Der Nürnberger Prozess und professioneller Journalismus
Der Nürnberger Prozess und professioneller Journalismus

Der Nürnberger Prozess und professioneller Journalismus

Der Nürnberger Prozess und professioneller Journalismus

Man kann gleich zwei Dinge erfahren, in zwei Büchern und in jedem einzelnen. Der Leser erfährt viel über den Nürnberger Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher als Verfahren, über Angeklagte, Ankläger, Anwesende und das aus unterschiedlichen Perspektiven von Beobachtern aus fast allen Teilen der Welt. Zudem kann man hochwertigen Journalismus erleben – in Artikeln und Reportagen, die immer wieder mit sprachlichem Niveau beeindrucken.

Steffen Radlmaier (*1954) hat als Feuilletonchef der Nürnberger Nachrichten bereits 2001 ein hochwertiges Buch mit hochwertigen Texten herausgegeben. Eingerahmt von sehr gut erhaltenen und erläuterten Fotos überwiegend aus dem Nürnberger Stadtarchiv bietet der umfangreiche Textteil Artikel in chronologischer Reihenfolge. Zahlreiche namhafte Autoren und (spätere) Personen der Zeitgeschichte, darunter Alfred Döblin, Erich Kästner, Markus Wolf, John Dos Passos, Erika Mann und Martha Gelhorn, schildern Ereignisse aus dem von Beginn an vielfach kritisierten und diskutierten Prozessverlauf sowie der Umgebung. Ergänzen kommen als Informationskorsett Agentur- und Kurzmeldungen aus den Nürnberger Nachrichten hinzu. Entstanden ist ein mediengeschichtlich eindrucksvolles Lesebuch zeitgenössischer Texte.

Der promovierte Germanist und Autor Uwe Neumahr (1972) nutzt als Bezugspunkt das Presselager, das Schloss der Großindustriellenfamilie Faber-Castell. Das karge Leben in überfüllten Räumen bietet Einsichten in das Leben von Journalisten, ihren Standpunkten und Animositäten. In einem Dutzend Kapitel mit ein bis zwei Persönlichkeiten im Mittelpunkt, etwa Willy Brandt und Markus Wolf, Rebecca West, Martha Gellhorn und Ernest Hemingway entsteht ein Kaleidoskop des Journalismus und des Nürnberger Prozesses sowie mancher eigentümlicher menschlicher Details. Eine bedenkenswerte Debatte ist die Kontroverse über den Prozess selbst. Dazu gehört auch, ob ein Standgericht angemessener gewesen wäre. Die klug und kraftvoll vertretenen Standpunkte für und gegen den Prozess, für und gegen eine Beteiligung deutscher Richter, die nicht zugelassen waren, hebt sich von heute zu oft praktizierter medialer Einseitigkeit ab.

Steffen Radlmaier (Hg.): Der Nürnberger Lernprozess. Von Kriegsverbrechern und Starreportern, Die Andere Bibliothek hg. v. Hans Magnus Enzensberger Band 199, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001, 420 Seiten, Originalausgabe vergriffen.

Uwe Neumahr: Das Schloss der Schriftsteller. Nürnberg `46. Treffen am Abgrund, C. H. Beck, 5. Auflage München 2023, 304 S., 26,00 Euro gebundene Ausgabe.