Erwartungstheorie von Kahneman und Tversky (1979)
Erwartungstheorie von Kahneman und Tversky (1979)

Erwartungstheorie von Kahneman und Tversky (1979)

In ihrem bedeutenden Aufsatz “Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk” aus dem Jahr 1979, veröffentlicht in der Econometrica, Vol. 47, No. 2, entwickelten Daniel Kahneman und Amos Tversky die Prospect Theory, eine neue Theorie zur Beschreibung des Entscheidungsverhaltens unter Unsicherheit. Die Autoren kritisierten die traditionelle erwartete Nutzenmaximierung, die davon ausgeht, dass Menschen stets rational handeln und Entscheidungen treffen, um ihren erwarteten Nutzen zu maximieren.

Die Prospect Theory basiert auf der Beobachtung, dass Menschen häufig systematisch von den Vorhersagen der erwarteten Nutzenmaximierung abweichen. Kahneman und Tversky argumentierten, dass Entscheidungsprozesse in zwei Phasen unterteilt sind: die Editierungsphase und die Bewertungsphase. In der Editierungsphase vereinfachen Individuen die Entscheidungssituation durch verschiedene Heuristiken. In der Bewertungsphase bewerten sie die bearbeiteten Ergebnisse und wählen diejenige mit dem höchsten subjektiven Wert.

Ein zentrales Element der Prospect Theory ist die Wertfunktion, die sich von der Nutzenfunktion der traditionellen Theorie unterscheidet. Die Wertfunktion ist im Bereich der Verluste steiler als im Bereich der Gewinne, was bedeutet, dass Verluste stärker gewichtet werden als Gewinne (Loss Aversion). Zudem ist die Wertfunktion konkav für Gewinne und konvex für Verluste, was Risikoscheu bei Gewinnen und Risikofreude bei Verlusten erklärt.

Ein weiteres wichtiges Konzept ist die Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion. Diese Funktion beschreibt, wie Menschen Wahrscheinlichkeiten subjektiv verzerren, indem sie kleinen Wahrscheinlichkeiten eine höhere und großen Wahrscheinlichkeiten eine geringere Gewichtung zuweisen, als es deren tatsächliche Werte rechtfertigen würden. Diese Verzerrungen sind Beispiele für kognitive Verzerrungen, die systematische Abweichungen von rationalen Entscheidungen darstellen.

Die Prospect Theory bietet eine realistischere Beschreibung menschlichen Entscheidungsverhaltens und hat weitreichende Implikationen für Wirtschaftstheorie und -praxis. Sie hat nicht nur die Verhaltensökonomie vorangetrieben, sondern auch Anwendungen in Bereichen wie Finanzwesen, Marketing und Politikgestaltung gefunden. Kahneman erhielt 2002 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine Arbeiten zur Prospect Theory, die unser Verständnis von Risiko und Entscheidungsverhalten grundlegend verändert haben.