Ungeklärt: Wie die Eliten die Demokratie gefährden
Ungeklärt: Wie die Eliten die Demokratie gefährden

Ungeklärt: Wie die Eliten die Demokratie gefährden

Ungeklärt: Wie die Eliten die Demokratie gefährden

Ich hatte ein aufschlussreiches Buch erwartet. Das ist nur bedingt eingelöst worden. Unterschiedliche Weltanschauungen sind ein Grund. Eine mich wenig überzeugende Analyse ist ein weiterer. Die zentrale Aussage bleibt unfundiert: „Wie die Eliten die Demokratie gefährden“. Schade, das Thema ist noch aktueller als beim Erscheinen des Buchs 2018.

Der Soziologe Michael Hartmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Elitenforschung. Seine Argumentation würde ich wie folgt zusammenfassen:

  • Ungleichheit ist ein wachsendes Problem.
  • Verantwortlich sind sozial exklusive, homogene, (groß)bürgerliche Eliten.
  • Diese Eliten haben insbesondere seit 1999 eine neoliberale Politik zum Schaden der Armen durchgesetzt.

Hinter dieser Argumentation stehen einige Werte und Modelle der Realität.

  1. Ungleichheit ist schlecht, soziale Gerechtigkeit, d.h. staatliche Umverteilung, ist ein Schlüssel zur Gleichheit.
  2. Die relativ und absolut Armen werden von den Wohlhabenden unterdrückt, es geht ihnen schlechter. Wohlstand ist ein Nullsummenspiel.
  3. Das statistische Aufzeigen homogener Eliten und das statistische Aufzeigen wachsender Ungleichheit bedeutet, die Ungleichheit resultiert aus der Politik der Eliten mit Macht.
  4. Milieus, machtpolitische Gruppen verfolgen ihre Interessen. Es braucht andere Milieus, andere Gruppen an der Macht.
  5. Umverteilung über staatliche Politik ist die Lösung und kann über außerparlamentarische Aktivitäten erreicht werden.

Nicht oder nur indirekt thematisiert wird die Rolle des Staates und staatlicher Institutionen, darunter die Zins- und Geldpolitik sowie die Wohnungs- und Mietenpolitik. Der Staat erscheint nur implizit als Lösung, nicht als Problem, wird aber von Eliten geleitet. Macht ist eine zentrale Kategorie, die indes nicht definiert wird. Private Aktivitäten, z.B. private Bildung, ist für den Soziologen exklusiv und benachteiligt alle anderen – zugleich wird die herrschende staatliche Bildung nicht als problematisch thematisiert.

Hilfreich wären Einordnungen in Kontexte gewesen. So gibt es seit Menschheitsbeginn nicht nur ungleiche Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten (Lob der Ungleichheit), sondern auch Hierarchien und Schichtungen, die Wohlstand, Einfluss und Fähigkeiten, andere gegen ihren Willen handeln zu lassen, beeinflussen. Die absolute Armut hat seit dem Jahr 2000 bis zur Coronapolitik weltweit drastisch abgenommen. Inwieweit lässt sich eine Politik, die durch wachsende Staatsquoten, zunehmende Bürokratisierung und als ausufernd wahrgenommene Vorgaben gekennzeichnet ist, für das alltägliche Leben als neoliberal kategorisieren? Unterschiedliche Gruppen haben seit je her unterschiedliche Kulturen, ob regional, in Unternehmen, politisch oder beruflich geprägt. Wieso ist das (heute) ein (Eliten-)Problem? Und wie kann das angesichts einer maximalen Ausdehnung des Wohlfahrtsstaates und sozialer Transfers im Staatshaushalt erklärt werden?

Eher amüsant finde ich naheliegende Schlussfolgerungen, die der Autor zwar nicht zieht, aber impliziert, wie: die AfD kann hinsichtlich ihrer Wählerschaft 2018 als Partei der Armen wahrgenommen werden. Demnach wäre die rechte Partei eine Antwort für die von einem linken Autor thematisierten Probleme, den rechten Populismus natürlich ausgeklammert.

Nicht erklärt Michael Hartmann, wie die Gefährdung der Demokratie durch Eliten zustande kommt. Es werden lediglich Korrelationen verwendet, Statistiken im Gefolge von Piketty genutzt, die heute als nicht tragfähig gelten dürfen (Pikettys Anthologie von Irrtümern). Kausale Zusammenhänge fehlen. Einzelfallbeispiele über tatsächliches oder insinuiertes Fehlverhalten von Eliten (legal, moralisch verwerflich, illegal in einem Atemzug) können indes Netzwerkuntersuchungen handelnder Akteure nicht ersetzen. Netzwerkmacht ist eine erkenntnisfördernde Perspektive, die leider nicht analytisch, allenfalls anekdotisch vorkommt. Das Beiratsmitglied von Attac unterstellt, Steuerhinterziehungen wären bei den Reichen gängig und bei normalen Bürgern die Ausnahme. Belege?

Abgehobene Eliten sind ein gängiges Thema in politischen Diskussionen. Interessante Ansatzpunkte liefert Michael Hartmann mit Studien über die Auswahl von Top-Führungskräften und deren Hobbies, weg von klassischer Kultur hin zu (Leistungs-)Sport. Berührungspunkte zwischen links einerseits und liberal andererseits gibt es, etwa beim kritischen Blick auf staatliche und wirtschaftliche Macht: Big Government und Big Business. Die beiden Weltanschauungen trennt, dass Linke Big Government erobern wollen und Liberale einen Rechtsstaat mit geringer Macht beider Lager anstreben. Besonders eindringlich hat Karl Hess (Dear America) private und staatliche Macht adressiert. Das ist die radikale libertäre Alternative. Moderater ist die klassisch-liberale Tradition, ursprünglich mit Richard Cobden, dem „Champion of the poor“, eine linke Politik.

Michael Hartmann: Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2018, 276 S., 22,00 Euro.