Mythos Lettow-Vorbeck
Mythos Lettow-Vorbeck

Mythos Lettow-Vorbeck

Mythos Lettow-Vorbeck

Eine Demontage des Mythos Lettow-Vorbeck hat der deutsche Historiker Eckard Michels mit seiner (ausgezeichneten) Habilitationsschrift bereits 2008 vorgelegt. Dessen autobiographische Schriften legten Zeugnis ab von einer „zutiefst antidemokratischen, nationalistischen, rassistischen und Krieg wie Kolonialzeit verherrlichenden Einstellung … bei gleichzeitiger erschreckender politischer Naivität und militärischer Einseitigkeit.“ (S. 343)

Ich bewerte das wesentliche Ergebnis als Stärke und Schwäche der Biographie zugleich.

Stärke, weil erstens deutlich wird, dass Lettow-Vorbeck mit seiner Kriegführung massenhaftes Elend der ostafrikanischen Bevölkerung in Kauf nahm, weil dieser zweitens keinen genialen Guerillakrieg führte, sondern mit einer Kilometer langen Kolonne durch den Busch zog und das Land wie im 30jährigen Krieg verheerte, dabei Gefechte weitgehend vermied, drittens weil der Mythos des unbesiegten preußischen Vorzeigeoffiziers aufgrund günstiger Umstände (für diesen Ruf) konstruiert und über Jahrzehnte perpetuiert werden konnte.

Schwäche, weil ich bei der Lektüre den Eindruck gewonnen habe, dass regelmäßig moralisierende Bewertungen eines Historikers aus der Lehnstuhlperspektive der Bundesrepublik Deutschland nach dem (vermeintlichen) Ende der Geschichte den Blick auf die Eigenheiten der damaligen Welt verstellen, weil das Gespür oder Verständnis für die militärische Haltung der damaligen Zeit fehlt oder durch (gerechtfertigte) ablehnende Bewertungen mit heutigen Maßstäben den Leser irritiert. Beobachtungen und Rekonstruktionen hätten besser von Bewertungen getrennt werden können. Zur politisch-wertemäßigen Positionierung der Bundeswehr passt die Schrift indes ideal.

Teilweise nichtexistierende Quellen spielen möglicherweise eine Rolle, wenn der Leser im ersten Teil wenig über die Person Lettow-Vorbeck erfährt, das über militärische Standards oder Pauschalitäten der Zeit hinausreicht. Deutlich wird für den nachdenklichen Leser im Subtext und einer Gesamtschau über die Zeiten von Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Bundesrepublik Deutschland hinweg wie sehr Interessengruppen in ihren eigenen Welten leben und diese gestalten genauso wie die Tatsache, dass Politik u.a. vor der Herausforderung steht, diese Gruppen in einer friedlichen Koexistenz zu halten.

Sehr anschaulich tritt der Konstruktivismus hervor, der sich aus einer lediglich vierjährigen Kolonial(kriegs)zeit von Lettow-Vorbeck in Ostafrika bei gleichzeitig begrenztem Wissen über die Geschehnisse der Reichskriegsleitung und aller Zeitgenossen sowie einer international geteilten damals positiven Haltung zum Kolonialismus speist. Dementsprechend günstig verlief das lange Leben Lettow-Vorbecks (1870-1964) nach dem Ende seiner Militärkarriere im Alter von nur 50 Jahren durch lukrative Positionen in Unternehmen und eine rege Vortragstätigkeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sowie die Anerkennung seiner früheren Gegner darüber hinaus.

Eckard Michels: „Der Held von Deutsch-Ostafrika“. Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn u.a. 2008, 435 S., 56,00 Euro.