Lummerland-Ökonomik für die Verteidigung Europas
Herr Tur Tur ist eine freundliche, sanftmütige Gestalt aus Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Er erscheint aus der Ferne riesig groß, doch je näher man ihm kommt, desto kleiner wird er, bis er letztlich eine ganz normale Größe hat – daher nennt man ihn einen Scheinriesen. Dieses Phänomen beruht auf einer optischen Täuschung, die sich umkehrt, wenn sich jemand von ihm entfernt, wodurch er wieder gigantisch wirkt. Später wird er Leuchtturmwärter in Lummerland, weil seine scheinbare Größe aus der Ferne perfekt als lebendiges Leuchtsignal dient.
Die europäische Verteidigung soll durch militärische Aufrüstung verstärkt werden. Nicht nur die militärischen Kapazitäten und Fähigkeiten, sondern auch die fehlende Masse an Rüstungsgütern schwächen sowohl die reale Verteidigungsfähigkeit als auch die Abschreckung. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der geänderten amerikanischen Regierungshaltung unter Präsident Trump, der wie angekündigt mit einem Anruf, den Krieg beendet, hat das Thema zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Zusätzlich haben höchstrangige Vertreter der US-Administration erklärt, dass ein amerikanischer Schutz Europas nicht zuletzt eine freiheitlichere, demokratischere Politik in Deutschland und Europa voraussetzt.
Deutschland und Europa stehen vor einer interessanten Aufgabe. Geld kann man bekanntlich nur einmal ausgeben. Und alle europäischen Staaten haben mehr Geld ausgegeben als sie besitzen und ihren Bevölkerungen bereits erhebliche Schulden aufgebürdet. Die Staatverschuldung im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung beträgt in den großen europäischen Staaten für Polen 52% und Deutschland 62% über Spanien mit mehr als einer Jahreswirtschaftsleistung (105%) bis zu Frankreich 112% und Italien 137% (Statista).
Die Auswirkungen der Ökonomien „sozialer Gerechtigkeit“ machen sich seit über 20 Jahren auf zweierlei Weise bemerkbar: Geldentwertung und geringes Wirtschaftswachstum. Hinzu kommt eine mangelhafte Produktivitätsentwicklung, die viel über die weitere Entwicklung aussagt. Während die Zukunft wirtschaftlicher Wohlfahrt überwiegend außerhalb Europas liegt, können sich die europäischen Entscheidungsträger immerhin auf beide Schultern klopfen: Ihre Politik ist „sozial gerechter“ und sie haben für Menschen mit ökonomischem Verstand das geliefert, was sie versprochen haben. Ein früherer regierender Bürgermeister von Berlin brachte das fröhlich feiernd auf den Punkt: „arm, aber sexy“.
Nun gibt es einen weiteren Vorschlag, der mit einer gewissen Begeisterung verbreitet wurde, weil er beide Probleme zugleich zu lösen verspricht: Verteidigung durch Rüstung stärken und Wohlstand erhöhen. Er stammt von einem Wirtschaftsinstitut aus dem hohen Norden Deutschlands. Der Autor des Berichts ist Professor an der London School of Economics dessen Pape auf beeindruckende Weise eingeordnet wird, nämlich als „Synthese von Studien aus den Bereichen Ökonomie einschließlich Produktivitätstheorie, Finanzwissenschaft, Sicherheitspolitik, Friedensforschung und Wirtschaftsgeschichte, die von den Konflikten des 19. Jahrhunderts bis zu den US-Kriegen in Afghanistan und im Irak reichen.“ (Link) Die Prognose lautet: BIP-Wachstum von 0,9 bis 1,5 Prozent pro Jahr für steigende Militärausgaben der EU-Staaten von 2 auf 3,5 Prozent des BIP und Kauf europäischer Waffen.
Zudem wird in der führenden Wirtschaftszeitung Deutschland, dem Handelsblatt, auf Berechnungen einer großen internationalen Unternehmensberatung hingewiesen, die eine Wertschöpfung von 46 Mrd. Euro durch Steigerung der Rüstungsausgaben von 2 auf 3 Prozent des BIP der europäischen NATO-Staaten prognostizieren und ein BIP-Wachstum von 0,66 Prozent begleitet von 660.000 neuen Arbeitsplätzen.
Zwei Mal ökonomisches Win-Win. Und es scheint einen Ausweg aus der Misere zu geben, denn das Vorhaben finanziert sich scheinbar von selbst.
Wer diese politische Ökonomie mit weniger Abstand betrachtet, wird feststellen, dass die Idee der „Wilden 13“ eine ähnliche Faszination und Ausstrahlungskraft besitzt. In Jim Knopf und die Wilde 13 benutzten die Piraten ein geheimnisvolles, selbstfahrendes Transportmittel, das Perpetuum Mobile. Es bewegt sich endlos fort, ohne dass es jemals angehalten oder betankt werden musste.
Zu wahrer Meisterschaft haben es diesbezüglich die Herrscher in der deutschen Geschichte gebracht, deren Namen man nicht nennt. Die Rüstungspolitik sorgte maßgeblich dafür, dass 1936 im Vergleich zu 1932 die Staatsausgaben um 130 Prozent gestiegen waren, die Rüstung fast 60 Prozent der Staatsausgaben ausmachte, das BSP pro Jahr um fast 10 Prozent und insgesamt um 43 Prozent emporgeschnellt war und der Produktionsindex von Industrie und Handwerk um sage und schreibe 17,2 Prozent pro Jahr stieg. Leider gab es eine betrübliche Nachricht für die Verbraucher, deren Konsum nur um 3,6 Prozent jährlich wuchs, während sich zugleich die Qualität der Produkte zusehend verschlechterte. Die Auswirkung auf die Wohlfahrt der Bevölkerung lässt sich an einem bedeutenden Indikator ablesen: dem Gewicht der Neugeborenen, das nahm ab. (Link, Link)
Der Rüstungsboom wurde noch bis 1944 auf die Spitze getrieben. 1946 konnte bilanzierend auch die Währung als Indikator für die Wohlfahrtsentwicklung herangezogen werden. Die Verschuldungsbremse war spätesten 1939 mit der Entlassung der kompletten Führung der Reichsbank gelöst worden. 1946 betrug der Wochenverdienst eines Bergarbeiters 60 Reichsmark. Ein Huhn, das in derselben Zeit 4 Eier legte, kurbelte das Wirtschaftswachstum stärker an, da seine 4 Eier in 20 Zigaretten und diese in 160 Reichsmark getauscht werden konnten.