erschienen in Novo Argumente 124 (2017) 2, 291 – 298.
– Der Verkauf des Hefts startet am 10. Januar 2018 –
Populismus – Elitenbashing – struktureller Reformstau und soziale Ungerechtigkeit. Diese Schlagworte bezeichnen gesellschaftliche Konflikte in Deutschland und Europa. Zukunftssorgen kommen hinzu – in einer Zeit, in der Frieden in Europa herrscht und es sich eigentlich gut leben lässt. Unbehagen macht sich breit. Die Parteienlandschaft verändert sich, europaweit. Irgendetwas ist faul.
Wer sich auf die Spurensuche macht, wird rasch die Frage stellen: Gibt es eine verbindende Ursache? Möglicherweise hängen die Kritik an den Eliten und Herrschenden mit der Eurokrise und der EU-Krise sowie der Massenmigration zusammen. Auffällig ist, dass Zentralismus und Bürokratie zunehmen, während die Eliten von der Bevölkerung wegrücken, geradezu entrückt scheinen, aber weiterhin die Deutungshoheit für sich beanspruchen.
Im Zuge der Finanzkrise hat sich Widerstand formiert, längst geht der Dissens weit über monetäre Aspekte hinaus. Neue Parteien treten an und in sozialen Medien dominieren zunehmend andere Ansichten als im politischen Establishment. Die Werte und Ziele der Elite stimmen vielfach nicht mit den Werten und Zielen der Bevölkerung überein.
Die Eliten fühlen sich in ihrer Deutungshoheit bedroht und reagieren mit hilflosen Öffentlichkeitskampagnen und nervöser Sprachreglementierung. Die von Parteien durchsetzten öffentlich-rechtlichen Medien im Verbund mit dem Mainstream der Publizistik geben die linke und rechte Grenze der öffentlichen Meinung vor. Die Kluft vergrößert sich. Längst mischt sich der Staat in immer mehr Bereiche des Alltagsleben der Menschen ein, bis ins Detail der Mülltrennung und Meinungsäußerung – vielfach mit Zustimmung großer Bevölkerungsgruppen, aber immer auch unter Ablehnung anderer.
Es erstaunt nicht, dass Menschen eine, wenn auch diffuse Gruppe ausmachen, die an den Schalthebeln der Macht sitzt. Wer ist die Gruppe? Wie funktioniert ihre Herrschaft?
Von der Technostruktur der Planwirtschaft …
Der linksliberale Sozialkritiker und keynesianische Ökonom John Kenneth Galbraith hat Ende der 1960er Jahre den Begriff Technostruktur geprägt. Damit bezeichnete er eine neue gesellschaftliche Führungsschicht. Zum Hintergrund: Galbraith folgte Schumpeters These von einer allmählichen Konvergenz von Marktwirtschaft und Planwirtschaft. Während früher Eigentümerunternehmer die Märkte prägten, waren es nach Galbraiths Auffassung im Zuge des 20. Jahrhunderts zunehmend Konzerne, die von Managern geführt wurden und über zahlreiche Experten verfügten. Rasch wachsende Spezialisierung und technologische Entwicklung erforderten angesichts immer komplexerer Probleme immer mehr Bürokraten und Spezialisten. Unternehmer wurden von Spezialisten verdrängt. Unternehmen werden von einem immer größeren bürokratischen Apparat gesteuert. Planung wurde zur Leitfunktion, wie beim Staat so bei Großunternehmen.
Zur Technostruktur gehören für Galbraith politisch und ideologisch weitgehend neutrale Planungsstäbe, Fachleute wie Techniker, Wissenschaftler, Ingenieure und Vertriebsmitarbeiter, kurz: die ganze Führungsgarnitur vom leitenden Manager bis zum Vorarbeiter. Die Technostruktur bildete für den einflussreichen Ökonom die richtungsweisende Intelligenz des Unternehmens. Allerdings machte die Technostruktur nicht an den Unternehmensgrenzen halt, sondern prägte seiner Ansicht nach Wirtschaft und Gesellschaft. Zugleich verlagerte sich die Macht auf die Technostruktur. Galbraith glaubte eine zunehmende Unternehmenskonzentration zu beobachten, die er auf eine Verschränkung von Technik, verstärkter Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation zurückführte. Ziel der Technostruktur sei es, den Markt zu kontrollieren und letztlich auszuschalten. Folglich würden sich Kapitalismus und Sozialismus annähern.
… zur Nomenklatura demokratisch-bürokratischer Gesellschaften
Schumpeters und damit Galbraiths Konvergenzthese war offenkundig falsch. Unternehmen, insbesondere Konzerne, entwickelten sich nicht zu langfristig planenden, alles dominierenden Organisationen, zu Bürokratien, die den sowjetischen Kombinaten ähnelten. Der Kapitalismus hat sich nicht dem Sozialismus angenähert. Allerdings ist nach der Implosion des Ostblocks ein raumgreifender Etatismus im Westen unübersehbar. Der Etatismus ist Teil des Dritten Weges. Dessen Verfechter treten bekanntlich seit dem Zweiten Weltkrieg für einen Mittelweg ein, der weder Sozialismus noch Kapitalismus sein soll, aber beide unheilvoll vermischt und noch dazu den liberalen Rechtsstaat schädigt. Heute nennt man das demokratischer Wohlfahrtsstaat.
Globalisierung und Individualisierung sind die vielleicht wichtigsten Gegenkräfte. Disruptive Entwicklungen in Wirtschaft und Politik sind ein Phänomen unsere Zeit. Plakativ formuliert treffen Startups und Sezessionsstreben auf eine gewandelte Form der Konvergenzthese, die in Deutschland und Europa viele Anhänger insbesondere unter den Führungseliten hat: Zentralismus und Homogenisierung der Lebensverhältnisse durch die EU, verbrämt als europäischer Einigungsprozess.
Begreift man die von Galbraith definierte Gruppe dennoch als nützliche Anregung, dann fällt auf, dass die Technostruktur nicht (nur) nach Gewinnmaximierung strebt, sondern (vor allem) nach Ausdehnung ihrer Macht. Dafür ist Staatsnähe hilfreich und letztlich unumgänglich. Folglich sind die Mitglieder der Technostruktur zugleich Befürworter einer staatlich korrigierten, im Grunde umfänglich gelenkten Wirtschaft.
Eine Übertragung des Konzepts auf die heute herrschenden Eliten macht den Blick frei für folgende Gruppen einer modernen technokratischen Struktur: Angehörige der Staatsbürokratie auf allen vier Ebenen (EU, Bund, Länder, Kommunen), Parteimitglieder in Behörden und öffentlichen Unternehmen, Manager von Konzernen, insbesondere von Finanzinstituten und der ökologistischen Energiebranche, ferner Medienvertreter, insbesondere in den öffentlichen Sendern, und staatsnahe Kulturschaffende, schließlich, aber nicht schlussendlich Lehr- und Erziehungskräfte an staatlichen Schulen, Hochschulen und Kindergärten.
Diese Gruppen sind nicht mehr technisch, sondern ideologisch getrieben: EUismus, Ökologismus, Etatismus und Dirigismus sind vier Säulen und Glaubensbekenntnisse. Die im Zuge von Energiewende, Finanzkrise und Kampf gegen den Terrorismus noch einmal ausgeweitete Staatsaktivität hat viele Anhänger. Der Dritte Weg wird von Personal gebahnt und beschritten, das sich als Nomenklatura demokratisch-bürokratischer Gesellschaften begreifen lässt.
Nomenklatura bezeichnet alle Führungspersonen in sozialistischen Ländern, also die Eliten in Partei, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft.
Im Kalten Krieg galt sie als Instrument der Kaderpartei. Stets waren ihre Mitglieder linientreu, parteiergeben, politisch korrekt. Deshalb war auch von Apparatschiks die Rede und vom Bonzenstaat. Die aktuelle Elitenkritik scheint mit ihren Vorwürfen von „denen da oben“ nicht allzuweit davon entfernt zu sein.
Das Konzept der Parteienherrschaft erklärt in der Politikwissenschaft die Konzentration der Staatsgewalt in den Händen organisierter Gruppen. Parteien werden als Interessenorganisationen verstanden, die dem Nutzen ihrer Mitglieder dienen, die wiederum vielfältige Aufgaben gerade in der kommunalen Verwaltung und der kommunalen Wirtschaft übernehmen.
Nicht nur angesichts schwindender Mitgliedszahlen der Parteien wie auch der Gewerkschaften scheint dieser Ansatz ergänzungsfähig. Die Nomenklatura des demokratischen Wohlfahrtsstaates ist diffuser und umfassender, zumal sie nicht zentral geplant wird. Die Bürokratie ist Ausdruck ihrer Arbeitsweise. Beide sind mit einer offenen, pluralistischen Gesellschaft unvereinbar.
Herrschaft der Bürokratie
Bürokratie funktioniert nach ganz eigenen Mechanismen. Es lohnt sich, die Bürokratietheorie wiederzubeleben, weil sich der Staat längst eine Steuerungskompetenz anmaßt, die im Widerspruch zu einer offenen Gesellschaft und zur Marktwirtschaft steht. So ist Recht in einer offenen Gesellschaft keinem Zweck unterworfen, sondern schützt den Entfaltungsraum von Individuen und Organisationen. Die Adepten des Wohlfahrtsstaates nutzen Gesetze hingegen, um Sonderinteresse zu privilegieren.
Einen tiefen Einblick in das Wesen der Bürokratie bietet Ludwig von Mises mit seinem kleinen, ungemein lesenswerten Büchlein „Bürokratie“, geschrieben schon 1944. Bürokratie – in der übersteigerten Form als Bürokratismus – ist die Herrschaft des Büros bzw. der Verwaltung.
Innerhalb einer festen Hierarchie nehmen die Bürokraten festgelegte Kompetenzen wahr. In positiver Form geschieht dies sachkundig, rational und rechtsgebunden, so dass die Vorschriften dem menschlichen Zusammenleben dienen und Vorschriften nicht über den Menschen gestellt werden. Das Problem ist nicht die Bürokratie an sich, sondern ihre Ausdehnung und ihre Existenz in Lebensbereichen, in denen sie nichts zu suchen hat. Die Bürokratie neigt dazu, sich auszuweiten und zu verfestigen (Wagnersches Gesetz der zunehmenden Staatstätigkeit).
Bürokratie ist für Mises eine Verwaltungstechnik und Organisation, die Regeln und Maßnahmen zur Ausführung des Willens der obersten Behörde nach sich ziehen: „Bürokratisch heißt die Art der Geschäftsführung, die sich an genaue Regeln und Vorschriften halten muss, welche wiederum von der Autorität einer übergeordneten Person festgelegt werden.“ konstatiert Mises und fährt fort: „Die Aufgabe des Bürokraten liegt in der Ausführung dessen, was diese Regeln und Vorschriften ihm auftragen. Seine Freiheit, nach eigener, bester Überzeugung zu handeln, wird durch sie bedeutend eingeschränkt.“
Was Menschen beklagen, sind weniger die Symptome, heute in Berlin z.B. komplizierte und teure Dienstleistungen, die die Bürger nutzen müssen, um etwa eine Genehmigung zum Absägen eines Baumes oder zum Ausräuchern eines Hornissennestes benötigen. Tatsächlich leiden sie unter dem unfreiwilligen Verlust ihrer Handlungsfreiheit. Hier setzt eine liberale Elitenkritik an.
Paragraphenrausch
Die Bürokratisierung unseres Lebens ist ein allgegenwärtiges Phänomen. Vor Kurzem erschien etwa ein Buch des Spiegel-Autors Alexander Neubacher mit dem Titel „Total beschränkt. Wie uns der Staat mit immer neuen Vorschriften das Denken abgewöhnt“. 246.944. Das ist die Zahl der Bundesvorschriften, die die Bürger beachten und einhalten müssen. Diese Zahl haben, so Neubacher, Fachleute des Bundesjustizministeriums ermittelt. Vor zehn Jahren schrieb Wieland Kurzka noch seinen „Paragraphenrausch“ auf der Grundlage von 80.000 Vorschriften. In beiden Fällen bilden irre Vorschriften nur die Spitze des Eisbergs; sie resultieren nicht aus einer Verschwörung, sondern spiegeln vielfach wider, was die Bürger von der Politik verlangen oder auch bereits sind, zu erdulden.
Mindestlohn und Mietpreisbremse gehören genauso dazu wie Frauenquote und der Schutz von Schlüsselindustrien. Insbesondere seit der Finanzkrise hat die Regulierung – von der Wiege bis zur Bahre: Vorschriften, Nudging, Formulare – noch einmal kräftig zugenommen. Enthaltsamkeits- und Sittlichkeitsstaat, Kontrollstaat und staatlicher Paternalismus bilden eine Einheit. Getragen werden sie von der Nomenklatura des demokratischen Wohlfahrtsstaates.
Direkte Folge dieser „gesetzgeberischen Inkontinenz“, die durch handwerklichen Pfusch sowie Alibi- und Verhinderungsgesetzgebung noch verstärkt werde, seien Ungerechtigkeit, weil die Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben wird, ferner Freiheitsverlust und Standortnachteile.
Diese Überzeugung stammt immerhin von Daniel Zimmer, früherer Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn. Als Ausweg empfiehlt er, das Recht wieder so zu sehen, wie es seine ureigenste Aufgabe ist, nämlich das eigenverantwortliche Handeln der Menschen zu unterstützen.
Der Rechtsordnung komme gerade nicht die Aufgabe zu, Wirtschaft und Gesellschaft nach den Vorlieben von Politikern oder Spitzenbeamten zu gestalten: „Das Recht dient vielmehr den Menschen als eine Infrastruktur zur Ausübung von Freiheiten.“ Sein lesenswertes konzises Buch „Weniger Politik! Plädoyer für eine freiheitsorientierte Konzeption von Staat und Recht“ enthält auf dem Cover das Zitat: „Unsere Freiheit ist in Gefahr, weil die Politik immer mehr Lebensbereiche mit beschränkenden Regeln erfasst.“
Vollständige Verstaatlichung
Einen ähnlichen Schluss zog bereits Ludwig von Mises in seinem Buch „Die Bürokratie“ (1944). Er warnte zeitlos, dass eine staatliche Aufsicht der Wirtschaft letzten Endes unvereinbar mit jeder Form verfassungsmäßiger und demokratischer Regierung sei. Eindringlich wie kaum ein anderer wies der österreichische Ökonom darauf hin, dass der Weg der Preiseinmischungen letztlich in eine vollständige Steuerung der Wirtschaft führt. Nimmt man Nomenklatura und Bürokratie zusammen, so wird deutlich, dass es sich um weit mehr als nur die Lenkung der Wirtschaft handelt, nämlich um das Management der gesamten Gesellschaft.
Die Nomeklatura des demokratischen Wohlfahrtsstaates bestimmt aufgrund politischer Vorgaben, was wie produziert wird: Strom per Windkraftwerk und Photovoltaik, Elektroautos statt zuvor per Abwrackprämie geförderter Autos mit Verbrennungsmotor, Gemüse statt Fleisch für den guten ökologischen Fußabdruck, bloß keine Gentechnik, dafür landwirtschaftliche Flächen für Biosprit statt Nahrungsmittel.
Selbstverständlich werden Preise reguliert, mit Mindestlöhnen nach unten und Mietpreisdeckelung nach oben. Hinzu kommen Eingriffe in die Personalauswahl (Frauenquote) und die Beschränkung der Produktion und des Güterverkehrs durch Genehmigungen, Konzessionen und Zölle, die vom Gutdünken eines Bürokraten abhängig sein können. Rauch-, Drogen-, Prostitutions- und Glücksspielverbote sind moralisch geboten.
Der politisch-korrekte Lifestyle wird von der Nomenklatura vorgegeben.
Der Markprozess ist hingegen durch Unternehmer gekennzeichnet und wird von den Verbrauchern bestimmt, den wahren Herrscher in der Marktwirtschaft. Sie bestimmen über Menge und Qualität der Produkte.
Die Marktwirtschaft ist eine Verbraucherwirtschaft, die bürokratisch gelenkte Wirtschaft eine Produzentenwirtschaft. In einer Marktwirtschaft werden Menschen nach dem Dienst an Mitmenschen bewertet. Die offene Gesellschaft ist durch eine Fülle divergierender Meinungen und Werte gekennzeichnet, durch alltägliche Diskriminierung, aber auch durch eine Harmonie der unsichtbaren und der tatkräftigen Hände der Bürger. Das nennt man Pluralismus.
Hierarchie statt Harmonie: bürokratisches Handeln der Nomenklatura
Die Nomenklatura unterliegt vollständig dem bürokratischen Prinzip. Schwerpunkt bürokratischer Tätigkeit ist es, Formalitäten einzuhalten.
Vorgaben, Anweisungen und deren Einhaltung sind für die Nomenklatura wichtiger als echter Erfolg, zumal der kaum messbar ist. Noch seltener werden Opportunitätskosten erhoben, wie das Bjorn Lomborg zur erfolgreichen Verbesserung von Regierungen beispielhaft in Bangladesh getan hat. Häufig ist es nicht einmal möglich, den Bedarf für eine bürokratische Tätigkeit überzeugend zu begründen, geschweige denn zu quantifizieren oder in ein Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu setzen.
Den Erstellern bürokratischer Leistungen sind zuweilen nicht einmal die Abnehmer bekannt, da keine Übersicht vergleichbar mit einer Marktanalyse der Konsumenten existiert. Kein Wunder, dass Tatkraft und Unternehmergeist verloren gehen. Schon Mises warnte, dass bei staatlicher Wirtschaftslenkung den Parlamenten nur die Aufgabe des Ja-Sagers bleibe.
Das erinnert fatal an den Bundestag in der Finanzkrise.
Zugleich ist die Perspektive der Nomenklatura demokratischer Wohlfahrtsstaaten kaum je die Gleichheit aller Menschen. Entweder ist das Ziel die Privilegierung von Gruppen oder die Durchsetzung mehr als fragwürdiger gesellschaftspolitischer Erziehungsprogramme, etwa unter den Schlagwörtern des Genderismus, Klima-Alarmismus oder der politischen Korrektheit. Der Staat kann ohnehin nicht jemanden besserstellen, ohne jemand anderen schlechter zu stellen, sobald er mehr als allgemeine Gesetze erlässt. Es spricht viel dafür, dass die “soziale Gerechtigkeit” deshalb zur Leitidee erkoren wurde, weil sie als Kompensationsideologie für die Durchsetzung bürokratischer Bewirtschaftung dient. Sie ebnet staatliches Handeln in allen Lebensbereichen den Weg und schafft eine moralische Rechtfertigung. Moral tritt an die Stelle des Rechts. Der liberale Rechtsstaat weicht der moralisierenden Lebensbestimmung der Nomenklatura des demokratischen Wohlfahrtsstaats. Gesetze legalisieren das Vorgehen. Im Namen der Alternativlosigkeit verhält es sich ähnlich bei der EU und der EZB wie Markus C. Kerber prägnant in „Wehrt Euch Bürger! Wie die Europäische Zentralbank unser Geld zerstört“ schildert. Bekanntlich geht die EU-Bürokratie nach dem Prinzip vor: Tun, was gefällt, bis sich Widerstand regt. Und bei alldem gilt heute mehr denn je, Dilettanten, Kurzfristdenker und Politaktivisten dominieren die Staatsbürokratie. Nur gut, dass es auch „Reformbeamte“ und einige Koryphäen gibt.
Auffällig ist, dass in Bürokratien eine verbreitete Haltung existiert, für alles eine pragmatische Lösung finden zu können und zu müssen. Das führt zu einer eigentümlichen Mischung aus Aktivismus und Faulheit, aus zu spätem oder zu frühem Handeln. Bis die Flüchtlingsströme unübersehbar geworden sind, verhält sich die Bürokratie abwehrend, dann unvergleichlich träge.
Wenn die Konjunktur aus Sicht von Politik und Bürokratie schwächelt, werden Konjunkturpakete geschnürt, die sich erst im bereits begonnenen Aufschwung auswirken.
Ungeachtet dessen hat die Bürokratie immer Recht. Die Argumentation lautet: Wir müssen handeln, um schlimmeres zu verhindern. Wenn nichts besser geworden ist, lautet die Argumentation: Gut, dass wir gehandelt haben – das war ein Erfolg, sonst wäre es schlechter geworden. Stets soll Pflichterfüllung ausreichen, um ein nützliches Mitglied zu sein und für Unzulänglichkeiten nicht verantwortlich gemacht zu werden.
Dementsprechend herrscht die Auffassung, die Gesellschaft schulde ihren Beamten ein Beamtengehalt.
Fatale Folgen
Die schleichende Verstaatlichung und Bürokratisierung bleibt nicht folgenlos. Nach der Implosion des real existierenden Sozialismus ist das Gespür verloren gegangen, wohin sich die westlichen Gesellschaften bewegen. Sinkende Innovationen, sinkende Investitionen und abnehmendes Produktivitätswachstum sind Alarmsignale. Und die Reallöhne sind durch die staatliche Geldpolitik unter Druck, hinter der Entwicklung der Gehälter in der Finanzindustrie bleiben sie ohnehin seit Jahrzehnten zurück.
Insbesondere Mises und Hayek, zuletzt auch Vito Tanzi, haben in ihren Schriften perspektivenreich aufgezeigt, wie die Eingriffe in die freie Koordination der Menschen erst die Probleme schaffen, die anschließend durch vermehrte Eingriffe gelöst werden sollen und doch meist nur verschärft werden.
Die Macht der Bürger über den Staat ist einer Macht der demokratischen Nomenklatura über Staat und Bürger gewichen. Das Denken wird beherrscht von sozialem Management, von Planbarkeit und Steuerbarkeit der Wirtschaft und der Gesellschaft. Der Bürger verliert seine Rolle als Souverän und wird zum schutzwürdigen Verbraucher. Die gelenkte Gesellschaft tritt an die Stelle der spontanen Ordnung einer offenen Gesellschaft. Deswegen ist Aufklärung unerlässlich. Die Rückführung der Staatstätigkeit auf ihren Kern ist das Ziel, damit die Bürger wieder frei atmen können.