Die verbrämte Staatsverschuldung
Die verbrämte Staatsverschuldung

Die verbrämte Staatsverschuldung

Gastbeitrag von Dietrich Eckardt
Neuerdings wird das Finanzwesen für so ziemlich alles verantwortlich gemacht, was ökonomisch in Unordnung geraten ist. Zum Beispiel wird in völliger Verkennung (oder Verdrehung?) der Fakten in der jetzt angebrochenen Phase drohender oder bereits erfolgter Staatspleiten nicht von Schuldenkrise der öffentlichen Haushalte, sondern von Geldkrise („Eurokrise“, „Dollarkrise“, „Yenkrise“) gesprochen. „Der Euro ist in der Krise. Der Euro muss gerettet werden“, heißt es, wo es doch heißen müsste: „Der Staat ist in der Krise, der Staat muss gerettet werden.“ Der im Februar 2012 geäußerte Satz: „Europa scheitert, wenn der Euro scheitert; Europa gewinnt, wenn der Euro gewinnt“ kann als eine von der Obrigkeit bewusst in die Welt gesetzte Falschinformation gelesen werden.

Euro-Rettung ist ein Ablenkungsmanöver

Um das Ablenkungsmanöver und die dadurch bewirkte Verwirrung komplett zu machen, entblödet sich die Obrigkeit nicht, in Bezug z. B. auf den Euro sogar als von einer „Friedenswährung“, und von einem „Herzstück des europäischen Kontinents“ zu sprechen. Bei der „Rettung des Euro“ ginge es um „etwas ganz Großes“, um die „Friedensidee Europas“. Solche Statements – von den politischen Spitzen der bedeutendsten europäischen Wirtschaftsnationen in ernstgemeinter Rede unters Volk gebracht – muss man sich angesichts der Offenkundigkeit der wahren Sachlage auf der Zunge zergehen lassen.
Die von Journalisten und Politikern oft gebrauchte Rede von der „Krise des Euro“ ist entweder dumm oder verdummend. Einerseits zeugt dieser Satz von einer eher schlichten ökonomischen Denkungsart (vorwiegend bei Journalisten anzutreffen), andererseits von einer zur Vertuschung neigenden Denkungsart (vorwiegend bei Politikern anzutreffen). Als ob schlichte Wertmaße – Euro, Dollar, Yen – Maße, die zur Wertmessung für alles Mögliche verwendet werden, unter anderem auch zur Wertmessung von Geld (!) – in eine „Krise“ geraten können! Vom Längenmaß sagt man ja auch nicht „der Meter ist in der Krise“, nur weil die korrekte Längenmessung nicht jedem gelingt.

Exkurs: Der Euro ist eine Wertbezeichnung

Die Wertmaße, mit denen auch die Gelder gemessen werden, erscheinen oft fälschlich mit den Geldern gleichgesetzt. „Geld ist Wertmaßstab“, heißt es. Geld kann zwar, wie jedes andere Tauschgut auch, z. B. Zigaretten, als Wertmaßstab dienen, aber dafür muss sein eigener Wert erst einmal feststehen. Wertmaß und Geld sind zwei wesensmäßig unterschiedene Phänomene. Diese Beobachtung wird bestätigt durch die Aussagen in der Neufassung des Bundesbankgesetzes. Dort findet sich in § 14 die Redewendung „auf Euro lautende Banknoten“, in der offensichtlich die Begriffe Euro (Wertmaß) und Banknoten (Geld) unterschieden werden. Und in § 35 wird dann klar definiert, dass das Wort „Euro“ eine Wertbezeichnung (und nicht ein Geld!) ist. Im Jahre 2000 wurde in Europa kein neues Geld, sondern nur eine neues Wertmaß eingeführt. Das Geld war bereits da! Es wurde von Stund an nur anders gemessen. Kein einziger neuer Cent kam neu hinzu. Es wurden nur Münzen und Scheine gewechselt.
Dass es inzwischen sehr still geworden ist um einige dümmliche Vorschläge, das Griechenlanddesaster ganz auf die Schnelle zu beenden, hat wohl mit einschlägigen Lernprozessen zu tun. Nach dem „Grexit“ hätte sich nämlich nichts geändert. Die Griechen hätten mindesten zwei Wertmaßstäbe gehabt (wie jetzt schon überall sonst auf dem Balkan): die Drachme, den Euro, vielleicht noch den Dollar. Das Wertmaß Drachme hätte den anderen Wertmaßstäben gegenüber inflationiert. Die griechischen Staatsangestellten und danach auch die anderen hätten ihre Gewerkschaftsfunktionäre in Stellung gebracht. Die Straße hätte getobt. Die Arbeitskosten wären hoch geblieben. Noch mehr Investoren hätten sich abgewendet. Auf dem Umweg über den griechischen Staat hätten andere Europäer die griechische Armut genau so weiter gesponsert, wie sie das bisher auch schon getan haben und wie es die Süddeutschen in den Fällen Berlin, Bremen, Saarland u. a Bundesstaaten schon seit Jahrzehnten tun.

Geld und Wert unterscheiden sich fundamental

Die Nichtbeachtung des Wesensunterschieds von Geld und Wert ist mitverantwortlich dafür, dass die Rede von der „Krise des Euro“ auch bei ansonsten recht seriösen Ökonomen aufkommen konnte. Sie hätten es besser wissen können. Sie hätten nur die Analysen des Bewertens bei den Altösterreichern (Carl Menger, Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk) studieren müssen, die völlig unabhängig vom Geldphänomen vorgenommen werden konnten und vorgenommen wurden.

Überschuldung ist das Problem

So konnte das Eurokrisengerede unbescholten zur Ablenkung von der überall um sich greifenden Überschuldung – vor allem der Überschuldung der Staatsbetriebe benutzt werden. Die Eurokrise ist aber vor allem deren Krise, eine Krise, die schon seit Jahren durch Konkursverschleppung kaschiert wird. Mit dem Gerede von der Eurokrise wird die Überschuldung vor allem der Staatsbetriebe verbrämt.
Die umfangreichen Recherchen von Günter Ederer (2011) offenbaren das staatliche Schuldendilemma in brutal ungeschönter Weise. Der Schuldenstand des deutschen Staates, des Staates mit der höchsten Bonität (!) in Europa, war im Jahre 2010 bereits so hoch, dass mit der Schuldensumme elf Türme mit Eineuromünzen gebaut werden könnten, die alle von der Erde bis zum Mond reichten (Entfernung: 384403 km). Oder anders gerechnet: Ein Stapel von frisch gedruckten Fünfhundert-Euroscheinen ergäbe einen Turm von 378 km Höhe und reichte damit ungefähr bis zur internationalen Raumstation.
Die Staatswirtschaften befinden sich schon lange in einer über lange Zeit hin verharmlosten oder gar bewusst verdeckten Schuldenkrise. Die liegt neuerdings öffentlich vor aller Augen. Die in diesem Zusammenhang gern gebrauchte Redeweise „Der Dollar, der Euro usw. ist in der Krise“ (noch einmal: als ob schlichte Wertmaße in eine Krise geraten könnten!) versucht, von diesem Sachverhalt abzulenken. Fakt ist: Die überschuldeten Staatsbetriebe sind in der Krise.

Tilgungsunfähigkeit verursacht Finanzkrisen

Die Tilgungsunfähigkeit der Staatsbetriebe ist der Hauptgrund für die Entstehung großer Finanzkrisen. Als Krisenursachen kommen zwar auch andere Vorkommnisse, z. B. die massenhafte Vergabe von Suprime-Darlehen, in Frage. Aber der ganz große Knall in der Finanzwelt kann – wegen ihrer schieren Größe – nur durch die Staatsökonomie bewirkt werden, und zwar dann besonders, wenn man ihre Tilgungsfähigkeit über lange Jahre hinweg überschätzt bzw. dieses Thema schlicht verdrängt hatte. Diese Überschätzung und Verdrängung und nicht das ungehemmte Einstreichen des Geldes durch die Staatslenker, das ihnen die gläubigen oder gierigen Gläubiger offerieren, ist der Kern des Problems! Insofern kann man es den politisch Verantwortlichen nicht einmal verübeln, wenn sie riesige Schuldenberge aufhäufen. Sie machen nichts anderes als das Geld, was man bereit ist, ihnen zu geben, es ihnen geradezu hinterher wirft, auch zu nehmen! (In manchen Staaten werden Investoren, z. B. Versicherungen, sogar gezwungen, die maroden Staatstitel zu kaufen.)
Daraus folgt: Die Bereitwilligkeit der Geldgeber zum Ankauf von Schuldtiteln maroder Staaten (oder deren Unterwürfigkeit) ist letztlich die Ursache für hohe Staatsverschuldung und Inflation! Blindes und zwanghaftes Sicherheitsstreben, Zinsgier und Unachtsamkeit sowohl bei den Finanzinstituten als auch bei den vermögenden Privatleuten schaufeln den Managern der Staatskonzerne jenes Geld zu, das die für sich selbst und für die Einlösung ihrer „Leistungs“-Versprechen benötigen.

Die modernen Druckerpressen laufen längst

Der Staatsbetrieb und seine Gläubiger wollen so lange wie möglich überleben. Davon profitiert eine umtriebige staatliche Wertschriftendruckerei. Die Staatsdruckmaschinen müssen weiter und weiter laufen, das Ganze notfalls bis ins Unermessliche gesteigert werden. Einige in puncto Wertschriftendruck besonders rührige Staatsbetriebe und deren Tauschpartner (Wertschriftenaufkäufer) sind bisher nur deshalb nicht pleite, weil sie auf dem Rücken der abgabenverpflichteten Bevölkerung anderer Staaten „aufgefangen“ werden. Eine Version dieser Auffangprozedur: Die Europäische Zentralbank kauft Schuldtitel („Wertpapiere“) von Staatsbetrieben auf, die alles andere als bonide sind, die aber um jeden Preis gestützt werden sollen. Übrigens: In Bezug auf die Wertschriftendruckerei, und nicht in Bezug auf die Erzeugung des Währungsgeldes (denn das erzeugt das Bankensystem!) macht die Rede vom „skrupellosen Anwerfen der Druckmaschine durch den Staat“ Sinn.

Staatsfinanzierung ist verboten und wird praktiziert

In Europa ist das direkte Kreditnehmen von Staaten beim Zentralbankensystem zwar untersagt. Es wird aber dadurch unterlaufen, dass Geschäftsbanken und Großinvestoren die von Pleitestaaten erworbenen „Schrottpapiere“ als zentralbankfähig behandeln dürfen. Sie können sie wie die Wertschriften bonider Schuldner zum Nominalwert bei der Zentralbank in Währungsgeld umtauschen. Der Effekt ist: Geldemissionen ohne realisierbare Leistungspotentiale zur Wiedervernichtung (via Tilgung!) des emittierten Geldes. Das hat natürlich Auswirkungen auf die in Umlauf befindliche Geldmenge. Sie ist unzureichend gedeckt. Und sie wächst und wächst. Die Folge ist eine Käuferschwemme. Eine Käuferschwemme erzeugt notwendig Inflation. Inflation ist in derzeitigen hochverschuldeten Staatswirtschaften gewissermaßen programmiert und insofern „systemisch“.
Die Deckung der staatlichen Wertpapiere ist allerdings – und das wollen wiederum die Pleitegurus nicht wahrhaben – zumindest bei einigen Staaten immer noch gut gesichert. Sie ist gesichert durch etwas, dessen schonungslose Erwähnung viele als unflätig empfinden werden: Nichts als die „Bajonette der Exekutive“ sind es, die die Tilgungspotentiale der Staaten zu realisieren vermögen. Sie sind derzeit noch recht scharf, scharf genug jedenfalls für den Eintrieb der „Abgaben“ bei den Staats-Bürgern. Bis auf Weiteres brauchen also Beamtenwitwen nicht zu zittern. Das kann sich schnell ändern. Dann ist Heulen und Zähneklappern angesagt, und nicht nur bei den Beamtenwitwen. Sollten die „Bajonette der Exekutive“ nämlich eines Tages stumpf werden, könnte es eng werden auf dem öffentlich-rechtlichen Versorgungsmarkt.
Hochverschuldete Staaten fanden bisher immer wieder geneigte Gläubiger, um nicht zu sagen: Gläubige. Staatsgläubigkeit und Staatsergebenheit waren ungebrochen. Erst in neuester Zeit zerbröckeln sie. Was der Besitz staatlicher Schuldverschreibungen im Falle eines Zusammenbruchs der klammen Staatskasse bedeutet, darüber können sich inzwischen auch Fantasiedefizitäre ein realistisches Urteil bilden.

Die “Bajonette der Exekutive”

Dennoch vertrauen viele Investoren immer noch mehr dem Staat und seinen „Bajonetten“ als den rührigen Produzenten und den findigen Entwicklern von Gebrauchsgütern. Zu all dem kommt die leichtfertige Zuversicht der Geldgeber, die „Bajonette der Exekutive“ könnten bis auf ewig so scharf gehalten werden, dass sie die Staats-Bürger in ihrer Rolle als Zahlmeister des Staatsbetriebs weiterhin in Schach zu halten vermögen.
Nicht nur der Staat, sondern auch die Staatsgläubiger haben ein vitales Interesse daran, dass die aufgrund dubioser Schuldverschreibungen auf den Markt gelangten „Werte“ möglichst unauffällig im allgemeinen Handelsverkehr verwurstet werden. Außerdem: Sollte der Staat einstmals Gesetze zur Abwicklung von Staatspleiten erlassen, darf darauf gewettet werden, dass sie die Gläubiger schonen. Denn sollte er den Fehler machen, Gläubigervermögen ins Risiko zu stellen, dann würde kein Geldgeber mehr Staatstitel kaufen. Die Staaten müssen ihren Krediteuren versprechen, dass die im Insolvenzfall ungeschoren bleiben, unabhängig davon, ob sie diese Versprechen je einhalten können. Insofern spricht alles dafür, dass ein vernünftiges Insolvenzgesetz für Staatspleiten nie zustande kommt.

“Geldschwemme” und Enteignung

Das Geld, das ein maroder Staat über die Emission von Wertschriften aller Art erlangt bzw. das einzelne Zentralbanken dort, wo es erlaubt ist, durch direkte Kreditvergabe diesem zuschustert, kann gewöhnlich nicht mehr ordnungsgemäß (durch Tilgung!) vernichtet werden. Es bleibt auf dem Markt. Dadurch kommt es zur „Geldschwemme“ – mit den für die Geldnutzergemeinschaft unerfreulichen Folgen: z. B. Enteignung durch Inflation (s. auch meinen Aufsatz „Überschuldung und die Folgen“; veröffentlicht im Forum Freie Gesellschaft).
Beobachtet man all diese Vorgänge aus der Ferne, wird man bei den an verantwortlicher Stelle Handelnden den Eindruck nicht los, den schon ein altes Bibelwort beschreibt: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ In diesem Zusammenhang sei auch an das Bonmot Pierre du Ponts erinnert, das er 1790 vor der französischen Nationalversammlung zum Besten gegeben haben soll: „Schlechte Logiker haben unfreiwillig mehr Verbrechen begangen als schlechte Menschen vorsätzlich.“

Stütze für Banken

Eine abschließende Bemerkung noch zur krisenbedingten Bankenstützungspolitik: Warum Politik im Ernstfall nicht nur bei schwächelnden altersvorsorgenden Versicherungen, sondern auch bei pleitebedrohten Banken helfend einspringt, hat sicher auch mit den auftretenden Problemen im Interbankenhandel bzw. mit der bankseitigen Ängstlichkeit bei der Kreditvergabe in kritischen Zeiten zu tun. Es mag aber auch die etwas freche Annahme realistisch erscheinen und ihre Äußerung deshalb erlaubt sein, dass diese Form der Politik jene Vertriebsorganisationen retten soll, die die dubiosen „Staatstitel“ unter die Leute bringen. Möglichst viele Banken müssen erhalten bleiben, damit die Drückerkolonne des Staates für das Verscherbeln dieser „Titel“ mannschaftsstark bleibt.