Verbesserungsverhinderer
Gatekeeper verhindern unternehmerischen Wandel, der Hofstaat blockiert staatliche Reformen.
Warum stagnieren Unternehmen und verlieren regelmäßig an Bedeutung? Die durchschnittliche Lebensdauer eines Unternehmens im S&P 500 Index soll etwa 20 Jahre betragen, für die Fortune 500 betrug die Verweildauer noch 33 Jahre im Jahr 1964 und sind es nur noch etwa 24 Jahre im Jahr 2016.
Warum stagnieren Staaten, steigen nicht nur Großmächte im Verlauf der Geschichte auf und ab? Dazu gibt es eine Vielzahl von Erklärungsversuchen, wie bei den Großmächten die Überdehnungsthese von Paul Kennedy. Wirtschaftliche Produktivität und technologische Innovation spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Ich habe in „Wirtschaftsfaschismus. Extremer Etatismus in Aktion“ Entwicklungen identifiziert, die die Entwicklung unseres westlichen Wirtschaftssystems kennzeichnen und vielleicht erklären können. Systemische Defizite, Weichenstellungen, Anreize und machtpolitische Konstellationen werden untersucht.
Eine Rolle spielen dabei die Bewahrer des Status quo, der Hofstaat und die Nomenklatura. Den Blick auf Personen zu richten, auf die Grauzone von Macht, Einfluss, Vorteilen, kann zu einem anderen Verständnis führen. Es geht dann nicht länger um die Frage, was sachlich notwendig ist und dementsprechend getan werden muss, weil dabei die (idealistische) Annahme schwingt, man könnte das Notwendige einfach tun. Viel stärker rücken die Widerstände in den Blick und die personellen Konstellationen, die einer Verbesserung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage (macht-)politisch im Wege stehen.
Betrachten wir noch einmal die Unternehmenswelt. Können wir von Unternehmen und von technologischen Innovatoren etwas für Gesellschaft, Politik und vor allem Reformen lernen?
Hier kommen die Gatekeeper ins Spiel, die in Unternehmen eine ähnliche Rolle spielen wie der Hofstaat und die Nomenklatura. Sie verhindern Verbesserungen.
Mike Solana berichtet in einem längeren Artikel und Interview mit Paul Buchheit, einem revolutionären Softwareentwickler, über das (historische) Ringen zwischen Innovatoren und Status quo Profiteuren – The Tech Insurgent’s Battle for the Future. auf Pirate Wires.
Einige, übersetzte Auszüge:
Gatekeeper, die die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten (und wahrscheinlich auch der Menschen) ausmachen, haben Anreize zur Stagnation, sind risikoscheu bis hin zur Lähmung und haben – manchmal aus gutem Grund – Angst vor Veränderungen. Aufrührer sind nach den Maßstäben der Gesellschaft im Grunde genommen verrückt, ein Gräuel für den Status quo und oft destruktiv. Aber sie sind die Quelle für alles Neue in der Welt. Von dem Moment an, in dem ein Unternehmen gegründet wird, immer von Aufständischen, ziehen Anreize zum kurzfristigen Überleben Gatekeeper an, die sich natürlich vor neuen Radikalen fürchten und versuchen, sie zu isolieren, und dann unermüdlich daran arbeiten, das Team von weiteren Gatekeepern aufzubauen. Wenn der Zeithorizont lang genug ist, übernehmen die Torwächter das Unternehmen immer. Dann stirbt es.
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Die Frage für Aufständische ist, wie sie die Torwächter lange genug zurückdrängen können, um etwas Neues zu schaffen und damit ein Rettungsboot, das uns alle ein wenig länger am Leben erhält.
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Jahrelang hat man sich gefragt, was passieren würde, wenn Google – mit 190.000 Mitarbeitern in der Spitze – die Hälfte seines Teams entlassen würde. Würde sich dann wirklich etwas ändern? Fairerweise muss man sagen, dass die Frage auch jedem anderen großen Technologieunternehmen auf dem Höhepunkt der letzten Hausse hätte gestellt werden können, und es war sowieso nur ein lustiges Gedankenexperiment. Oder es war nur ein lustiges Gedankenexperiment, bis Elon Musk Twitter kaufte, das Team um 80 % reduzierte und eine Welle von Produkteinführungen bei einem Unternehmen auslöste, das zuvor für seine Produktlähmung berüchtigt war. Im April 2022, über ein Jahrzehnt nach der Gründung des Unternehmens und mit einem Bruchteil des früheren Teams, war Twitter plötzlich innovativ.
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Gatekeeper sind hundertprozentig darauf fixiert, schlechte Dinge zu verhindern, und sie haben kein Konzept dafür, dass man, wenn man schlechte Dinge verhindert, auch gute Dinge verhindert.
Start-ups haben noch keine Gatekeeper. Mittelständische und insbesondere Großunternehmen, die Innovationen anstreben, lagern Innovationsprojekte häufig auf sogenannte grüne Wiesen und Innovationszentren aus, um sie dem Zugriff der Gatekeeper und ihrer Bürokratie zu entziehen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie können Staatsreformen gelingen? Ein Auslagern auf die grüne Wiese, in Innovationszentren ist nicht möglich. Folglich werden der Hofstaat und die Bürokratie danach streben, substanzielle Veränderungen abzuwürgen.
Wenige weitere Impulse aus dem Artikel:
Peter Thiel spricht seit Jahrzehnten von der existenziellen Gefahr der Stagnation, nicht weil Stillstand gefährlich ist, sondern weil er unmöglich ist. Stagnation ist eine Illusion. Wir wachsen oder wir sterben, und unser Planet ist ein Museum von Zivilisationen, die bis zu ihrem Aussterben bewacht werden.
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Und im Orginal, weil es authentischer klingt:
“Google was born in a culture of decentralization, only to gradually centralize and stagnate.”
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“We either centralize and we’re fucked, or we decentralize and actually it’s really great.”
Nun, vielleicht sollten wir die Frage ändern, wenn wir Reformen anstreben: Statt „Welche Reformen sind erforderlich?“ könnte die Frage lauten: „Welche personellen, systemischen Veränderungen braucht es, damit Voraussetzungen für Reformen überhaupt gegeben sind?“
Einige erste Überlegungen habe ich in meinem aktuellen Buch thematisiert.