Rüstung – Wachstum – Wohlfahrt
Das Beispiel des deutschen Wirtschaftsfaschismus
Die Nationalsozialisten entfachten einen enormen Rüstungsboom mit außerordentlichen Wachstumszahlen. Eine Hochkonjunktur folgte der Weltwirtschaftskrise. Facharbeiter und Rohstoffe wurden knapp. Die Rüstungspolitik wurde durch Kredite finanziert; eine dafür geschaffene Sondergesellschaft trug anfangs zur Finanzierung erheblich bei.
Die Rüstungspolitik zog grundlegende Produktionsverschiebungen nach sich, wie der Anteil der Rüstung am öffentlichen Verbrauch verdeutlicht, der bereits 1936 sage und schreibe 58,2% betrug. 1932 waren es noch gut 6% gewesen.[i]
Der Anteil der kurzfristigen Schulden stieg rasant an. Binnen 5 Jahren sorgten insbesondere die Mefo-Wechsel der Metallurgischen Forschungsanstalt m.b.H., die von Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht initiiert worden war, für eine Versechsfachung auf 18 Mrd. RM.[ii]
Das Wirtschaftsentwicklung sah in Friedenszeiten volkswirtschaftlich nach einem enormen Erfolg aus: Bereits binnen vier Jahren (1932-1936) wuchs des BSP um 43%, das sind 9,5% pro Jahr, der Produktionsindex von Industrie und Handwerk stieg um 88% (17,2% p.a.), nur der Privatkonsum blieb auf der Strecke mit lediglich 3,6% pro Jahr (immerhin 16 % Wachstum binnen vier Jahren).[iii] Zugleich sanken die realen Stundenlöhne. Konsumgüter wie Bekleidung verteuerten sich erheblich. Bei der Ernährung wurde eine Fettlücke (u.a. Butter) beklagt und nie geschlossen. Die Bauern wurden vom Regime bessergestellt, die Konsumenten hatten das Nachsehen durch Preiserhöhungen. Auch die Investitionstätigkeit der Industrie bliebe bereits für zeitgenössische Beobachter bemerkenswert gering. Man traute der künstlichen Staatsnachfrage nicht und wollte keine Überkapazitäten aufbauen. Tatsächlich wurde lediglich eine Staatskonjunktur entfacht.[iv]
Die rüstungsbedingte Verschuldung des Reiches führte zu einer Ausweitung der Geldmenge, die wie bereits im Ersten Weltkrieg vorwiegend auf kurzfristiger Staatsverschuldung beruhte. Außerdem zwang die NS-Regierung das bei Sparkassen und Banken, aber auch Versicherungen aufgelaufene Kapital, insbesondere von Kleinsparern zur Anlage in Staatsanleihen. Seit 1935 erfolgten Neuemissionen von Anleihen des Staates im „geräuschlosen“ oder „rollenden“ Verfahren bei Sparkassen, Kreditgenossenschaften, Versicherungen, Postsparkassen und Sozialversicherungsträgern, wo größere Ersparnisse zusammenflossen.[v] Das Gesetz über das Kreditwesen vom 5.12.1935 verpflichtete Banken Staatsanleihen zu halten; die Höhe wurde vom Aufsichtsamt für das Kreditwesen festgelegt.
Diese Form der geräuschlosen Rüstungsfinanzierung schuf eine Vermögensillusion. Die Einlagenbestände bei deutschen Geldinstituten stiegen von 1938 bis 1944 von 55,5 Mrd. RM auf 237,4 Mrd. RM.[vi] Da der Reichsarbeitsminister die Sozialversicherungen und der Reichswirtschaftsminister die Girozentralen und die Reichsgruppe Versicherungen angewiesen hatte, die Anlagepflicht in Staatsanleihen zu erfüllen, wurden die Sparer zu Gläubigern des Reiches über Nacht – ohne es zu wissen. Die Vermögensillusion bestand in nominell prall gefüllten Sparkonten, die aber real weitgehend wertlos waren. Dementsprechend hart fiel der Schnitt bei der Währungsreform im Juni 1948 mit 100 zu 6,5 aus.[vii]
Die Nationalsozialisten schalteten Schritt für Schritt die Kapitalmärkte aus. Um das Ziel eines reibungslosen Absatzes von Staatspapieren zu erreichen, setzten sie faktisch eine Emissionssperre für alle Arten von Wertpapieren durch: Aktien, Anleihen, Pfandbriefe etc. Der Besitzwechsel von Aktien wurde mit Sondersteuern belegt. Termingeschäfte an der Börse waren generell verboten. Bis 1937 stiegen die Aktienkurse um rund 10% pro Jahr, von 1937 bis zum Kriegsbeginn sanken die Kurse um 10%, um in Erwartung eines Sieges bis Herbst 1941 um 50% anzusteigen. Daraufhin wurden alle Aktionäre zur Abgabe einer Erklärung über alle Aktienkäufe mit Volumen über 100.000 RM seit Kriegsbeginn verpflichtet.[viii] Ab Sommer 1942 wurden diese Aktienpakete auf den Staat übertragen und die Aktionäre mit RM „entschädigt“, die wiederum in vom Staat bestimmten Sicherheiten anzulegen waren. Das Kreditverbot für Aktienkäufe nimmt sich vergleichsweise harmlos aus. Auch die Zinssätze an den Kapitalmärkten wurden durch den Staat festgelegt. Die Zinskonversion von 1935 erfolgte auf der Grundlage von Gesetzten, die den Rentenzinsfuß von 6% und darüber auf 4,5% für Schuldverschreibungen der Kreditinstitute und der öffentlichen Körperschaften und die in öffentlichen Schuldbüchern eingetragene Schulden festschrieb. Insgesamt waren Pfandbriefe und Kommunalobligationen im Umfang von rund 8 Mrd. RM und öffentliche Anleihen im Umfang von rund 2 Mrd. RM betroffen.[ix]
Die Reichsbank stellte zunächst ein Hindernis für die (unbegrenzte) Kreditgewährung dar. So setzte das Reichsbankgesetz von 1924 aufgrund der Erfahrung mit der Hyperinflation sowohl der Geldmengenausweitung als auch der Verschuldung des Staates klare Grenzen. Die Unabhängigkeit des Reichsbankdirektoriums von der Reichsregierung war verankert, ein international zusammengesetzter Generalrat sollte das Direktorium und die Geldpolitik überwachen. Konkret war die Kreditgewährung an das Reich auf einen Betriebskredit von 100 Millionen Reichsmark begrenzt. Die Diskontierung und Lombardierung von Reichswechseln war seit 1926 auf eine Höhe von bis zu 400 Millionen Reichsmark beschränkt.[x]
Von der Vermachtung zahlreicher Institutionen blieb die Reichsbank nicht verschont. Die erste Änderung des Bankgesetzes im Oktober 1933 gab dem Reichspräsidenten das Recht, Reichsbankpräsidenten und Direktoriumsmitglieder zu ernennen und abzuberufen. Der Generalrat wurde aufgelöst und seine Kompetenzen dem Reichspräsidenten übertragen. Zudem wurde die seit 1931 ausgesetzte Vorschrift aufgehoben, Gold und Devisen im Gegenwert von mindestens 40 Prozent des Notenumlaufs als Reserve zu halten. Das Teilreservesystem wurde durch ein Scheingeldsystem ersetzt. Eine „Deckung“ erfolgte fortan vor allem durch Staatsschulden, d.h. Pfandbriefe und Schuldverschreibungen des Reiches, der Länder und der Kommunen.
In einem vertraulichen Memorandum an Hitler vom 07.01.1939 brachte das Reichsbankdirektorium viel zu spät Bedenken gegen die schrankenlose Kreditausweitung vor und wurde daraufhin abgelöst.[xi] Hjalmar Schacht hatte sich verkalkuliert. Der Hinweis auf die Überspannung der Staatsausgaben und die Gefahren kurzfristiger Kredite infolge einer „hemmungslose Ausgabenwirtschaft“ mit „Staatsfinanzen am Rand des Zusammenbruchs“ war zwar überfällig. Indes gelingt es schon demokratischen Regierungen selten, nur Ausgaben zu tätigen, die durch Einnahmen oder langfristige Kapitalmarktfinanzierung gedeckt sind, wie es die Reichsbankführung Anfang 1939 forderte.
Mit dem Gesetz über die Deutsche Reichsbank vom 15.06.1939 wurde die Reichsbank zu einer weisungsgebundenen Reichsbehörde und verlor alle Reste ihrer Autonomie. Sie wurde fortan „nach den Weisungen und unter Aufsicht des Führers und Reichskanzlers … geleitet und verwaltet“.[xii] Nach ihrem Selbstverständnis fungierte die Reichsbank fortan als Hauptkasse des Reiches, um die Finanzierung sicherzustellen. Zugleich beseitigte das Gesetz alle verbliebenen Schranken, die einer exzessiven Geldschöpfung im Wege standen. Formell erfolgte noch die Aufhebung der Goldbindung. Bereits vor Kriegsausbruch war eine unbegrenzte Geld- und Kreditversorgung der öffentlichen Hand sichergestellt.
Ein Übergewicht kurzfristiger Schulden wurde schon 1941/42 erreicht, anschließend stieg das Defizit exponentiell. Insgesamt betrugen die Kriegsausgaben ca. 657 Mrd. RM. Davon wurde mehr als die Hälfte mit 342 Mrd. RM durch Neuverschuldung finanziert, deren Löwenanteil mit 217 Mrd. RM kurzfristige Schulden ausmachten. Insgesamt stieg die Staatsverschuldung unter den Nationalsozialisten binnen 12 Jahren auf 380 Mrd. RM und verzehnfachte sich damit.[xiii] Die zurückgestaute Inflation entlud sich ab Mitte 1944 im Zuge des Kontrollverlust der Nationalsozialisten auf Schwarzmärkten.
Die NS-Politik ist markantes Beispiel für extremen Etatismus. Mit den Worten von Ludwig von Mises, der in seiner Theorie des Geldes und der Umlaufmittel bereits 1924 betonte: „Der sozialistische oder halbsozialistische Staat braucht Geld, um unrentable Betriebe zu führen, um Arbeitslose zu unterstützen und um dem Volke billige Lebensmittel zu liefern. Auch er kann die Mittel nicht durch Steuern aufbringen. Er wagt es nicht, dem Volke die Wahrheit zu sagen. … So wird Inflation zu dem wichtigsten psychologischen Hilfsmittel einer Wirtschaftspolitik, die ihre Folgen zu verschleiern sucht. … Das erklärt, warum sie seit jeher ein wichtiges Requisit der Kriegs- und Revolutionspolitik war und warum sie heute auch dem Sozialismus dient.“[xiv]
Mehr zum Thema: Wirtschaftsfaschismus. Extremer Etatismus in Aktion, edition g. 131, 206 Seiten, [D] 14,80 € ISBN 978-3-7583-3094-0
Endnoten
[i] Umfangreiches Zahlenmaterial bietet bereits Willi A. Boelcke: Die Kosten von Hitlers Krieg. Kriegsfinanzierung und finanzielles Kriegserbe in Deutschland 1933-1948, Paderborn 1985, hier Kapitel I. 3. Finanzpolitik und Finanzierungsmittel, 17-26, siehe zudem Karl-Heinrich Hansmeyer, Rolf Caesar: Kriegswirtschaft und Inflation (1936-1948), in: Deutsche Bundesbank (Hg.): Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, Frankfurt am Main 1976, 367-429.
[ii] Siehe Fritz Blaich: Wirtschaft und Rüstung im „Dritten Reich“, Düsseldorf 1987, 21-23. Eine erste Bilanz bietet Otto Nathan: Nazi War Finance and Banking, (Our Economy in War, Occasional Paper, No. 20) New York 1944.
[iii] Avraham Barkai: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik,
erweiterte Neuaufl., Frankfurt a. M. 1988, 232.
[iv] Vgl. Christoph Buchheim: Das NS-Regime und die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland, in: VfZ 56 (2008) 3, 413f., 407f.
[v] Ebenda, Kapitel II. 2. Finanzierungsvolumen und Finanzierungsmethoden, 98-108, hier bes. 105. Siehe zudem Ralf Banken: Der Ursprung der geräuschlosen Kriegsfinanzierung im „Dritten Reich“ 1935-1939, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 61 (2020) 2, 459-485.
[vi] Siehe mit Schwerpunkt Sparkassen Carsten Brodesser: Sparen während der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Kapitel aus der „geräuschlosen Kriegsfinanzierung“ unter besonderer Berücksichtigung der Sparkassen, Dissertation o.O. 2011, 78-81, 137, außerdem Boelcke, Kriegsfinanzierung, 103-108.
[vii] Michael von Prollius: Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Göttingen 2006, 63f.
[viii] Im Staatenvergleich siehe Patrik Hof: Kurswechsel an der Börse – Kapitalmarktpolitik unter Hitler und Mussolini: Wertpapierhandel im deutschen Nationalsozialismus (1933-1945) und im italienischen Faschismus (1922-1945), Frankfurt am Main u.a. 2008.
[ix] Im Jahr 1935 wurden diesbezüglich zahlreiche Gesetze und Verordnungen erlassen, darunter im RGBl. vom 25.01.1935 § 2 die Herabsetzung des Zinses ab 01.04.1935.
[x] Ursprünglich, Deutsches Bankgesetz vom 30.08.1924, beschränkt auf 100 Millionen RM (§ 25 Abs. 2)
[xi] Siehe die Denkschrift abgebildet in Hansmeyer, Caesar: Kriegswirtschaft und Inflation, 381-383 und Tooze, Ökonomie der Zerstörung, 335-352.
[xii] Gesetz über die Deutsche Reichsbank vom 15. Juni 1939, § 3 (1).
[xiii] Siehe Boelcke, Kriegsfinanzierung, 101f. und mit einem kompakten Überblick Rolf Walter: Wirtschaftsgeschichte. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart, Köln u.a. 1995, Kapitel 8: Der Nationalsozialismus 1933-1945, 165-193, 190.
[xiv] Ludwig von Mises: Theorie des Geldes und der Umlaufmittel, 2. Auflage München, Leipzig 1924, 207.