Masken dienen dem Systemerhalt
Masken dienen dem Systemerhalt

Masken dienen dem Systemerhalt

Anlass:
zunehmende Ablehnung von Masken und staatlichen Anti-Covid-19-Maßnahmen

Kernaussagen:
1. Masken sollen nicht den Träger schützen, sondern die Mitmenschen/ die Gesellschaft.
2. Pandemien sind die tödlichsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte und billig kontrollierbar.
3. Aufgrund massiver Unsicherheit über den Verlauf einer Pandemie – insbesondere deren exponentielle Entwicklung – ist es rational, Masken zu tragen.

Mehrwert: Erweiterung der individuellen Perspektive durch Berücksichtigen von Wahrscheinlichkeitstheorie. Es werden nachfolgend indes keine staatlichen Maßnahmen beurteilt.

Masken und Schutz

Masken sollen nicht den Träger schützen. Masken sollen die Ausbreitung des Covid-19-Virus verringern. Das Problem ist nicht die Ansteckung eines anderen Menschen, sondern hunderttausender und Millionen. Das ist in der globalisierten Welt weitaus wahrscheinlicher als früher möglich und zudem viel rascher. Tagtäglich kommen Menschen aus verschiedenen Ländern über weite Entfernungen zusammen. Bemerkenswert: Historisch erfolgreiche Mittel gegen Pandemien besitzen immer noch Gültigkeit.

Nassim Nicholas Taleb, bekannt durch den Schwarzen Schwan und Antifragilität, berichtet im Gespräch mit Russ Roberts auf econtalk sehr anschaulich über ein historisches Pandemiebeispiel: 1720 sei ein Schiff aus Smyrna im Osmanischen Reich, heute Izmir, nach Genua gesegelt. Die Genuesen hätten eine Quarantäne für alle Schiffe aufgrund von Pestverdacht als Standardprozedur angeordnet. Da das Schiff dem Bürgermeister von Marseille gehört habe und dieser an Bord gewesen sei, hätte das Schiff in Marseille ohne Quarantäne anlegen können und der Bürgermeister sei von Bord gegangen. Ergebnis: Die Hälfte der Bevölkerung von Marseille sei an der Pest gestorben, in Genua niemand. Das Eingehen von Risiken macht(e) einen Unterschied.

Es geht Taleb in seinen Ausführungen nicht darum Angst zu schüren, sondern Unkenntnis entgegen zu treten – wie immer in seiner inspirierenden, latent großmäuligen Art. Welche Erkenntnisse lassen sich aus dem Gespräch gewinnen?

Wahrscheinlichkeit und Unsicherheit

Die systematische Betrachtung von Pandemien der Vergangenheit bietet für Taleb folgende gut begründete Schlüsse aus Sicht der Wahrscheinlichkeitstheorie:

– Aus dem Verlauf einer und auch vieler Pandemien kann kein Schluss gezogen werden wie die nächste Pandemie verlaufen wird.

– Pandemien bergen das Problem der Fat Tail Verteilung, d.h. vereinfacht formuliert seltener (rare events) und exponentieller Verläufe (skaling), die unkontrollierbar werden (existentielles Risiko).

– Pandemien bergen das Risiko eines Totalverlusts, d.h. von vielen Millionen Toten und auch des eigen Tods oder schwerer Lungenschäden. Vorsicht sei daher angebracht.

– Wir wissen noch zu wenig über Covid-19, um unvorsichtig und vorsichtslos zu verfahren; das gelte auch für die mögliche künftige Schädigung junger Menschen. Es gebe aber bewährte Standardprozeduren.

– Staatshandeln ist nicht die alleinige Ursache für wirtschaftliche Schäden, sondern auch das Verhalten der Menschen mit begründeter Risikoaversion beim Einkaufen und Restaurantbesuchen sowie die geringen Margen von vielen Unternehmen. Angst und Vorsicht seien rational.

Besonders interessant, weil öffentlich weniger prominent erörtert, ist das Systemrisiko. Taleb und Roberts thematisieren Skaleneffekte, die es bei Standardverteilungen nicht gibt. So erfolgt die Verbreitung eines Virus nicht linear, sondern exponential. Wer keine Maske trägt, infiziert nicht eine, sondern vielleicht 10 oder 20 oder 100 Personen. Wer die Viruslast um die Hälfte reduziert, senkt das Ansteckungsrisiko nicht um die Hälfte, sondern möglicherweise um 99%. Manche Dinge seien für die Gesellschaft vollkommen rational, aber auch vollkommen irrational für jedes einzelne Individuum. Es könne zur Pflicht werden, gegen eigene Interessen zu handeln.

Das Risiko an einem Autounfall zu sterben, mag zu Beginn einer Pandemie deutlich größer sein, aber Autounfälle sind nicht-skalierbare Ereignisse. Wenn ich einen Autounfall in Berlin habe, hast Du keinen in München. Wenn ich Covid in Berlin habe, können tausende Menschen Covid durch mich in München bekommen.

Unsicherheit und Vorsicht

Die Idee von Unsicherheit, betont Taleb, sei nicht das Warten auf Studien, die Masken als nützlich oder unbrauchbar nachweisen, sondern Vorsicht. Wer würde ein Glas Wasser trinken, dass mit 1% Wahrscheinlichkeit möglicherweise vergiftet sei? Und wer nur 1% davon? Nichts trinken ist die beste Strategie.

Nassim Nicholas Taleb illustriert anhand von Verteilungen, die beiden Graphiken können auf econtalk ud YouTube betrachtet werden, die Herausforderung für den Einzelnen: Das durchschnittliche Verteilungsergebnis ist 7. Der Durchschnitt tritt aber nur in 15% der Fälle auf. 85% der Fälle liegen unter dem Durchschnitt. Und 50% der Fälle liegen sogar niedriger als 1. Das sei eine nicht ungewöhnliche Verteilung, mit der wir allerdings im Alltag und während unserer Schulzeit kaum etwas zu tun gehabt haben. Dort werden üblicherweise Normalverteilungen betrachtet wie der Münzwurf. Noch gravierender seien heftige Fat Tail Verteilungen. Das kann eine Verteilung sein, in der eine einzige Beobachtung den Durchschnitt bestimmt, z.B. ein sehr reicher Amerikaner besitzt soviel Vermögen wie die Hälfte der Bevölkerung, er ist damit wohlhabender als über 250 Millionen Amerikaner. Und genauso kann es sich mit einer Pandemie verhalten. Nur eine fordert viele Millionen Tote. Wir wissen das im Vorhinein nicht und können es kaum prognostizieren. Schon gar nicht die Zahl der Toten, wie es Niall Ferguson in England getan hat.

Ausblick: Risiken mindern

Welche Verhaltensweisen erscheinen Taleb und Roberts vor diesem Hintergrund angemessen? Zunächst, kein Risiko eingehen, das das Überleben gefährdet. Ferner: Quarantäne, Minimieren von Super Spreader Gelegenheiten wie in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Großveranstaltungen, Grenzkontrollen sowie das Nutzen von Masken insbesondere überall dort, wo viele Menschen (in geschlossenen Räumen) zusammenkommen, nicht notwendigerweise Lockdowns, aber massenhaftes Testen, insbesondere bei Grenzübertritten sowie virtuelle Kontakte nutzen.