Ordnungsstaat statt Sozialstaat
Ordnungsstaat statt Sozialstaat

Ordnungsstaat statt Sozialstaat

Der Staat gehört vom Kopf auf die Füße gestellt. Der Staat ist heute völlig außer Rand und Band. Ausgeufert. Ausgeleiert. Angemaßte Zuständig für Aufgaben, die keine staatlichen sind. Unfähig und unwillig die Aufgaben zu erfüllen, die seine Existenz begründen: Staatsversagen bei der Sicherheit, dem Schutz der Bevölkerung. Staatsversagen beim Schutz des Eigentums. Der Mutti-Staat, der sich in die privatesten Belange seiner Bürger einmischt und sie regelt, nudged und politisch indoktriniert, ist das herausragende Problem unserer Zeit – national und international.

„Was nun?“ lautet die treffende Frage vom Dimitrios Kisoudis, der als Publizist und Dokumentarfilmer gearbeitet hat und heute als politischer Berater im Europäischen Parlament tätig ist. Passenderweise ist seine rechtspolitische Sicht auf den Staat in der Werkreihe der Zeitschrift Tumult erschienen, die das muntere Motto Vierteljahresschrift für Konsensstörung trägt. Der Untertitel seines klugen Buches ist Diagnose und Therapie zugleich: Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat. Auf 120 gut geschriebenen Seiten untersucht Dimitrios Kisoudis den ideengeschichtlichen, besser rechtshistorischen Kern des bundesrepublikanischen Sozialstaats.

Die Diagnose lautet: „Der Sozialstaat ist nicht die Lösung, sondern das Problem.“ Sie kommt durch eine eingehende Untersuchung des Staatsverständnisses zustande, das Kisoudis in großen Strichen vom 19. Jahrhundert bis heute und für Nicht-Juristen recht detailreich und erhellend von der Weimarer Republik bis in die Bundesrepublik nachzeichnet. Was zunächst wie ein großer Exkurs in staatsrechtliche Debatten erscheint, nämlich die differenzierte Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, Ernst Forsthoff, Wolfgang Abendroth, Hans Carl Nipperdey und anderen, entpuppt sich als ungemein aufschlussreich.

Deutlich wird ein fundamentaler Wandel: vom (autoritären) Obrigkeitsstaat über den liberalen Rechtsschutzstaat, der privat und öffentlich trennt und die Privatsphäre gegen staatliche Willkür sichert, bis hin zum totalen Sozialstaat. Der Sozialstaat ist der Staat des Sozialismus, der Obrigkeitsstaat der des Konservatismus, der Rechtsstaat der des Liberalismus.

Die zersetzende Natur des Sozialstaates liegt in einem von Liberalen, allen voran Ludwig von Mises, viel beklagten Mechanismus: „Ein Staat, der Herrschaft darauf aufbaut, seine Staatsbürger durch Umverteilung gefügig zu machen, kann nicht mehr aufhören, umzuverteilen, ohne deren Gehorsam zu verlieren.“ konstatiert Kisoudis. Hinzu kommt eine weitere dunkle Bedrohung, die wache Bürger besorgt und zuweilen erzürnt wahrnehmen: die politische Korrektheit und wachsende Zensurbemühungen. Kisoudis bringt Interventionismus und öffentliche Ideologie in einer gelungenen Formel zum Ausdruck: Dem Sozialstaat wohne eine Doppelnatur von Umverteilung und Integration durch spezifische Werte inne.

Wer das Buch in seiner politischen Dimension betrachtet, der nimmt eine Entwicklung von Vater Staat zu Mutter Staat wahr und begreift die „Verfehlungsgeschichte des Sozialstaats“ gerade weil privat und öffentlich vermengt werden, weil Staat und Gesellschaft nicht mehr zwei unterschiedliche Sphären bilden. Ausgangspunkt der Schrift ist die „Völkerwanderung“, unter deren Eindruck das Buch entstanden ist.

Erhellend ist die staatsrechtliche Perspektive nicht zuletzt, weil sich der Kollaps des linken Illusionismus mit dem zum Totalen neigenden Sozialstaat und dem massiven staatlichen Sicherheitsversagen verbindet – und das in europäischer Dimension. In, aber bereits vor der Euro-Krise war das Recht der größte Verlierer: „Das Antidiskriminierungsgesetz hat die angefressene Architektonik von öffentlichem und privatem Recht vollends zerstört.“ Die Vertragsfreiheit wurde vernichtet und das Eigentum als Keimzelle unserer Zivilisation aufgelöst. Der befürchtete totale Migrationsstaat scheint indes nicht mehr auf der Agenda der führenden Politiker zu stehen.

Die Therapie klingt ordoliberal, ohne es zu sein („Der Staat hat eine politisch, nicht wirtschaftliche Funktion“). Der schwache Sozialstaat müsse durch den starken Ordnungsstaat ersetzt werden. Der Ordnungsstaat von Dimitrios Kisoudis ist – soweit erkennbar – konsequent liberal, auf hoheitliche Aufgaben beschränkt („Der Ordnungsstaat hat seine wichtigsten Einrichtungen im Militär und in der Polizei.“), bietet für die Marktwirtschaft einen Ordnungsrahmen, aber auch für die Gesellschaft, der er rechenschaftspflichtig ist. Die ist von unten nach oben aufgebaut, ob subsidiär oder nonzentral wäre noch zu diskutieren.

Der Ordnungsstaat ist ein wegweisender Beitrag in der anstehenden Staatsdebatte.
Dimitrios Kisoudis: Was nun? Vom Sozialstaat zum Ordnungsstaat (Werkreihe von Tumult #02, hg. von Frank Böckelmann), Manuscriptum Verlag, Meckenheim 2017, 121 S., 16,00 Euro.