Fake News about Fake News
Fake News about Fake News

Fake News about Fake News

Fake News about Fake News

Was wissen Sie über Fake News? Welche Annahmen liegen Ihrer Auffassung zugrunde? Wie wirksam sind Fake News? Dies sind nur drei von vielen Fragen, die Daniel Williams in seinem fulminanten Artikel aufwirft und beantwortet.

Daniel Williams is Lecturer in Philosophy an der University of Sussex und gehört zu den Menschen, die etwas zu sagen haben. Sein Artikel The Fake News about Fake News ist im Boston Review erschienen, einer namhaften amerikanischen Zeitschrift für Politik und Literatur, und trägt den Untertitel: In Foolproof, psychologist Sander van der Linden compares misinformation to viral infection—and claims to have a vaccine.

Aufmerksam geworden bin ich auf den Text durch einen Hinweis in sozialen Medien von Christian Pieter Hoffmann, Universität Leipzig. Ich kann die Lektüre jedem ans Herz legen und für den Kopf empfehlen. Nehmen Sie sich die Zeit und erfreuen Sie sich an dem Erkenntnisfeuerwerk.

Einige Aspekte und Assoziationen von mir:

  1. Das herkömmliche Verständnis von Fake News geht von der Annahme aus, dass diese Falschnachrichten für eine Art Gehirnwäsche bei Lesern führen können und eine Infodemie auslösen können, virusartig.
  2. Ein praktisches Experiment, bei dem im Zuge des Koreakriegs amerikanische Kriegsgefangene erfolgreich einer chinesischen Gehirnwäsche unterzogen worden sein sollen, erweist sich im Nachhinein selbst als Falschnachricht.
  3. Die psychologische Forschung kommt zu dem Ergebnis, das Menschen in ihren Ansichten außergewöhnlich sturköpfig und unbelehrbar sind. Der Fake News Ansatz ist simplizistisch und missachtet die kognitive Funktionsweise von Menschen. Fakten checken ist dementsprechend regelmäßig anzusiedeln zwischen unzulänglich und propagandistisch.
  4. Für Fehlinformation gibt es weder eine brauchbare akzeptierte Definition noch hinreichende Argumente, weil die Realität nicht schwarz und weiß ist, weil Informationen vielfach Kontext abhängig, interpretationsbedürftig und in beträchtlichem Maße abhängig von der jeweiligen Perspektive und dem Erkenntnisinteresse sind.
  5. Falschinformationen existieren und Menschen sind nicht nur regelmäßig unzulänglich informiert, das gilt für Experten und Entscheidungsträger wie für „normale“ Menschen, sondern wollen vielfach nicht umfassend und differenziert informiert sein. Gleichwohl entspricht das simple Bild passiver und leichtgläubiger Informationskonsumenten nicht der Realität.
  6. Neue Informationen werden vor dem Hintergrund des individuell existierenden Wissens, der persönlichen Weltsicht, der mentalen Modelle und dem individuellen Umgang mit über 200 Biases, denen wir ausgesetzt sind, eingeordnet. Bereits die Trennung von Beobachten und Bewerten fällt uns regelmäßig schwer. Das liegt auch daran, dass unsere Identität mit unserer Weltsicht verbunden ist.
  7. Abhilfe schaffen nicht Kampagnen, sondern bessere Institutionen. Das gilt für die Bildung, für die Eliten und die Anreize, denen sie ausgesetzt sind und die sie schaffen. Abhilfe schafft auxh, Abstand zu nehmen von Megaprojekten der Zentralisierung und Einheitlichkeit, weil dort leicht getrennt wird zwischen zulässigen und nicht zulässigen, also zwischen politisch vermeintlich korrekten, somit machtpolitisch konformen und mit selektiven Moralvorstellungen übereinstimmenden Ansichten sowie den Abweichlern, Querdenkern, Schwurblern, Leugnern, Rechten etc. pp.
  8. Fake News sind für Daniel Williams in Bezug auf das von ihm besprochene Buch weder weit verbreitet noch spielen sie für soziale Ereignisse eine nennenswerte Rolle. Menschen seien eher zu skeptisch als zu glaubwürdig (“In general, people are already sophisticated and vigilant social learners, if anything too skeptikal than too credulous.”)
  9. Die Fake News These ist auch insofern simpel, weil sie völlig apolitisch daherkommt und substanzielle politische und wissenschaftliche Fehler einfach nicht annimmt. Die Fake News These ist zudem undemokratisch, weil sie nicht auf Diskurs, sondern technokratische Belehrung setzt. Die Fake News These ist geradezu erleichternd einfach, weil sie gerade auch für die gilt, die ihr anhängen und die Welt in ein schwerz-weiß Schema aufteilen können.
  10. Es lohnt sich in Ruhe – mit System 2 nach Kahneman – darüber nachzudenken, wie wir Menschen denken. Dabei sollten wir mit Gigerenzer den Wert von Bauchentscheidungen berücksichtigen und mit Katharina Schüller unsere Irrtumsanfälligkeit für statistische und stochastische Fehlschlüsse bedenken. Menschen lieben Narrative und tun sich schwer mit Analytik, die nicht nur anspruchsvoll, sondern auch energieraubend ist und bedächtig zustande kommt. Wer nach Erkenntnis strebt, dem bietet die Welt eine unendliche Fülle von Einsichten und Freude – das gilt auch für viele emotionsreiche Schnellschlüsse und humorvolle Disqualifizierungen von Erwünschtem. Hilfreich kann die Unterscheidung sein, wann was angebracht ist.

Unendlich schwerer als die Arbeit an sich selbst mutet die Reform der bestehenden Institutionen an. Hier scheint für Wettbewerb zunehmend ein paralleler Aufbau im eigenen Umfeld hilfreich zu sein.