel ein. Er sucht eine sichere Grundlage des Wissens im denkenden Subjekt.

Seine dualistische Auffassung (Körper und Geist als getrennte Substanzen) prägt die Philosophie nachhaltig.

Immanuel Kant verbindet Empirismus und Rationalismus, indem er die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis untersucht. Er zeigt, dass der Mensch nicht die Dinge „an sich“ erkennen kann, sondern nur ihre Erscheinungen.

Seine Ethik ist durch den kategorischen Imperativ bestimmt: Der Mensch handelt moralisch, wenn er sich von Vernunftprinzipien leiten lässt.

Hegel entwickelt eine dialektische Philosophie, die Geschichte und Realität als Entwicklungsprozess des Geistes auffasst. Er sieht die Wirklichkeit als Ausdruck eines universalen Geistes, der sich durch Konflikte und Synthesen entfaltet.

Epochale Kennzeichen: Die Neuzeit wendet sich vom Jenseitsgedanken der christlichen Tradition ab und rückt den Menschen und seine Vernunft in den Mittelpunkt. Wissenschaft und Methodik werden zu zentralen Themen der Philosophie, ebenso wie die Frage nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Aufgegriffene Probleme: Die Spannung zwischen Subjektivität (z. B. bei Descartes) und Objektivität (z. B. bei Hegel) bleibt ein zentrales Problem. Die Kritik an metaphysischen Systemen durch Denker wie Nietzsche und die Existenzphilosophen greift die Grundannahmen der Neuzeit auf und transformiert sie weiter.