MvP-Blog
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Zu viel Politik?

Zu viel Politik?

Zwei gegenläufige Entwicklungen lassen sich beobachten: Dezentralisierung der Gesellschaft mit individuellen Entfaltungsmöglichkeiten und nicht zuletzt wachsenden technologischen Lösungen bei gleichzeitiger Zentralisierung politischer Macht und abnehmender Lösungsfähigkeit.

Der Artikel „Cult of the Presidency“ von Cato beschreibt, wie das Amt des US-Präsidenten im Laufe der Zeit übermäßig an Macht gewonnen hat, weit über die ursprünglichen verfassungsmäßigen Grenzen hinaus. Diese Zentralisierung der Macht fördert politische Spaltung und gefährdet die demokratischen Grundsätze. Anstatt das Land zu einen, trägt die moderne Präsidentschaft zur Verschärfung von parteipolitischen Konflikten bei. https://shorturl.at/AMER1
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Ein deutsches Leben

Ein deutsches Leben

Wer etwas lebensnahes über die NS-Zeit erfahren möchte, dem kann ich “Ein deutsches Leben” empfehlen. Vorstellungen finden im Schlosspark Theater Berlin (Steglitz) monatlich, meist am Samstag Nachmittag statt. Link

Worum geht es: Um die echten Lebenserinnerung einer Sekretärin von Joseph Goebbels – Brunhilde Pomsel. Sie war 1945 34 Jahre jung und wurde 106 Jahre alt.

Warum ist es sehenswert: Brigitte Grothum, die 2025 ihren 90. Geburtstag feiert, spielt 75 Minuten allein. Und jede Minute ist es wert, zuzuschauen und zuzuhören. Die reduzierte Inszenierung ist gelungen.

Welche Assoziationen hatte ich beim Zuschauen: 1. Die Beschreibung des Lebensalltags ist zuweilen eindringlicher und realer als die vielen Abhandlungen, die Regalmeter füllen und eine guter Ergänzung.

2. Die Alltagsgeschichte der NS-Zeit hebt sich vom Besserwisserischen der Lehnstuhlmoralisten ab. Ganz normale Menschen haben ihre persönlichen Lebensziele verfolgt, natürlich auch mit den menschenverachtenden, aber im Alltag regelmäßig freundlich auftretenden Nationalsozialisten. Spätere Widerstands- und Besserwissenappelle halte ich grundsätzlich und gerade heute für abgehoben.

3. Unsere Erinnerungen mischen sich mit der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, so dass die Vergangenheit tagtäglich umgeschrieben wird. Das reflektiert Brunhilde Pomsel.

4. Das Propagandaministerium war ein Herrschaftsinstrument. Wer bestimmen kann, was politisch korrekte Meinungen sind, übt Herrschaft aus.

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No Future – Wie wird die Zukunft?

No Future – Wie wird die Zukunft?

Wer der Ansicht ist, dass es in Deutschland und der EU so nicht weitergeht, der kann sich eine Zustandsbeschreibung beim Podcast Beyond the Obvious von Daniel Stelter abholen.

Die Lage ist schlecht, die Zukunft wird schlechter. Eine solide Lageanalyse.

Ich würde nur den eher fehlenden, aber entscheidenden Aspekt der Koordination wirtschaftlicher Aktivitäten betonen wollen: die bürokratische Staatswirtschaft als Modell der Gegenwart und Zukunft von EU und Deutschland. #NoFuture

Wer sich fragt wie es weiter geht, der findet zunehmend Hinweise auf Überlegungen zu einer Übergangszeit. Das sieht auch Kolja Zydatiss mit Mark Feldon im Buch “Interregnum: Was kommt nach der liberalen Demokratie?” so. Ihre Beispiele aus dem Jetzt für unsere Zukunft sind alle nicht erbaulich, da autoritär. Zur Buchbesprechung. #DieZukunft

Beim Freiblickinstitut gibt es diese Woche die Buchvorstellung.

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Neoliberalismus – nun auch noch in der Geschichtswissenschaft

Neoliberalismus – nun auch noch in der Geschichtswissenschaft

Die Geschichtswissenschaft hat den Neoliberalismus entdeckt. Ein Blick in aktuelle Rezensionen vermittelt den Eindruck, dass Begriff und Vorstellungen über das, was der Neoliberalismus war, nicht präziser werden, dass die Differenzierungen mitunter zu einem diffuseren Bild führen, dass die ökonomischen Kenntnisse für eine Beurteilung fundierter sein dürfen, und schließlich, dass linke, also nicht liberale, sondern weltanschauliche Beurteilungen eines anderen Lagers auch in der Geschichtswissenschaft die Aussagen beeinflussen. Das sollte nicht überraschen, genauso wenig wie einige anregende und manche seltsam anmutende Untersuchungen.

Ansatzpunkt für die nachfolgenden Beobachtungen sind aktuelle Buchbesprechungen im Online Rezensionsjournal Sehepunkte (24 (2024), Nr. 9), das seit über 20 Jahren in München angesiedelt ist. Die Rezensionen von Publikationen mit dem Thema Neoliberalismus sind im bezeichnenderweise (?) betitelten Forum “Ein Gespenst geht um in der Welt: Zur Geschichte des Neoliberalismus” untergebracht. Bekannte schräge Untertöne und Stereotype finden sich schon in der Einleitung von Christian Marx: “Entfesselung der internationalen Kapitalmärkte”, “Ökonomisierung zahlreicher Lebensbereiche” “selbst das einzelne Individuum sollten fortan unternehmerisch handeln”.

Das findet seine Fortsetzung in, wenn auch nur punktuell kritischen und ökonomisch schief erscheinenden Tönen gegenüber positiven Urteilen über den Neoliberalismus wie von Sebastian Edwards: The Chile Project. The Story of the Chicago Boys and the Downfall of Neoliberalism. Nele Falldorf rezensiert: “Zwei Jahre später erlebte die chilenische Wirtschaft eine schwere Rezession. Ursache hierfür war insbesondere der weitgehend unregulierte Bankensektor, der von linken Kritikern als Ergebnis der Schocktherapie angesehen wird.” Vielleicht ist das meine Übersensibilität, die mich an die überflüssigen Kommentare auf Wikipedia erinnern, wo ständig linke Kritiker angeführt werden und infolgedessen eine von dort aus rechte Position kritisiert wird. Das Buch scheint lesenswert zu sein.

Apropos, and here it comes: “Eine neoliberale Ära – so lautet die verbreitete Charakterisierung der britischen Geschichte seit den 1970er Jahren. Demnach habe sich in Großbritannien eine rechte Ideologie von freien Märkten und Wohlfahrtsstaat-Abbau durchgesetzt und erst mit der Finanzkrise 2008 an Dominanz verloren.” schreibt Juliane Clegg einleitend über Aled Davies / Ben Jackson / Florence Sutcliffe-Braithwaite (eds.): The Neoliberal Age? Britain since the 1970s. Allerdings bilden die Rezensentin und viele Beiträge des Sammelbandes eine Ausnahme. Hier scheint, vielleicht einem flüchtigen Überblick geschuldet und der zwangsläufig knappen Besprechung zu diversen Aufsätzen, fortgesetzte Differenzierung letztlich in einer Auflösung eines Gegenstands zu münden, was Unverständnis fördert, weil alles immer auch anders betrachtet werden kann.

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Geh mir aus der Sonne – Staat – und konstruktive Hilfe ist okay!

Geh mir aus der Sonne – Staat – und konstruktive Hilfe ist okay!

Geschichte ist bekanntlich die beste Lehrerin mit den schlechtesten Schülern.
Aus gegebenem Anlass, da gerade wieder Noten vergeben werden für die amtierende Regierung, hier eine kurze Lektion aus umfangreichen Untersuchungen der frühen Neuzeit von der renommierten Historikerin und Ökonomin Sheilagh Ogilvie (*1958):

“The lesson of history, it concludes, is not to build a capacious state. Rather, we need a state that uses its capacity to help (or at least not hinder) market activity.”

und etwas ausführlicher im Schlussteil ihrer Papers:

“History suggests that the challenge is not to build a capacious state—many states in the past half- millennium have built capacity. Rather, the challenge is to build a growth-friendly state. History provides a few hints. How an economy gets a state that encourages growth is by fostering constitutional scrutiny, correcting market failures, curbing rent-seeking, and letting markets and civil society provide services in which they have advantages. It is not to give the state capacity to extract a lot of resources which it can then waste on war, subsidising flagship enterprises, and enforcing elite extraction. The state can support economic growth—but also harm it. History suggests that we need to be attentive to the bright side of state capacity, but also to its dark side.”
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A Theory of the Allocation of Time von Gary Becker

A Theory of the Allocation of Time (1965) Gary S. Beckers bahnbrechende Arbeit „A Theory of the Allocation of Time“, die im September 1965 im Economic Journal veröffentlicht wurde, entwickelt ein Modell der Haushaltsproduktion und der Zeitverteilung, das die Analyse des Verbraucherverhaltens revolutionierte. Die wichtigsten Erkenntnisse sind: Die Haushalte werden sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten betrachtet, die Marktgüter und Zeit kombinieren, um Güter zu produzieren, die direkt in ihre Nutzenfunktionen eingehen. Zeit wird …

Eine positive Vision für Deutschland

Eine positive Vision für Deutschland

Eine vorausschauende Rückschau, fast Backcasting.

Unternehmen und andere Organisationen nutzen derartige Leitbilder für langwährendes Exzellenz-Streben.

In der praktischen Politik lässt sich die Distanz, und ihre Verringerung oder aber Vergrößerung, von Jahr zu Jahr messen.

Hier geht es zur Vision des Deutschen Arbeitgeberverbands im Oktober 2032.

Ein Auszug:

In Deutschland wurde die Schulpflicht abgeschafft, eine umstrittene Maßnahme, da sie stets als Säule des Bildungserfolgs galt. Doch sie hatte sich ins Gegenteil verkehrt, da die Low-Performer und Saboteure immer wieder in die Klassen integriert werden mussten. Nun können sowohl Top-Performer als auch schwächere Schüler im Privatunterricht gefördert werden, was zu einem Durchbruch in den Bildungsrankings führte. Des Weiteren wurden Zensuren verschärft und das dreigliedrige Schulsystem wieder eingeführt, mit speziellen Klassen für leistungsschwache Schüler und gezielter Eliteförderung.

 

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Ist weniger mehr oder gar gar nichts mehr?

Ist weniger mehr oder gar gar nichts mehr?

In der politischen Theorie wird gerne Position bezogen. Abgrenzen ist ein intuitives Lieblingsspiel. Zugleich ist politische Theorie nicht politische Praxis. Gleichwohl lohnt es sich, weltanschauliche Perspektiven zu vergleichen, für mehr Klarheit über die eigene und die andere Position. Interessant wird es, wenn man gezielt auf Gemeinsamkeiten schaut. Gemeinsamkeiten und Vergleichen heißt nicht gleichsetzen. Heute erscheint es mir wichtiger denn je, Positionen darzustellen, zu diskutieren und einfach auch einmal stehen zu lassen.

Wer den Text von Peter Boettke „Anarchism and Austrian economics“ (2011), einen Vortrag in Prag, liest, dem fallen Gemeinsamkeiten zwischen Österreichischer Schule der Ökonomik und Anarchismus auf und ein:

  1. Betonung der spontanen Ordnung: Beide betonen die Fähigkeit von Gesellschaften, spontane Ordnungen ohne zentrale Steuerung oder staatliche Eingriffe zu entwickeln. Das Zusammenspiel individueller Handlungen und Entscheidungen kommt ohne übergeordnete, sie erzwingende Autorität aus.
  2. Skepsis gegenüber staatlicher Kontrolle: Beide betrachten die Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft skeptisch. Österreichischer kritisieren staatliche Eingriffe und die inhärenten Folgen, Anmaßung, Ineffizienz, Verschwendung, Krisen schüren, Privilegieren, gegen das Engagement vieler Menschen gerichtet. Anarchisten lehnen den Staat grundsätzlich ab und plädieren für selbstorganisierte, freiwillige Kooperation.
  3. Schwerpunkt individuelle Handlungsfreiheit: Beide legen großen Wert auf individuelle Freiheit und Autonomie Österreichischer sehen den handelnden Menschen (homo agens), Anarchisten lehnen(staatlichen) Zwang ab.
  4. Endogene Entstehung von Institutionen: Beide betrachten die Entstehung von Institutionen als endogenen Prozess, aus freiwilligen Interaktionen und Handlungen von Individuen, anstatt staatlicher Vorgaben und Zwangsmaßnahmen.
  5. Ablehnung der neoklassischen Sichtweise: Beide Denkrichtungen lehnen die mechanistische und oft realitätsferne Sichtweise der neoklassischen (und neokeynesianischen) Ökonomie ab und bevorzugen einen realistischeren und humaneren Ansatz komplexen menschlichen Handelns.

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Liberal ist der Weg

Liberal ist der Weg

Deirdre McCloskey ist eine einzigartige Persönlichkeit, bekannt durch ihr vielseitiges Werk über die bürgerliche Ethik. Die Professorin für Ökonomie und Literatur hat kein Blatt vor den Mund genommen als sie sich zu einer Links-Rechts-Debatte geäußert hat. Das Schema ist gleichermaßen orientierungs- und identitätsstiftend wie es für Liberale vielfach irreführend ist. Linke und Rechte verbindet, dass sie keine Freunde einer freien Gesellschaft sind – und keine Menschenfreunde. Deirdre McCloskey formuliert das so (via Café Hayek, übersetzt):

Die Konservativen behaupten, dass sie den ethisch richtigen Weg einschlagen. Das tun auch die Progressiven. Ich kann nur sagen, dass wir Liberalen ihn wirklich gehen. Alle politischen Theorien, mit Ausnahme des wahren Liberalismus, behandeln die Bürger wie Kinder, was leicht in Sklaverei umschlägt. Die Rechten behandeln sie als böse Kinder, die zu ihrem eigenen Wohl überwacht, verachtet, diszipliniert und zum Narren gehalten werden müssen. Die Linke behandelt sie als traurige Kinder, die zu ihrem eigenen Wohl überwacht, verwaltet, subventioniert und zum Narren gehalten werden müssen. Nach Ansicht der Konservativen besteht der Zweck des Staates darin, die Menschen tugendhaft zu machen. Der Zweck, so die Progressiven, ist, sie gleich zu machen. Wahre Liberale entgegnen, dass es nicht die Aufgabe des Kongresses oder der Harvard-Fakultät ist, das Leben von Erwachsenen zu regeln. Einer der Diskutanten von Heritage schlug einen „umsichtigen Schutz“ für die strategische Produktion gegen die Chinesen vor. Glaubt irgendjemand hier, dass der Kongress irgendetwas „Umsichtiges“ tun wird? Wahrer Liberalismus ist eine Philosophie des Realismus, die die Bürger wie Erwachsene behandelt. Das ist der einzige „Adultism“.

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Der amerikanische Wohlfahrtsstaat

Der amerikanische Wohlfahrtsstaat

Es gibt Menschen, die glauben, ein Unterschied zwischen den USA und Deutschland sei der Wohlfahrtsstaat, der in den USA fehle.
Diese Ansicht war bereits in den 1960er Jahren unzutreffend. Ausmaß und Umfang der Sozialsysteme unterschieden sich.

Henry Hazlitt schrieb über ungezählte Wohlfahrtsprogramme bereit Anfang der 1970er Jahre und damit über den amerikanischen Wohlfahrtsstaat, der bereits in den 1960er Jahren weit ausgebaut war. Nachfolgend ein Ausschnitt aus seinem Buch: The Conquest of Poverty, Erstauflage 1973, S. 97:

Es scheint nirgendwo eine vollständige Zählung der derzeitigen vollständigen Zahl von Wohlfahrtsprogrammen zu existieren. Die 171 Milliarden Dollar Ausgaben für Sozialhilfe im Fiskaljahr 1971 sind offiziell grob geteilt in 66 Milliarden Dollar für «Sozialversicherungsleistungen», 22 Milliarden Dollar für «öffentliche Hilfen», 11 Milliarden Dollar für «Gesundheits- und Medizinprogramme», 10 Milliarden für «Veteranenprogramme», 56 Milliarden Dollar für «Bildung», nahezu 1 Milliarde Dollar für «Wohnungsbau» und 5 Milliarden Dollar für «andere Sozialleistungen». Allerdings bestehen diese Teilsummen wiederum aus 47 verschiedenen Gruppen von Programmen, und viele von diesen setzen sich wiederum aus vielen verschiedenen Programmen zusammen.

Der verblüffte Steuerzahler liest von solchen Dingen wie Essensmarken, Bewerbungstraining, öffentlichem Wohnungsbau, Mietzuschüssen, «Modelstädten», Gemeinschaftsaktionsprogrammen, Rechtshilfen für die Armen, Nachbarschaftsgesundheitszentren, FAP, Büro für Wirtschaftliche Chancen (Office of Economic Opportunity – OEO), Gesundheitsprogramm für Bedürftige (Medicaid), Altersunterstützung (Old Age Assistance – OAA), Hilfe für die Blinden (Aid to the Blind – AB), Hilfe für die dauerhaft und vollständig Behinderten (Aid to the Permanently and Totally Disabled – APTD), Hilfe für Familien mit unselbstständigen Kindern (Aid to Families with Dependent Children – AFDC), Allgemeine Unterstützung (General Assistance – GA), Gemeinschaftsunterstützungsprogramm (Community Action Program – CAP), das Job-Korps, Arbeitskräfte-Trainingsprogramme, Vorsprung (Head Start), VISTA und so weiter und so fort. Er hat keine Vorstellung, ob eins im anderen inbegriffen ist, ob sie ihre Funktionen duplizieren, welches, wenn überhaupt eines, eingestellt wurde oder welches gerade erst begonnen wird. Alles, was er weiß, ist, dass es jeden Monat ein neues zu geben scheint.

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Strukturelles Versagen geht immer von Personen aus

Strukturelles Versagen geht immer von Personen aus

Menschen in hohen Positionen ordnen viel an und wissen wenig. Das ist kein persönlicher Angriff, sondern ein systematischer Unterschied zwischen Bürokratie und freier Gesellschaft. Sobald ein einzelner entscheidet, unterliegt er oder sie dem selektiven Einfluss von Informationen und Beratern, dabei folgen Entscheidern nicht zuletzt ihren persönlichen Interessen. In einer dezentralen Ordnung geht das nicht. Viele kleine Entscheider folgen ihren Präferenzen, die durch Institutionen geleitet werden. In Hierarchien gibt es zudem die Phänomene der (angewiesenen) Unterordnung und der Ausprägung eines Hofstaats. Das gilt für die Führungskräfte und für die Gefolgschaft.

Wer diesen Welt-Artikel liest, der findet diesen Befund für die Gesundheitspolitik. Einige Auszüge:

Früh bekam das RKI offenbar politischen Druck: „Herr Spahn (Anm. d. Red.: der damalige CDU-Gesundheitsminister) hat angeordnet, dass eine Passage zu Schulschließungen in die Kriterien für die Risikoeinschätzung von Großveranstaltungen eingefügt wird.“ Schon am folgenden Tag verkündeten die Bundesländer nacheinander, die Schulen dichtmachen zu wollen.

und

Begleitet wurde dies von der umstrittenen Kinder-Studie des Virologen Christian Drosten, der am 29. April 2020 vor einer unbegrenzten Wiederöffnung warnte. Während skandinavische Länder nach der Maßgabe „Kinder zuerst“ vorgingen, prophezeite der damalige SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach am 4. Mai 2020 auf Twitter: „Regulärer Unterricht fällt für mindestens 1 Jahr aus.“

und

„Die Kinder wurden damals schon dazu benutzt, um Aktionismus zu demonstrieren“, sagt die Ärztin Andrea Knipp-Selke, die in Köln praktiziert. „Es ging nicht um ihre Belange, sondern immer nur um das Eindämmen des Infektionsgeschehens.“

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Frankreich ist keine Propellernation

Frankreich ist keine Propellernation

Frankreich ist eine Kulturnation. Europa und Deutschland haben Frankreich viel zu verdanken. Beide verbindet, dass sie etwas museal wirken. Bei der Reise mit dem Auto in die Normandie fällt ein Unterschied auf: Frankreich zerstört seine Landschaft weitaus weniger durch Windkraftwerke.

Nun mögen die beiden Fotos von Monets Garten ein schwacher Beleg sein, aber in Frankreich wird eine  Kulturlandschaft schon einmal vor dem Bau der Ungetüme geschützt. 

Beim Autofahren kann man trotz Konzentration auch die Gedanken auf eine Reise schicken. Wer nur eine Seite der Bilanz von Windkraftwerken betrachtet, der hat Schwierigkeiten sich die umweltschädlichen Eigenheiten zu merken, zumal Wind ja eigentlich sauberen Strom erzeugt. Mir gingen durch den Kopf: Flächenverbrauch, Beton mit schädlicher CO2-Bilanz und Zerschneiden der Wasseradern, das Töten von Vögeln und Insekten, die Veränderung von Wind und damit z.B. Feuchtigkeit, der beträchtliche Abrieb und dessen Niederschlag auf der Umgebung inkl. Äckern , die umweltschädlichen Komponenten, deren problematischer Abbau (seltene Erden) mit dortigen Umweltschäden, die begrenzte Lebensdauer und Erneuerungsnotwendigkeit, die Zerstörung der Landschaft bei einer Leistung, die in etwa einem Formel 1 Motor entsprechen soll, Vibration und Schattenwurf … den Rest hab ich vergessen oder nicht parat.

Nun wär es nicht fair nur die negativen Aspekte aufzuzählen und vermeintlich saubere herkömmliche Energieerzeugung dem gegenüberzustellen. Zugleich können die gigantischen Windkraftwerke und deren Ansammlungen, die an dystopische Filme erinnern, kaum ernsthaft die saubere Zukunft sein – weder zu Lande noch auf See, während die Miniaturisierung rasant voranschreitet. 

Vince Ebert hat das humorvoller in seinem lesenswerten Buch für jedermann formuliert (siehe die beigefügte Buchseite). Vielleicht habe ich als Landei aber auch einfach nicht begriffen, dass Deutschland anders als Frankreich mit den Windkraftwerken bald abheben wird. 

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Quergelesen – Rezensionen von Christopher Clarks Frühling der Revolution

Quergelesen – Rezensionen von Christopher Clarks Frühling der Revolution

Beeindruckende Eindrücke aus einem Rezensionscluster ausgewählt. Ein Buch und Rezensenten, die etwas zu sagen haben und zu denken geben.

Zunächst ein bedenkenswerter, zeitlos gültiger Absatz aus einer Rezension des neuen großen Werks von Christopher Clark über die Freiheitsrevolution 1848/49 von Andreas Fahrmeir in sehepunkte:

„Clark erklärt den Erfolg des Anfangs der Revolution vor allem damit, dass in der überdeterminierten Krisensituation von 1848 eine Revolution aus allen möglichen Gründen ausbrechen konnte: wegen eines Witzes, eines zufälligen Pistolenschusses oder der Ankündigung einer eigentlich gar nicht geplanten Versammlung. Das führte selten zu stabilen Strukturen. Dagegen konnten die alten Gewalten dort, wo sie noch existierten (also – außerhalb Frankreichs – fast überall), den Zeitpunkt des Gegenschlags wählen und ihn mit großer Brutalität ausführen, zumal ihnen die wachsende Furcht in der Bevölkerung entgegenkam. Das ist insofern überraschend, als die regierenden Monarchen und ihre Berater bei Clark im Vorfeld der Revolution ziemlich schlecht wegkommen: Schließlich ließen sie die Krisen nicht nur eskalieren, sondern nahmen sie teilweise gar nicht wahr.“

Und Susanne Kitschun schreibt in ihrer Rezension über dasselbe Buch in sehepunkte:

„Wichtige Auslöser lagen für ihn zusätzlich zu grundlegenden Ursachen wie politischen Ideen und unmittelbaren Anlässen in einer “mittlere[n] Ebene der Kausalität: das Anwachsen der politischen Spannung, die Verhärtung der Sprache, der Zusammenbruch eines Konsenses, und die Erschöpfung der Kompromissbereitschaft, das Aufkommen von Fallstricken – kurz: eine politische Dynamik, die […] in Monaten und Wochen gemessen wird” (411).“

Außerdem ist da ein Hinweis auf moderne Geschichtswissenschaft sowie eine vorbildliche, Komplexität anerkennende Betrachtung der Welt:

„Clark schreibt bewusst gegen ein solches vereinfachendes Bild, denn er will zeigen, dass es dem “Archipel aus Argumenten und Gedankenketten” (23), in dem sich die Europäer in den Revolutionsjahren zurecht finden mussten, nicht gerecht würde. Er will der damaligen “verwirrenden Vielfältigkeit”, die von der “unvorhersehbaren Interaktion so vieler Kräfte” (17) noch verstärkt worden ist, nur in Maßen ein retrospektives Ordnungsmuster abgewinnen. Ein Grund dafür ist, dass er auf Parallelen aufmerksam machen will, die er zwischen damals und heute sieht.“

Der Absatz stammt aus der Rezension von Dieter Langewiesche in sehepunkte zum selben Buch genauso wie dieser Eindruck:

Clark „habe das “Gefühl”, “die Menschen von 1848 könnten sich in uns wiederfinden”, weil wir in einer ähnlichen “‘Polykrise'” leben und in unseren Reaktionen darauf ebenso unsicher seien, wie die Menschen damals (1024).“

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