Die Krise Europas ist die Krise des Zentralismus. Der große Trend der Menschheit – die Globalisierung – erfordert keinen Zentralismus, ermöglicht vielmehr Vielfalt in Kleinheit. Zentralismus war regelmäßig Selbstzweck, war Ausdruck des Strebens nach Macht um der Macht Willen.
Hitlers Germania ist der (niemals) Stein gewordene Alptraum des Zentralismus. Die Staaten hinter dem Eisernen Vorhang haben die in der europäischen Moderne am weitesten getriebene Form des Zentralismus in Wirtschaft und Gesellschaft unter der Herrschaft der Partei praktiziert – ein Weg in die Knechtschaft. Hitlers und Stalins Pläne für die Neuordnung Europas sind gleichermaßen grauenhaft. Der Absolutismus der frühen Neuzeit, die von Gesetzen losgelöste Herrschaft eines Monarchen, wurde von Revolutionen beseitigt. Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert bekanntlich absolut.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Das Römische Reich ist eine: kulturell, rechtlich, zuweilen politisch. Machtkämpfe und Kriege waren indes mehr als nur Kollateralschäden, sondern ein Wesensmerkmal des Weltreichs. In mancherlei Hinsicht kann auch das Habsburger Reich als Vielvölkergemeinwesen mit seiner ordnenden Rolle in Mittel- und Südeuropa als Ausnahme gelten. Zugleich ist die Geschichte voller Vorbilder für Kleinstaaterei.
Heilsame Sezession
Sezession kann eine Reaktion auf Zentralismus sein, kann dem Wunsch nach Eigenständigkeit, nach Selbstbestimmung geschuldet sein. An dieser Stelle darf das bekannte Plädoyer von Ludwig von Mises nicht fehlen:
„Das Selbstbestimmungsrecht in bezug auf die Frage der Zugehörigkeit zum Staate bedeutet also: wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhangenden Landstrichen, durch unbeeinflußt vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zuzugehören wünschen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern.“
Schädlicher Zentralismus
Der Zentralismus in Europa ist der falsche Weg in die Zukunft. Die Euro-Krise ist die Krise der europäischen Zentralbank, die nationale Zentralbanken ersetzt hat. Die EU-Kritik und das Aufkommen EU kritischer Parteien ist eine Reaktion auf die Vergemeinschaftung nicht zu vergemeinschaftender Kulturen, Wirtschafts- und Lebensweisen. Die EU und die über Bande spielenden nationalen Regierungen sind die Krisentreiber, liegt das Machtzentrum doch im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs, nicht im EU-Parlament. Zugleich ist die Alltagsarbeit der EU-Bürokraten durch das übliche Versagen des Zentralismus gekennzeichnet, das nicht heilbar ist:
- die Dummheit der Zentrale (fehlendes Wissen und mangelnde Folgenabschätzung)
- die Anmaßung der Zentrale (Ignoranz und Bevormundung bis zur Unterdrückung)
- die Wettbewerbsfeindlichkeit der Zentrale (Einheitlichkeit statt Entdeckungsvielfalt)
- die Macht der Zentrale als Selbstzweck (Karriere- und Gestaltungsmachtstreben)
- die Zentralisation von Fehlern, die schwerlich korrigierbar sind, zumal die Zentrale stets als Sieger vom Platz gehen will, um ihre Legitimität behaupten zu können.
Vor dem Hintergrund dieser zeitlosen Konstellation sind die zunehmenden und zugleich anhaltenden Bestrebungen nach Eigenständigkeit durch Sezession zu sehen: vom verhinderten Grexit über den anstehenden Brexit bis zu den Separatisten in Westeuropa: Katalanen, Korsen, Schotten, Basken Flamen, aber auch die vielen Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
Sezession als paradoxes Phänomen
Sezession darf allerdings nicht zum Selbstzweck werden. Sezession ist auch keine Erfolgsgeschichte per se. Das liegt einerseits daran, dass größere politische Gebilde nicht mit Wohlwollen und Attraktivitätssteigerungen reagieren, sondern in kindlicher und gewalttätiger Manier.
Exempel sollen an Abtrünnigen statuiert werden. Das ist das abstoßende Verhalten von Machtbesoffenen. Zugleich zieht der Hinweis auf die mangelnde Legitimität der Sezessionisten nicht. Wer das ins Feld führt, kann das nur rechtmäßig tun, wenn ein hürdenloses Austrittsverfahren geregelt ist. Zugleich sind die Sezessionisten nicht durch einfache Mehrheiten legitimiert.
Die Gründung eines neuen politischen Gemeinwesens oder der Anschluss an ein anderes bedarf einer Mehrheit die Verfassungsrang hat und üblicherweise Zweidrittel beträgt. Das ist ohnehin eine Klugheitsfrage. Und gerade dann gilt ein besonderer Minderheitenschutz. Schließlich zeigen die aktuellen Entwicklungen in Europa, dass die Zeit für Kosmopolitismus oder Europäismus nicht reif ist. Wenn überhaupt, dann lässt sich diese Utopie vielleicht auf dem Weg der Vielfalt in Kleinheit erreichen. Das geht besonders gut unter dem Dach einer Konföderation, die eine sehr erwägenswerte Alternative zur EU darstellt.
Kleinheit in Verbundenheit mit anderen ist die Zukunft – wir brauchen keine Zentralismen in der heutigen Welt. Globalisierung ermöglicht Glokalität, auch wenn dieser Begriff gruselig sperrig daherkommt. Verbunden mit der Welt, zuhause im Lokalen. Das ist eine positive Entwicklungsrichtung für die Menschen, gerade in Europa, und ein Trend. Wir sind als Menschen an unsere Scholle gebunden und können darüber hinaus blicken.