„Von der Würde des Menschen“ lautete der Titel der Rede, die Udo di Fabio am Mittwoch Abend, den 26. April 2016, anlässlich der Berliner Stiftungswoche im Allianz Forum neben dem Brandenburger Tor hielt. Seine engagiert vorgetragene Botschaft lautete: Die unantastbare Würde des Menschen ist durch eine strukturelle Ambivalenz gekennzeichnet – in der Rechtsperspektive durch eine normative Doppelhelix. Das bedeutet, es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen der global gültigen Norm (der unantastbaren Würde des Menschen) und der durch eine staatliche Gemeinschaft selbstbestimmten Realisierung dieser Norm. Und dieses Spannungsverhältnis gelte es auszuhalten. In der praktischen Politik wird, das machte di Fabio im Verlauf seiner Rede deutlich, die Ambivalenz austariert. Die in Deutschland und Europa praktizierte Flüchtlingspolitik ließe sich nicht zuletzt als Lernprozess begreifen.
Bemerkenswerterweise argumentierte der frühere Verfassungsrichter beginnend mit dem methodologischen Individualismus, der den Ausgangspunkt des Grundgesetzes bilde. Der methodologischen Individualismus sei indes niemals Isolationismus, sondern durch die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch bestimmt und äußere sich daher im Austausch und in der Kooperation mit anderen Menschen: „Methodologischer Individualismus existierte nur in sozialer Verbundenheit.“ Bereits die Verkündung der universalen Menschenrechte sei durch partikulare Interessenvertretungen von Nationen erfolgt, ob in Frankreich, den USA oder später Deutschland.
Eine klare Abfuhr erteilte die Fabio dem kosmopolitischen Imperativ, der seine Berechtigung habe, aber als Primat gleichsam fehl läuft. Es gebe kein überstaatliches Recht, nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen totalitären Gefahren, und auch kein Naturrecht. Recht werde stets durch die Bürger geschaffen. Und Demokratien entschieden wie sie ein humanitäres Schutzversprechen realisieren. Demnach dürfte es im Einklang mit di Fabio keine übergeordnete internationale Pflicht geben wie die Responsibility to Protect (R2P), wenn auch Humanität ein Gebot bleibt.
In seinen praktischen Politikbezügen warnte Udo di Fabio mit Immanuel Kant vor einem zu weit getriebenen Zentralismus in Europa. Die Menschen wollten ihren Anspruch auf Selbstregierung nicht verlieren und die Mitgliedstaaten mehr Eigenbestimmung entfalten. Zugleich hielt er ein knappes Plädoyer für die europäische Einigung, nicht zuletzt als Friedensprojekt. Indes sei die Voraussetzung für Souveränität und Humanität die eindeutige Regelung der Einreisebestimmungen.
Die Rede schloss mit dem Blick auf das Individuum und mit der erinnernden Aufforderung, in dem Anderen das eigene Selbst zu sehen. Zusammen mit Rechtstreue sei dies unerlässlich für eine freie Gesellschaft. (mvp)