zum Arbeitspapier Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht bezüglich öffentlicher Güter
von Remo Haufe
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Einführung
Helmut Krebs und Michael von Prollius legen mit ihrem Arbeitspapier „Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht“1 ein „grobes Raster“ vor, anhand dessen eine Beurteilung staatlicher Interventionen aus freiheitlicher Sicht erfolgen könnte. Im ersten Schritt gliedern die Autoren das staatliche Handeln dafür in vier Teilgebiete:
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Frieden oder die äußere Sicherheit
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Recht oder die innere Sicherheit
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Verwaltung und Bewirtschaftung der öffentlichen Güter oder die Bürokratie
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Gestaltende Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft oder Interventionen
Die vorliegende kurze Anmerkung nimmt besonderen Bezug auf den dritten Punkt, sprich auf die Bewirtschaftung öffentlicher Güter. Kritisiert wird hierbei das unscharfe Entscheidungskriterium für die Abgrenzung zu fördernder öffentlicher Güter und solchen, denen keine Förderung zugute kommen soll.
Der Zweck dieser Kritik ist es nicht, eine genaue Liste öffentlicher Güter zu liefern, die sich staatlicher Unterstützung erfreuen sollen. Sie soll stattdessen einen Denkanstoß geben, um zu verhindern, dass eine zu unklare Eingrenzung entsprechender Güter zu einem ungerechtfertigten Staats- und Steuerwachstum führt und somit die Freiheit der Bürger, durch die Beschneidung ihrer Eigentumsrechte, untergräbt.
Der Versuch der Beschreibung einer nicht-konstruktivistischen Vision des Minimalstaates durch die Autoren soll durch die Kritik nicht abgewertet werden, da er viele anregende und interessante Gedanken enthält und die Staatsaufgaben gelungen gliedert und bespricht.
Öffentliche Güter und Allmendegüter
Als öffentliche Güter werden in der Ökonomie Güter bezeichnet, um deren Konsum nicht konkurriert wird und von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann. Beispielsweise könnte eine Gemeinde mit Spenden einen Staudamm errichten, der verhindert, dass Teile der Gemeinde überschwemmt werden. Die resultierende Nicht-Überschwemmung könnte nicht „aufgebraucht“ werden, es besteht also keine Konkurrenz im Konsum. Zudem genösse jeder die Vorteile des Staudammes, der von der Überschwemmung nicht betroffen wäre, ohne dass er daran gehindert werden könnte. Dementsprechend ist es einem Hausbesitzer, der nicht für den Bau des Dammes spendete, möglich, von den resultierenden Vorteilen zu profitieren. Er wäre somit ein Trittbrettfahrer. Viele Ökonomen gehen durch das Trittbrettfahrer-Problem davon aus, dass ein Öffentliches Gut privat nicht finanziert werden kann, da die freiwillige Bereitschaft dazu fehlt. Die Folge ist die staatliche Zwangsfinanzierung.
Allmendegüter (oder unreine Öffentliche Güter) unterscheiden sich von reinen öffentlichen Güter dahingehend, dass sie konkurrierend verbraucht werden können. Vom Fischfang in nicht-privatisierten Meeren wird niemand abgehalten.2 Der Zugang ist somit frei. Die Fische im Meer sind zu einem bestimmten Zeitpunkt allerdings begrenzt vorhanden, so dass es eine Rivalität bei der Nutzung des Meeres gibt. Ohne bindende Regeln ist die Folge daher Überfischung.
Die Einordnung in diese beiden Gruppen ist nicht immer eindeutig möglich. Eine steuerfinanzierte Straße ist, insofern sie nicht voll ausgelastet ist, ein mehr oder weniger öffentliches Gut. Bildet sich auf ihr allerdings Stau, dann tritt die Nutzungskonkurrenz negativ zu Tage.
Das Klassifikationsproblem
Die kurze Einordnung öffentlicher Güter war notwendig, um ein besseres Verständnis für das Problem zu ermöglichen. Bei einem Staudamm sind die Nutznießer eindeutig zu bestimmen. Bei anderen Gütern ist jedoch fraglich, ob diejenigen, die diese Güter gezwungenermaßen finanzieren, auch einen tatsächlichen Nutzen davontragen. Diese Frage ist entscheidend für die Bewertung öffentlicher Bereitstellung von Gütern aus liberaler Perspektive.
Zahlt ein Individuum freiwillig den Bau eines Staudammes, dann ist ersichtlich, dass es glaubt von dem öffentlichen Gut zu profitieren. Zahlt es nicht, aber würde ohne den Damm sein Hab und Gut verlieren, ist es auch recht eindeutig, dass es profitieren würde.3 Der Staudamm scheint für die betreffende Person ein öffentliches Gut zu sein.4
Die kurzen Betrachtungen sollen genügen, um sich mit den Kriterien auseinanderzusetzen, an denen sich Krebs und von Prollius in ihrem Arbeitspapier orientieren.
Sie Beginnen mit der Klassifikation öffentlicher Güter als alle „freien“ und alle „Güter in Allgemeinbesitz“. Die Definition weicht von der ökonomischen ab, ist jedoch am Status Quo staatlichen Handelns orientiert. Weiterhin spezifizieren die Autoren:
„Das sind geistige (wie die Gesetze) und materielle Güter (wie Infrastruktur), die nicht auf einem Markt gehandelt werden können (oder sollen) und daher auch keinen Preis haben. Beispielsweise ist ein funktionierendes Rechtssystem, das Eigentum schützt und Streitfälle rasch und zuverlässig beilegt, eine wichtige Rahmenbedingung für die Investitionen von Kapitalisten und Unternehmern im In- und aus dem Ausland.“ (Hervorhebung durch den Verfasser)
Der hervorgehobene Teil des letzten Satzes zeigt symptomatisch, wie im Folgenden eine Bevorzugung bestimmter Gruppen als Anlass genommen wird, um die Finanzierung öffentlicher Güter zu beurteilen.
Im Arbeitspapier folgt nach einer kurzen Auflistung von Gütern, die heute staatlich bereitgestellt werden, eine Diskussion verschiedener Arten von öffentlichen Gütern und des Allgemeinwohl-Konzepts. Dabei ist auffallend, dass ein dem Individuum direkt zurechenbarer Vorteil aus dem öffentlichen Gut, wie im Falle des oben genannten Staudammes, bei den gewählten Beispielen nur selten beobachtet werden kann.
Grundlegend für die Bewertung öffentlicher Güter ist nach Krebs und von Prollius eine Allgemeinwohl-Erwägung, die “ hier ein(en) Zustand der wirtschaftlichen Bedingungen (bedeutet), der die Ergiebigkeit der produktiven Tätigkeit günstig beeinflusst.“ Angewandt wird dies beispielsweise auf den Bereich der Grundlagenforschung, der staatliche Förderung erhalten soll, da eine private Förderung nicht immer gewinnbringend wäre und somit unterlassen würde. Einschränkend wird gesagt, dass der Staat diese aber nur solange fördern soll, wie es noch nicht ausreichend Privatinitiative zur Förderung gibt.5 Neben dem quantitativen Problem („wieviel Förderung ist ausreichend?“) scheint die staatliche Förderung der nicht-kapitalisierbaren Grundlagenforschung konstruktivistische Züge zu tragen, da sie voraussetzt, dass die durch die Grundlagenforschung angestoßenen Entwicklungen wünschenswert seien. Auf welcher Basis wird entschieden wie wünschenswert diese Art der Forschung ist? Der Entscheidung liegt ein subjektives Werturteil zugrunde, das von den Autoren nicht klar benannt wird. Aus dem Kontext lässt sich erahnen, dass die spätere privatwirtschaftliche Verwertbarkeit des produzierten Wissens als Rechtfertigungsgrundlage dient. Dass die resultierenden Produkte jedoch zu einem späteren Zeitpunkt Abnehmer finden, heißt jedoch nicht, dass die zwangsfinanzierenden Individuen zu diesen Abnehmern gehören. Anhänger von Naturbewegungen könnten sich sogar weiter entfremdet von ihrer Umwelt fühlen, wenn die Grundlagen für eine weitere Digitalisierung der Gesellschaft geschaffen würden, was die Zahlenden negativ beeinflusste.6
Die Fokussierung auf kommerzialisierbare Interessen wird eindeutiger, wenn das Beispiel des Frankfurter Flughafens betrachtet wird. Wenn für den Bau einer weiteren Startbahn die Enteignung von Grundeigentümern notwendig wäre, dann ist dies im Sinne des definierten Allgemeinwohls zulässig, denn sonst „würde Kapital abwandern und Wanderungen von Arbeitern nach sich ziehen. Engstirnige Provinzler bewirken den Niedergang einer ganzen Region.“ Abgesehen von der nicht testbaren These, dass Kapital und Arbeit abwandern würde, lässt sich auch hier wieder kein direkt zurechenbarer Vorteil für die Enteigneten erkennen. Der Zuzug von neuen Arbeitskräften und die damit eventuell einhergehende Gentrifizierung von Stadtvierteln kann von der alt eingesessenen Bevölkerung sogar als äußerst negativ empfunden werden, wie die jüngere Geschichte der deutschen Großstädte zeigt.7
Das letzte Beispiel bezüglich des Allgemeinwohl-Konzepts soll das Beispiel der Atomkraftwerke sein. „Wenn Sonderinteressen gegen Allgemeininteressen ausgespielt werden, können sich neue Technologien nicht oder schwer durchsetzen. Die angebliche Strahlenbelastung von Anwohnern wurde gegen den allgemeinen Nutzen der Kernkraftwerke ausgespielt und so ein Ende dieser Technologie erzwungen.“ Die Abwägung des Allgemeinwohls gegen die Interessen des einzelnen finden hier wohl ihren Höhepunkt, da nicht nur Eigentumsrechtsverletzungen sondern auch Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit mit dem höheren Gut gerechtfertig werden.
Schluss
Im untersuchten Arbeitspapier wurden öffentliche Güter anders als in der Ökonomie üblich definiert. Die Folge war, dass eine Zurechnung des Nutzens aus einem öffentlichen Gut zum zahlenden Individuum nicht Gegenstand des Interesses war, sondern eine Allgemeinwohl-Erwägung an dessen Stelle trat, die das unmessbare Allgemeinwohl mit dem Wohl des einzelnen versuchte abzuwägen. Das ökonomische Trittbrettfahrer-Problem trat in den Hintergrund, da der Nutzen des vermeintlichen Trittbrettfahrers nebensächlich wurde. Nach Pareto tritt ökonomisch bei einem Vergleich dieser Art die Unmöglichkeit zu Tage, interpersonelle Nutzenvergleiche anzustellen.8 Bei der Beurteilung öffentlicher Güter sollte der Trittbrettfahrer relativ eindeutig als ein solcher identifiziert werden können. Als Kriterium könnten wie im Damm-Beispiel Sicherheitserwägungen dienen. Ein ungewisser Zukunftsnutzen oder das Allgemeinwohl als Kriterien bergen die Gefahr, als Rechtfertigungsgrundlage für nahezu alle möglichen Güter zu dienen. Wenn die von den Autoren angegriffenen Genderforscher darauf bestehen, dass sie das gesellschaftliche Zusammenleben in der langen Frist positiv beeinflussen werden, müssten auch sie auf Grundlage des hier definierten Allgemeinwohls gefördert werden.
Abgesehen von solchen Erwägungen sollte beachtet werden, dass der Liberalismus an Attraktivität einbüßt, wenn er sich auf einen Bindestrich Liberalismus verkürzt. Eine Verletzung von Eigentumsrechten wurde im untersuchten Paper zugunsten von Forschern sowie Unternehmern und ausgewählten Konsumenten zugelassen. Unzutreffend würde dies sicherlich weitläufig als Fokus auf Wirtschaftsinteressen betrachtet werden. Der Liberalismus sollte jedoch in erster Linie ergebnisoffen sein und für die Wahrung seiner Grundsätze Eigentumsschutz und Vertragsfreiheit stehen. Dies würde nicht nur seine Anziehungskraft bei den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen verstärken, sondern dem Staat ebenfalls wirkungsvollere Beschränkungen auferlegen.
Quellen:
Herbener 1997 |
Herbener, J. M.: The Pareto Rule and Welfare Economics. Review of Austrian Economics 10, no. 1, 79-106, 1997. |
Krebs & von Prollius 2015 A |
Krebs, H., von Prollius, M.: Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht. Forum Freie Gesellschaft, 2015. |
Krebs & von Prollius 2015 B |
Krebs, H., von Prollius, M.: Bedingungen eines freiheitlichen Staates. Forum Freie Gesellschaft, 2015. |
1 Krebs & von Prollius 2015 A. Mittlerweile wurde die Arbeit um die „Bedingungen eines freiheitlichen Staates“ erweitert s. Krebs & Prollius 2015 B.
2 Kollektivierte Meere(steile) können natürlich ebenfalls lediglich beschränkten Zugang gewähren.
3 Feststellungsverfahren in solchen Fällen müssen individuell gefunden werden. Es soll sich hier nicht angemaßt werden, ein stets gültiges Verfahren zu finden.
4 Wohlfahrtsökonomische Kompensationskriterien gehen auch davon aus, dass jemand, der sich am Tausch wegen Nutzeneinbußen nicht beteiligen möchte, es aber muss, im Nachhinein dafür von den Transaktionsgewinnern entschädigt werden kann und der Prozess somit Wohlfahrtssteigernd wirkt. Solche Kompensationsmodelle scheinen jedoch letztendlich auch auf eine Freiwillige Teilnahme am Tausch hinauszulaufen, da die Situation ex post für niemanden schlechter wäre. Diese Fragen sollen und können hier allerdings nicht behandelt werden. Für eine interessante Hinführung zum Thema s. Herbener 1997.
5 Das Problem der resultierenden „staatlich gelenkten“ Wissenschaft wird von beiden Autoren besprochen und als Übel identifiziert.
6 Negative Emotionen können im Liberalismus der auf Eigentumsrechten und Vertragsfreiheit beruht normalerweise nicht als Grundlage zur Wohlfahrts„messung“ herangezogen werden. Der Unterschied liegt hier darin begründet, dass die Eigentumsrechtsverletzung den negativen Emotionen vorausging, die enteigneten also keine Trittbrettfahrer sind sondern rundum Geschädigte.
7 Über Sinn und Unsinn dieser Einstellungen braucht an dieser Stelle nichts gesagt zu werden.
8 Kompensationsmodelle versuchen solche Vergleiche anzustellen. Die Plausibilität dieser Modelle kann jedoch hinterfragt werden.