Österreichische Terrassengespräche in Berlin – große Geister äußern sich zur Staatsfrage
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Die wenigen Kuchenreste wurden zusammen mit dem Fürstenberger Service abgeräumt. Einige große Geister zünden sich eine Zigarette oder ein Zigarillo an. Eine Pfeife lag auf dem Tisch. Die Nachfrage nach Cognac und Sherry stieg.
Anthony de Jasay nahm den Diskussionsfaden als erster auf: „Aus meiner Sicht ist die grundlegende Ursache der aktuellen Krise die inhärente Tendenz des Staates, seine Macht auszuweiten. Der Staat agiert nicht, wie oft angenommen, als neutraler Schiedsrichter, sondern als eigenständiger Akteur mit eigenen Interessen. Die zunehmende Regulierung, Besteuerung und Umverteilung sind nicht das Ergebnis wohlüberlegter Politik, sondern die natürliche Folge eines Systems, in dem politische Entscheidungsträger Anreize haben, ihre Macht zu maximieren. Die Krise ist letztlich eine Krise der politischen Ordnung selbst.“
„Ich würde diesen Punkt gerne vertiefen und zuvor noch einen Schlenker zu einem Thema machen, das weltweit Aufmerksamkeit erregt, die Rückkehr protektionistischer Handelspolitik und neomerkantilistischer Ideen. Wie bewerten Sie diesen Trend, meine Herren?“ bemerkte ich während sich Hayek neben mit seine Pfeife gestopft hatte.
Hayek ergriff das Wort: „Die Rückkehr zum Merkantilismus ist ein alarmierendes Zeichen dafür, wie schnell hart erkämpftes Wissen verloren gehen kann. Die Vorstellung, dass eine Nation durch Handelsbeschränkungen wohlhabender werden könnte, wurde bereits von Adam Smith vor mehr als zwei Jahrhunderten widerlegt. Zölle und Handelsbarrieren verhindern die internationale Arbeitsteilung, die eine wesentliche Quelle des Wohlstands ist. Sie schützen nicht die heimische Wirtschaft, sondern privilegierte Interessen auf Kosten der breiten Bevölkerung. Was wir heute erleben, ist ein gefährlicher Rückschritt in ein vorwissenschaftliches ökonomisches Denken.“
Mises knüpfte daran an: „Der Neomerkantilismus ist nichts anderes als eine Spielart des Interventionismus, den ich so entschieden kritisiert habe. Jede Intervention erzeugt Ungleichgewichte, die dann weitere Interventionen nach sich ziehen. Zölle schützen bestimmte Industrien, erhöhen aber die Kosten für alle anderen Sektoren, was nach weiteren Eingriffen ruft. Letztendlich führt dieser Weg zu einem umfassenden System der Wirtschaftsplanung – zum Sozialismus, nicht durch Revolution, sondern auf dem Weg der schrittweisen Intervention.“
Und Hazlitt klopfte auf sein Buch „Economics in one lesson“: „Hier sehen wir wieder das Grundprinzip, das ich immer betont habe: Die Politiker achten nur auf die sichtbaren Effekte – die „geretteten“ Arbeitsplätze in geschützten Industrien – und ignorieren die unsichtbaren Kosten für Verbraucher und andere Industrien. Ein Zoll auf Stahl mag den Stahlarbeitern helfen, schädigt aber alle Industrien, die Stahl als Input verwenden, und reduziert deren Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Das Ergebnis ist nicht mehr, sondern weniger Wohlstand für die Gesellschaft insgesamt.“
Thomas Sowell nickte und ergänzte: „Die neomerkantilistische Politik ignoriert ein grundlegendes ökonomisches Prinzip: Handel ist keine Nullsumme. Wenn ein Land mehr exportiert als importiert, bedeutet das nicht automatisch, dass es „gewinnt“. Der Zweck von Exporten ist es, Importe zu finanzieren – Dinge zu kaufen, die wir entweder nicht produzieren können oder die im Ausland billiger hergestellt werden können. Die Idee, dass ein Land durch Handelsbeschränkungen wohlhabender werden kann, ist ein Beispiel für das, was ich als Unterschied zwischen Intellekt und Weisheit beschrieben habe – die Fähigkeit hochgebildeter Menschen, Ideen zu vertreten, die einer grundlegenden logischen Prüfung nicht standhalten.“
Ungeduldig rutsche Murray Rothbard auf seinem Stuhl hin und her: „Lasst uns einen Schritt zurücktreten und fragen, wem diese protektionistische Politik tatsächlich nutzt. Nicht dem durchschnittlichen Bürger, der höhere Preise zahlen muss, sondern politisch vernetzten Industriellen und Gewerkschaften, die vor Wettbewerb geschützt werden wollen. Die neomerkantilistische Politik ist ein klassisches Beispiel für das, was ich als „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ bezeichnet habe – ein System, in dem der Staat genutzt wird, um private Interessen auf Kosten der Allgemeinheit zu fördern. Es ist eine Form des Korporatismus, die dem freien Markt diametral entgegensteht.“
„Damit schließt sich der Kreis.“ urteilte Anthony de Jasay und fuhr fort: „Der Neomerkantilismus illustriert perfekt meine These über den Staat als eigenständigen Akteur. Politiker profitieren davon, wenn sie bestimmten Gruppen konzentrierte Vorteile verschaffen können, während die Kosten diffus auf die gesamte Bevölkerung verteilt werden. Die Zollpolitik erlaubt es ihnen, sich als „Beschützer“ der heimischen Industrie zu inszenieren und politische Unterstützung zu gewinnen. Die breitere Bevölkerung, die die Kosten trägt, ist zu schlecht organisiert, um effektiven Widerstand zu leisten. Dies ist ein Musterbeispiel für die verzerrten Anreize, die in demokratischen Systemen wirken.“
„Was tun?“ warf ich ein. „Ein interessantes Phänomen unserer Zeit sind Versuche radikaler Staatsreformen, wie sie etwa von Persönlichkeiten wie Javier Milei in Argentinien oder mit anderem Impetus von Elon Musk in den USA vorangetrieben werden. Wie bewerten Sie solche Ansätze?“ und warf erneute Hayek einen Blick zu.
Hayek urteilte: „Diese Reformversuche sind verständliche Reaktionen auf das Versagen des interventionistischen Staates. Allerdings möchte ich zur Vorsicht mahnen: Auch der Abbau von Staatsstrukturen erfordert einen evolutionären, schrittweisen Ansatz. Was ich in „Die Verfassung der Freiheit“ dargelegt habe, gilt auch hier: Institutionen müssen sich entwickeln können, und selbst beim Rückbau des Staates müssen wir das verteilte Wissen der Gesellschaft respektieren. Die größte Gefahr besteht darin, dass radikale Reformer dem gleichen konstruktivistischen Irrtum verfallen wie die Interventionisten – dem Glauben, komplexe gesellschaftliche Ordnungen nach einem rationalen Plan umgestalten zu können.“
Ludwig von Mises drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus: „Ich begrüße jeden ernsthaften Versuch, den Staatsapparat zurückzudrängen. Allerdings besteht die größte Herausforderung darin, dass der Interventionismus eine innere Logik entwickelt hat. Jeder Eingriff erzeugt Probleme, die dann weitere Eingriffe zu rechtfertigen scheinen. Dieser Teufelskreis kann nicht einfach durch den Austausch des Personals durchbrochen werden. Was wir brauchen, ist ein fundamentales Umdenken in der Bevölkerung selbst – ein Verständnis dafür, dass wirtschaftliche Freiheit die Grundlage jeder anderen Freiheit ist.“
Murray Rothbards Augen funkelten: „Was Milei und ähnliche Reformer versuchen, ist zwar lobenswert, bleibt aber hinter dem zurück, was wirklich notwendig wäre. Das Problem ist nicht nur die Größe des Staates, sondern seine bloße Existenz als Monopolist der Gewalt. Solange wir akzeptieren, dass der Staat ein legitimes Monopol auf Zwang hat, werden wir immer wieder mit dem gleichen Problem konfrontiert sein: Der Staat wird wachsen, weil er kann. Die einzige konsequente Lösung ist die, die ich in „For a New Liberty“ skizziert habe: die vollständige Privatisierung aller staatlichen Funktionen, einschließlich Rechtsprechung und Sicherheit.“
Henry Hazlitt äußerte nachdenklich, in einer Art Mischung aus Aufmunterung und Pessimismus: „Die Reformversuche, die wir heute sehen, sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Doch wir sollten nicht vergessen, dass die öffentliche Meinung letztlich entscheidend ist. Solange die meisten Menschen glauben, dass der Staat für ihr Wohlergehen sorgen sollte, werden politische Reformen bestenfalls vorübergehend sein. Deshalb habe ich mein Leben der ökonomischen Bildung gewidmet. Nur wenn die Mehrheit versteht, dass wirtschaftliche Freiheit zu allgemeinem Wohlstand führt, können Reformen nachhaltig sein.“
Daran knüpfte Thomas Sowell an, der zurückgelehnt in die Runde blickte: „Die Versuche von Persönlichkeiten wie Milei, den Staat zu reformieren, stoßen auf ein fundamentales Problem: Die politischen Anreize belohnen kurzfristige Wohltaten auf Kosten langfristiger wirtschaftlicher Gesundheit. Diese Reformer kämpfen nicht nur gegen eingesessene Interessen, sondern gegen die menschliche Tendenz, unmittelbare Vorteile gegenüber langfristigen Gewinnen zu bevorzugen. Was wir brauchen, sind institutionelle Reformen, die die politischen Anreize verändern – etwa verfassungsmäßige Ausgabengrenzen oder Steuerbegrenzungen, die nicht leicht umgangen werden können.“
„Liebe Mitstreiter“ bemerkte Anthony de Jasay „Was Milei und ähnliche Reformer interessant macht, ist ihr Verständnis dafür, dass der Staat nicht einfach ein neutrales Werkzeug ist, das zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden kann. Sie erkennen, dass der Staat eine Eigendynamik entwickelt hat und dass bloße inkrementelle Reformen unzureichend sind. Die Frage ist jedoch: Kann der Staatsapparat wirklich von innen heraus reformiert werden? Meine Analyse in „Der Staat“ legt nahe, dass dies äußerst schwierig ist. Der Staat hat starke Selbsterhaltungsmechanismen entwickelt. Ein wirklich radikaler Ansatz würde erfordern, die Macht des Staates institutionell so zu begrenzen, dass er nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Expansion zu betreiben – eine Aufgabe, die paradoxerweise staatliche Macht voraussetzt.“
Inzwischen war die Sonne untergegangen und das Licht wurde milder.