Raus hier! Immer wieder.
Raus hier! Immer wieder.

Raus hier! Immer wieder.

Gastbeitrag von Monika Hausammann

Mit Blick auf Europa, speziell auf Deutschland, kommt mir seit ein paar Monaten immer wieder die Szene aus einem Film über die Geschehnisse im Dritten Reich und die Judenverfolgung in den Sinn: Eine jüdische Familie blieb bis es zu spät war, weil die Mutter einfach nicht glauben konnte, dass die Sache so durchgezogen würde. Sie sah, was auf den Strassen, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis geschah – und trotzdem hielt sie an dem Glauben fest und an der schieren Vernunft, die da sagte, das sei alles ein böser Traum, eine von vorübergehendem Wahn geprägte Phase, aus der die Menschen erwachen und zur Normalität zurückkehren würden.

Es geht hier nicht um Judenverfolgung oder irgendwelche Vergleiche, sondern einzig um das Denken, das Handeln und die Motive dieser Frau. Und man stellt fest, dass man seit Jahren im genau gleichen Fahrwasser dümpelt. Dass man sich wie der Besucher eines grotesken Jahrmarkts vorkommt, auf dem alles an Absurdität, Abnormität und Abscheulichkeit zur Schau gestellt wird, was Mensch und Natur in schauderhaftester Missbildung aufzubieten haben. Und man weiss, dass man sofort panisch und irrsinnig würde, trüge man nicht das Wissen um Ausgänge in sich. Das Bewusstsein, dass das hier nicht das echte Leben sei, dass man hinaustreten könne in eine Wirklichkeit und Normalität ausserhalb verunstalteter und niederster Denkmuster und Normen.

Und dann stellt man fest: Das ist das „Normal“ der besten aller Zeiten. Das ist die Wirklichkeit der „aufgeklärten, offenen, toleranten Gesellschaft“. Eine andere gibt es nicht. Und trotzdem – trotzdem wegiert sich der Verstand, es hinzunehmen, weil schlicht zuviel dagegen spricht. Aber man muss sich darauf einlassen. Muss sich fragen, wie es soweit kommen und wie man selber da reingeraten konnte. Ob und wenn ja, wann man hätte merken sollen, was dass da etwas gehörig schief läuft. Die Antwort: Sehr früh.

Landauf, landab hiess und und heisst es, die Zeit von Glaubens- und Religionskriegen sei vorbei. Wir hätten Aufklärung, Wissenschaft und hielten damit quasi das Manual für Frieden und Wohlstand in Händen. Besser: Die Politik hielte es in Händen und würde es zu unser aller Bestem anwenden und umsetzen. Dass diese Wahrheit eine Scheinwahrheit, eine Bequemlichkeitswahrheit war und ist, sieht einer in dem Moment, in dem er einen ersten ernsthaften Blick auf den Klüngel wirft, der sich Politik nennt. Geschenkt. Man nahm es hin. Ist halt so. Demokratie ist nicht perfekt und bloss im Vergleich zu anderen Politsystemen das höchste Gut. Damit muss man leben – so betete man sich vor.

Dann kam die Einführung des Euro – meiner Meinung nach ein entscheidender Punkt. Eine politische Kopfgeburt, die in der Theorie absurd und in der Realität ruinös ist. Der Euro sollte von Anfang an mehr sein als eine Währung, mehr als ein ökonomischer Faktor und ein Münz- und Geldsystem. Die EU erhob sich mit seiner Einführung wunschgemäss aber durch nichts legitimiert von der dienenden Rolle der Vermittlerin zwischen Staat zur herrschenden Gebieterin über Staaten. Der Euro war per Dekret Gegenstand quais-religiöser Machtsicherung und Verehrung. Und ohne, dass man sich dessen bewusst war, hielt zusammen mit dem Euro eine Art Krieg rivalisierender Religionslosigkeit Einzug, der schliesslich zum Vater alles Kommenden wurde.

Man sagt, sobald einmal der Vorgang der Ketzterjagd um sich greife, sterbe jeder Zusammenhalt. Und genau das geschah auf denkbar perfide Weise. Das, was bisher als innerster Kern dessen gegolten hatte, was Aufklärung und Wissenschaft sind, – Kritik und Skeptizismus – wurde wie in jedem regligösen Zwangs- und Gewaltsystem, in sein Gegenteil verkehrt und zum Freiheits- und Friedensfeind erklärt. Von dem Moment an, als Begriffe wie Euro-Skeptiker, EU-Kritiker und Europa-Gegner zur gängigen Negativ-Bezeichnung für Fragesteller und Auskunftsforderer wurden, hätte klar sein sollen, wohin die Reise geht.

Wurde es aber nicht. Weil man nicht glaubte, dass das so ernst gemeint sein könne. Weil man glaubte, dass alles bloss PR sei. Polit-PR der üblichen, lügnerischen, korrupten Art. Und weil man sich sicher war, dass die Realität die falschen Lehrgebäude hinwegfegen und unter sich begraben würde, die Vernunft siegen und wieder Normalität einkehren. Es waren schlicht zu viele erfahrene, gute und kluge Menschen, die erkannten, was schief lief und unermüdlich dagegen anschrieben und -redeten. Sie würden gewinnen und mit ihnen das alte „Milchbüchlein“ und die Akzeptanz ökonomischer Naturgesetze. Die Krise, die 2007 ihren spürbaren Anfang nahm, war vor diesem Hintergrund willkommen. Spätestens jetzt, jetzt würde auch der letzte minderbemittelte Dorfdepp sehen, dass Paradiese nicht durch fromme Wünsche und aufsässiges Fordern und Wohlstand für alle nicht durch Schulden, künstliche Tiefzinsen und Umverteilung von unten nach oben entsehen. Es kam anders: Sehen und Erkennen befanden sich zu sehr im Widerspruch mit den Interessen immer grösserer Kreise.

Was seither geschah, muss hier nicht en détail aufgeschrieben werden. Gesetzesumgehungen, Abkehr von erhaltenen Mandaten, Verfassungsbruch, währenddem der politische inszenierte Glaubenskrieg seinen Fortgang nahm und sich fast täglich neue Handlungsorte und Scharmützel neben dem Schauplatz des Kerngeschehens eröffneten, von denen er sich nährte. Chancenungleichheit, Ergebnisungleichheit, Geschlechterungleichheit, Diskriminierung von Menschen, Minderheiten und ganzen Staaten und Kontinenten, Kampf gegen Spaltung, Hass, Hetze und die Gefahr von Rechts kulminierten schliesslich zum alles überlagernden, alles begründenden und totalen Kampf um das schiere Überleben des Planeten. Dass es bei alldem ausschliesslich um den Erhalt bzw. die Rettung des Finanz- und Währungssystems ging und geht und um die besten Plätze an den Quellen des jewiligen Zwangsgeld-Druckerpresse, wollen oder können sich die meisten nicht vorstellen.

Und während der ganzen Zeit nahm die Ketzerjagd ihren Forgang. Leute wurden nicht mehr für ihre Kenntnisse und Kompetenzen befördert, sondern für Haltung, Bekenntnis und Zungenfertigkeit. Inhalte wurden durch Jargon ersetzt. Im Politischen ebenso wie in den Medien. Anmassung durchsetzt Regierungen, Parlamente und Kommissionen ebenso wie Redaktionsstuben und Universitäten. Und wer fortkommen will, setzt nicht mehr auf Leistung, sondern auf das fehlerfreie Nachbeten der orthodoxen politischen Doktrin. Gute Leute gaben auf oder traten gar nicht mehr an. Sie taugen nicht für dieses Spiel.

Und die Menschen? Die ganz normalen Menschen? Sie lassen sich in einer Mehrheit von den interessierten Parteien und via Medien und soziale Medien vor sich hertreiben. Von einem Empörungs-Kick zum nächsten scrollend, sitzen sie in Büros oder bei Café-Latte, daddeln auf Displays oder schreien in den Reihen der Heil-Klima-Brigaden auf Demonstrationen, während ihnen bei hellichtem Tag und unter Applaus im wochentakt ein weiterer befestigter Punkt ihrer Freiheit entrissen wird und sich der eiserne Ring der Konsequenzen unbarmherzig um sie herum zusammenzieht.

Und trotz alledem glaubt ein Teil des eigenen Gehirns oder der Seele weiter an ein mögliches Erwachen. an eine Rückkehr des guten alten Alltagsverstands. Und gleichzeitig weiss man, dass er schal geworden ist, dieser Glaube. Dass das einst echte Bekenntnis zu den „interessanten Zeiten, in denen wir leben“ zum hohlen Mantra schlecht kaschierter Mutlosigkeit geworden ist.

Ist man ehrlich, dann klingt es anders: Egal, welchen Massstab man anlegt: Europa ist pleite. Deutschland ist so gut wie erledigt. Die Schweiz, zeitgeistig 15 Jahre hinterher, tut – scheinbar vollkommen unbelastet vom soliden Hausverstand einer langgeschulten Demokratie und unter Führung einer politisch korrekten und kultivierten Staatskaste – alles, um endlich Parität in Sachen Selbstaufgabe und Souveränitätsverlust mit dem grossen Nachbarn zu erreichen. Und unter allem drunter, wie ein unterirdischer Bach, fliesst plätzschernd eine Ahnung. Man sieht ihn nie, diesen Bach, aber er ist da und die meisten können ihn hören. Zumindest fühlen. Man will das nicht, denn sein Rauschen spricht vom Gleiten, vom Sinken und vom Stürzen, das längst eine Realtiät ist. Ökonomisch, monetär, sozial und moralisch. Und man tanzt weiter wie verrückt auf dem Rand eines Vulkans und redet sich ein, wenn er ausbräche, würde es Gold regnen. Eine Welt, in der wir gut und gerne leben.

Vor einen Jahr, am Tag als ich die erste Amsel singen hörte – gestern war es übrigens wieder soweit – entschied ich, zum Arzt zu gehen. Wer mich kennt, weiss, dass ich solches erst kurz vor dem Exitus unternehme. Der Grund war eine alles um- und erfassende Müdigkeit. Ich schleppte mich durch die Tage und ebenso durch die Nächte, aus denen ich fix und fertig und nur mit Mühe wieder hervorkroch. Grosses Blutbild: Werte extraordinaires, Allgemeinzustand ipécable. Ratlosigkeit. Erst das Gespräch mit einem befreundeten Arzt brachte Klärung. Du musst mal abschalten, sagte er. Die Ohnmacht durch reale Möglichkeit des Tuns ersetzen. Körperliche Arbeit. Viel frische Luft. Keine Medien. Du bist nicht krank. Du stehst bloss am Anfang einer klassichen Erschöpfungsdepression. Und die Schmerzen in der Brust – das ist nicht die Lunge, das sind die Brustwirbel. Passt alles zusammen.

Ich hielt mich daran. Es funktionierte. Und ich halte mich auch heute noch daran. Steige regelmässig aus aus dem Wahnsinn. Der groteske Jahrmarkt der Abscheulichkeiten hat sehr wohl Pforten, aber man muss sie finden und dann eigenhändig von aussen verschliessen und den Schlüssel loswerden.

Warum erzähle ich das. Nun – erstens ganz einfach, weil die Möglichkeit freiwilligen und temporären Ausstiegs jedem, dem es ähnlich ergeht, helfen kann, mit dem Gegenwärtigen umzugehen. Das Bild mag sich verdunkeln, aber die Ruhe macht die Atmosphäre klarer, die Umrisse schärfer. Zweitens deshalb, weil ich glaube, dass – ganz egal, wie es im Moment gerade um uns steht – jeder Kraft tanken sollte. So stark werden wie möglich, wo konzertiert und konzentriert von politischer und medialer Seite alles Denkbare getan wird, um genau das Gegenteil zu erreichen – uns wirtschaftlich, geistig, körperlich und seelisch zu entwaffnen und mutlos zu machen.

Es ist an jedem einzelnen zu entscheiden, ob er ein Getriebener und Sklave der Menschen- und Planentklempner sein oder bleiben will. Wissen sollte man: Eine Heckjagd ist eine lange Jagd. Auch eine psychologische. Gewinnen tut sie der, der den längeren Atem hat und den bessern Rauchschutz in der Nacht. Persönlich habe ich vor, mich heute darum zu kümmern, mir beides zu sichern. Zusammengeschweisst mit anderen, Gefährten, Familie, Freunden, Nachbarn, denen es ähnlich ergeht und die sich nicht packen lassen wollen von einer staatlichen Propaganda- und Zwangsmaschine, in deren Kiefer alles zu Brei zermalmt wird, was einzig in Ruhe zu leben wünscht.

Auf die Freiheit.

 

Quelle: zuerst erschienen auf FrankJordanBlog