Komplexitätsökonomik – die Wirtschaftswissenschaft der Zukunft
Komplexitätsökonomik – die Wirtschaftswissenschaft der Zukunft

Komplexitätsökonomik – die Wirtschaftswissenschaft der Zukunft

Komplexitätsökonomik – die Wirtschaftswissenschaft der Zukunft

Russ Roberts bietet mit EconTalk tatsächlich Conversations for the curious. Kluge Einsichten, Anregungen zum Nachdenken, Substanz statt Schnelllebigkeit, Werte für ein gutes menschliches Zusammenleben gehören dazu.

Im aktuellen EconTalk-Podcast „Chaos and Complexity Economics” diskutiert Russ Roberts mit dem Physiker J. Doyne Farmer über Komplexitätsökonomie als relativ neuen und nur in Nischen etablierten Ansatz in den Wirtschaftswissenschaften.

  • Farmer plädiert auf der Grundlage jahrzehntelanger Arbeit für eine neue Art der Ökonomie, die Erkenntnisse aus der Chaostheorie berücksichtigt und genauere Modelle des menschlichen Verhaltens entwickelt als das die Standardökonomie praktiziert und die Verhaltensökonomie zu verbessern suchte.
  • Komplexitätsökonomie soll bessere Vorhersagen als die klassische Wirtschaftstheorie ermöglichen und aktuelle gesellschaftliche Probleme effektiver adressieren. In der Diskussion wird auch angedeutet, aber noch nicht hinreichend ausgeführt, dass es um ein besseres Verständnis von Gegenwart und Vergangenheit geht.
  • Der Ansatz zielt darauf ab, die Wirtschaft als komplexes System zu verstehen, ähnlich wie in der Physik oder Biologie, ohne eine szientistische methodische Übertragung zu praktizieren. Es geht um ein realistischeres Verständnis konkreter ökonomischer Tatbestände, in der Diskussion etwa um den Häusermarkt in Washington auch vor der Subprime Krise.
  • Komplexitätsökonomie nutzt computergestützte Simulationen und Agenten-basierte Modelle, um wirtschaftliche Phänomene zu untersuchen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Analyse von Nichtlinearitäten und Rückkopplungseffekten in wirtschaftlichen Systemen. Quantitative und qualitative Ansätze werden miteinander verbunden.
  • Doyne Farmer argumentiert, dass dieser Ansatz besser geeignet ist, um Finanzkrisen, Ungleichheit und andere komplexe wirtschaftliche Herausforderungen zu verstehen und zu bewältigen.

Russ Roberts fragt auch, warum der Ansatz sich bisher nicht stärker durchgesetzt habe. Zu den Antworten gehört, auch über das, was Farmer thematisiert, hinaus, die Problematik wissenschaftlicher Revolutionen (Popper, Kuhn, Lakatos), die Beharrungskraft des Establishments inkl. der Verfügung über Ressourcen, und – das scheint mir besonders wichtig zu sein – die Tatsache, dass Komplexitätsökonomie wie systemische Analytik nicht so einfach fassbar ist wie die Standardökonomie. Ein Studium der Physik ist aufgrund der methodisch-praktischen Arbeitsweise sehr hilfreich. Noch fehlen griffige Formeln zur Vermarktung, die Komplexität zulassen und zugleich einfach, idealerweise elegant zentrale Aspekte vermitteln, etwa so wie Angebot und Nachfrage regeln den Preis.

Zugleich dürfte sich diese vielfach überlegene Form der Analytik durchsetzen können, wenn das Macht- und das Vermittlungsproblem gelöst werden. Die Analytik ist für komplexe und konkrete Anwendungen einfach besser als die Standardverfahren und die vielfach auf der Metaebene verharrende Wirtschaftstheorie in Diskussionen. Reale Verhaltensweisen von Menschen und Institutionen lassen sich konkret abbilden mit Modellen, die auf komplexen Systemen beruhen, und präzisere, messbare Vorhersagen werden möglich. Allerdings gibt es keine Gewissheit, dass sich das Bessere als Feind des Guten auch durchsetzt.