Ausgabe 4/2016 der Wirtschaftspolitischen Blätter
Sparen bedeutet Nichtkonsumieren. Sparen heißt für die Zukunft vorsorgen – mit Kapital von heute. Wer spart, kann in der Zukunft mehr konsumieren, vorausgesetzt das Kapital wurde produktiv verwendet. Die einzige Alternative besteht darin, mehr zu arbeiten. Sparen bedeutet nicht, etwas nicht auszugeben, was man nicht hat. Diese Klarstellung ist von Bedeutung, wird doch ein Rückgang von Staatsausgaben fälschlich als Sparen bezeichnet, obwohl keine Rücklagen gebildet werden.
Seit den 1990er Jahren wuchsen die privaten und staatlichen Konsumausgaben in Österreich und Deutschland rapide an. Die Konsumausgaben wuchsen schneller als die verfügbaren Einkommen, folglich sank die Sparquote. Steigender Wohlstand rechtfertigt nicht, statt auf Sparen auf noch mehr Konsum als Wachstumstreiber zu setzen. Vielmehr sind Sparen und Strukturreformen die Aufgaben unserer Zeit – sie fördern Wachstum. Das Sparverhalten ist Ausdruck der Haltung der Menschen zur Gegenwart und Zukunft. Da Sparen von der individuellen Möglichkeit des Konsumverzichts und persönlichen Motiven abhängt, sollten weder Wissenschaft noch Politik lenkend eingreifen.
Konsum und Krise – ein dogmengeschichtliches Dauerthema
Mehr konsumieren und weniger sparen oder aber mehr sparen und weniger konsumieren? Die Frage ist Teil wirtschaftspolitischer Debatten seit nunmehr etwa 100 Jahren. Intensiviert wurde die Auseinandersetzung seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und den Theorien von John Maynard Keynes. Seitdem hat sich das von Jean Baptiste Say formulierte Axiom, das Angebot schaffe sich die Nachfrage, in umgekehrter Variante in den wissenschaftlichen und politischen Vordergrund gedrängt. Im deutschsprachigen Raum hielt der Keynesianismus nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug, um zuletzt in der aktuellen Krise mit allen verfügbaren Mitteln angewandt zu werden.
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierten im deutschsprachigen Raum Überproduktions- oder Unterkonsumptionstheorien, um Wirtschaftskrisen endogen zu erklären. Gegen die klassische Ökonomie setzten die Kritiker des Kapitalismus die Vorstellung eines systematischen, Krisen schürenden Defizits, das im Unterkonsum der Massen und einer Überkapitalisation der Unternehmer bestand, die – so die Annahme – vermehrt sparten. Bereits vor rund 150 Jahren bestand also die Auffassung, soziale Ungleichheit zöge zu wenig Konsum und zu viel Sparen nach sich.
Die Kathedersozialisten im Verein für Socialpolitik befürworteten staatliche Interventionen zu Gunsten der Arbeitnehmer in Form von Erwerbslosenfürsorge oder höheren Löhnen. Dahinter stand die Auffassung einer zwangsläufigen Gerechtigkeitslücke, die aus der objektiven Arbeitswertlehre abgeleitet wurde. Eine Wirtschaftskrise könne nur dann überwunden werden, wenn der Anteil des Konsums am Sozialprodukt steigt, sodass alle Produktionsanlagen genutzt werden und die Arbeitslosen Beschäftigung finden. Allerdings kann diese Theorie den Aufschwung aus der ver-meintlich zementierten Krise nicht erklären. Die deutsche Wirtschaft erholte sich nach chronischen Krisen wie 1873-79 und 1882-87 von allein. Später kamen staatliche Konjunkturprogramme zu spät, wie in der ersten Nachkriegsrezession 1967. Zugleich war die Stagflation der 1970er Jahre nicht zuletzt den staatlichen Konjunkturpaketen geschuldet, die, zusammen mit den Belastungen des Sozialstaats, die Entfaltung der marktwirtschaftlichen Selbstheilungskräfte behinderte.
Wachstumsüberhöhung: Makroökonomie ohne Mikrofundierung
Heute besteht die Herausforderung nicht in der Überwindung einer akuten, sondern einer strukturellen Krise. In Deutschland hat die Politik seit 1967 mit dem Stabilitätsgesetz die Verantwortung für Wirtschaftswachstum übernommen. Wesentlicher Treiber soll der Konsum sein.
Mehr Wachstum durch mehr Nachfrage?
Das Ankurbeln der Wirtschaft ist schon als Bild falsch: Die Wirtschaft ist keine Maschine, sondern eine soziale Ordnung. Würden die Menschen nur mehr nachfragen, dann würde die Wirtschaft auch stärker wachsen. Dieser Trugschluss ist ein Doppelfehler: Es gilt nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen Konsequenzen zu berücksichtigen, sowie die Auswirkungen auf mehr als nur eine isolierte Gruppe. Menschen können nur mehr konsumieren, wenn sie weniger sparen, wodurch das Kapital für Produktivitätssteigerungen und künftiges Wachstum fehlt.
Die Idee, dass (mehr) Geld in den Händen der Konsumenten den Unternehmen zu Gute kommt und so Wachstum befeuert, ignoriert, dass das Geld irgendwo herkommen muss; außerdem fragen nicht nur Konsumenten Güter nach, sondern auch Unternehmen. Diese Erkenntnis führte zusammen mit der monetaristischen Revolution ab den 1970er Jahren zu Strukturreformen und zu einem Schwenk in Richtung Angebotspolitik. Mehr Wachstum durch mehr Nachfrage: Wie kann es angesichts knapper Güter auf individueller Ebene auf der volkswirtschaftlichen Ebene eine knappe Nachfrage geben?
Eine spezifische Krisentherapie als permanente Politik?
Ideengeschichtlich geht die Vorstellung, man könne die Wirtschaft ankurbeln, wesentlich auf John Maynard Keynes zurück. Seine in der „Allgemeinen Theorie“ geäußerten Überlegungen fielen in das 18. Jahrhundert zurück und stellen schon für Zeitgenossen eine „Nationalökonomie der Illusion“ dar, auch weil sie nur für eine Wirtschaft gelten könnten, in der die Marktteilnehmer sich der monetären Veränderungen nicht bewusst seien. Tatsächlich handelt es ich bei der Allgemeinen Theorie um einen spezifischen politischen Vorschlag zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise, der allenfalls für eine sekundäre Depression geeignet erscheint, einer selbstverstärkenden Abwärtsspirale der Wirtschaft, die durch fiskalische und monetäre Interventionen des Staates ausgelöst wird.
In Bezug auf das Sparen sei jedoch richtiggestellt, dass es kein Spar- oder Hortungsproblem gibt, solange sich der Kapitaleinsatz lohnt. Eine Investitionslücke gibt es demnach nicht: Sparen kann auch einfach Abwarten heißen. Solange die Gewinnaussicht fehlt, um den Unternehmer zu einer Investition zu veranlassen, hilft es nicht, wenn der Staat Unternehmer spielt.
Konsum und Sparen: die individuelle Perspektive
Wirtschaft, Wachstum oder Staat sind Aggregate, die weder handeln können noch einen Wert unabhängig von den Menschen besitzen. Konsumieren und Sparen können nur Menschen. Ihre individuelle Zeitpräferenz bestimmt die Sparneigung. Wer eine kurzfristige oder niedrige Zeitpräferenz hat, der zieht den Konsum jetzt vor. Eine Gesellschaft, in der Individuen mit einer kurzfristigen Zeitpräferenz dominieren, ist eine Konsumgesellschaft.
Die Anfälligkeit für Krisen nimmt beträchtlich zu, wenn der Konsum dauerhaft nicht durch gesparte Mittel, sondern durch Schulden finanziert wird. Solange Kapital zufließt scheint das unproblematisch zu sein, indes führt ein Versiegen des Kapitalstroms zu einer Krise. Versuche, durch Drucken von Geld und Steuererhöhungen das Ausgabenniveau beizubehalten, bleiben nicht folgenlos und wirken langfristig kontraproduktiv.
Die Zeitpräferenz besitzt eine wichtige gesamtwirtschaftliche Bedeutung, da sie den natürlichen Zins bestimmt. Zinsen sind Ausdruck des Verhältnisses von Sparen und Konsum. Eine niedrige Zeitpräferenz führt dazu, dass wenige Ersparnisse zur Verfügung stehen, während eine hohe Zeitpräferenz für viele Ersparnisse sorgt. Eine marktwirtschaftliche Ordnung ist in der Lage das richtige, den Präferenzen entsprechende Preissignal, zu übermitteln. Problematisch ist ein über Zentralbanken festgesetzter Leitzins, der vom natürlichen Zins abweicht.
Zu viel Konsum, zu wenig Sparen
In einer Krise werden Fehlinvestitionen aufgedeckt, die auch als Überinvestitionen bezeichnet werden. Monetär bedingte Finanzkrisen beruhen auf einem künstlich angefachten Boom, der eine Bereinigung erforderlich macht. Die Rückkehr zu tragfähigen Strukturen tritt als Krise in Erscheinung. Kredite, die auf künstlich geschöpftem Geld beruhen, scheinen zunächst mehr Investitionen zu ermöglichen – eigentlich unrentable Investoren bekommen nun auch Finanzmittel.
Stellt sich im Laufe der Zeit heraus, dass nicht genug Kapital für die Fertigstellung aller Projekte verfügbar ist, bekommen die Investoren mit den schlechtesten Kalkulationen nicht mehr ausreichend Kapital. Das kann zu einer Rezession führen, weil das auf billigem Geld beruhende Wachstum keine realwirtschaftliche Grundlage besitzt. Langfristig führen strukturelle Fehlinvestitionen, z.B. durch falsche Anreize im Immobiliensektor, zu einem Kapitalmangel für Innovationen und Infrastruktur. Die Folge: nachlassendes Wachstum.
Die These der „säkularen Stagnation“ wird erneut präsentiert, nach Alvin Hansen 1938 nun von Lawrence Summers – sie überzeugt in keinem Fall. Tatsächliche Ursache sind zu niedrige Zinsen, die Verschuldung wird für Konsum statt Investitionen genutzt, die schöpferische Zerstörung wird ausgehebelt, Blasen werden aufgepumpt, die Finanzindustrie ist überproportional groß und zieht kluge Köpfe von produktiven Tätigkeiten ab. Das Produktivitätswachstum ist entscheidend für das Pro-Kopf-Wachstum, wichtigster Treiber ist der technische Fortschritt. Konsum hilft in dieser Konstellation nicht, stattdessen müssen die Löhne wieder langsamer als die Produktivität steigen. Strukturreformen sind gefordert, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Sparen sorgt für Wohlstand und Wachstum
Sparen ist ein alternativloser Bestandteil von Produktion und Wachstum. Wir produzieren heute nicht für den sofortigen Konsum, sondern schlagen Umwege ein, indem wir Produktionsgüter und Dienstleistungen als Zwischenschritte einsetzen und erst nach einem längeren Prozess unter Beteiligung vieler Akteure ein Konsumgut erzeugen. Sparen ermöglicht mehr Spezialisierung und mehr Arbeitsteilung, mehr Innovationen und deren Realisierung.
Durch Sparen entstehen nicht nur mehr Konsummöglichkeiten. Das nicht konsumierte Kapital kann anderen Menschen für Produktionszwecke zur Verfügung gestellt werden. Wer spart statt zu konsumieren erhöht das verfügbare Kapital für Investitionen. Der Zins signalisiert den Investoren, dass ausreichend Kapital auf der Grundlage ihrer Rentabilitätsberechnung zur Verfügung steht.
Damit wird ein Kapitalbildungsprozess angestoßen, der über Produktivitätssteigerungen das Kapital vermehrt. Es entsteht nicht nur ein Produktions- oder ein Konsumgut in Höhe des gesparten Kapitals, sondern mehr als das eingesetzte Kapital. Voraussetzung ist, dass das Kapital für Zwecke eingesetzt wird, die nachgefragt werden und produktiver sind als die bisherigen. Zugleich wird Kapital benötigt, um den Kapitalstock zu erhalten, weil Kapitalgüter sich abnutzen und verbraucht werden.
Sparen als elementarer Bestanteil einer soliden Marktwirtschaft
Sparen ist eine Tugend, die Grundlage für Wohlstand. Sparen ist aber nicht Aufgabe des Staates, rohstoffreiche Länder ausgenommen, sondern der Bürger. Aufgabe des Staates ist es heute, massive Ausgabenkürzungen durchzuführen, denn sie stärken das Wachstum.
Je weniger man Unternehmen mit fiskalischen und sozialpolitischen Mitteln sowie verfehlter Regulierung belastet, umso mehr können sie sich auf ihre eigene Sparsamkeit und den Kapitalmarkt verlassen und benötigen keine „Staatshilfen“. Jede Hilfe für die Automobilindustrie, die den Strukturwandel verschlafen hat, ist eine Belastung für den Steuerzahler.
Sparen ist Selbsthilfe und macht unabhängig, auch vom Staat. Sparen war eine Existenz sichernde Notwendigkeit. Mit der Sozialisierung vieler Einkommen bei gleichzeitigem Versprechen und der Gewissheit, dass „der“ Staat für soziale Sicherheit sorgt, ist die Bedeutung gesunken.
Dabei ist der Sparbedarf hoch. Das liegt an der Demographie, den zu finanzierenden Renten bei fehlendem Zinseszinseffekt, notwendigen Infrastrukturinvestitionen, aber auch Emerging Markets, die Kapital für ihre Entwicklung benötigen. Während früher negative Realzinsen mit hoher Inflation einhergingen, herrschen heute negative Nominalzinsen bei nomineller Nullinflation. Das trifft die Kleinsparer am härtesten und ist eine unsoziale Politik. Es ist Zeit, ein neues Zeichen für Sparen und Marktwirtschaft zu setzen – für eine Renaissance des Kapitalismus.
Michael von Prollius