“Soziale Gerechtigkeit” und “Politische Korrektheit” – das ganz große Spiel
“Soziale Gerechtigkeit” und “Politische Korrektheit” – das ganz große Spiel

“Soziale Gerechtigkeit” und “Politische Korrektheit” – das ganz große Spiel

Mit Ralf Dahrendorf sind Konflikte ein Wesensmerkmal von Gesellschaft respektive politischer Öffentlichkeit.

Insbesondere in den USA und Großbritannien werden intensive Debatten geführt, nicht zuletzt um die aktuellen Konflikte zu verstehen. Erklärungsansätze bringen zumeist antagonistische Gruppen in Stellung, z.B. die Somewheres vs. die Anywheres (David Goodheart), anders formuliert lokale vs. globale und kosmopolitische Gruppen sowie regionale versus nationale versus EU-Internationalisten, zudem Insider vs. Outsider des Machtgefüges (Martin Gurri).

Im deutschsprachigen Raum lassen sich Themen bezogene Gruppenbildungen beobachten wie Befürworter und Gegner von Einwanderung oder von Impfpflicht oder von bedingungslosen Transferzahlungen für den Alltag und das Alter.

Schließlich treten Sonderinteressengruppen auf, die zunehmend als Aktivisten bezeichnet werden, und “Politische Korrektheit” sowie “Soziale Gerechtigkeit” propagieren – unter diesem Slogan werden auch Sonderstellungen für Gruppen eines oder vieler Geschlechter, für Sexualität und für Rassen gefordert. Den Aktivisten geht es dabei nicht um rechtliche Gleichbehandlung unter der Herrschaft des Rechts.

Während (klassische) Liberale seit Jahrzehnten vor der Büchse der Pandora “Soziale Gerechtigkeit” warnen, dafür kritisiert werden und die Auseinandersetzung politisch verloren haben, sind eine Reihe von vor allem staatlichen Institutionen auf den politischen Aktivismus eingegangen und verwenden beispielsweise eine Geschlechter aufzählende Sprache (“Gender Gerechtigkeit”).

Der amerikanische Ökonom, Wissenschaftler und Blogger der ersten Stunde Arnold Kling hat nunmehr eine spannende, erhellende Erklärung für den Aktivismus skizziert.[1]

Seine Perspektive ist die des Spiels, in dem es Gewinner und Verlierer gibt. Das Spiel wird um Status, um Ansehen und Einfluss gespielt. In der Moderne wird in liberalen Gesellschaften nach Regeln gespielt, die sich auszeichnen durch: die Suche nach objektiver Wahrheit, das Formulieren von Thesen und deren nachvollziehbare und überprüfbare Begründung sowie eine kritische Diskussion. Dem liegt das wissenschaftliche Verfahren zugrunde. Ein Pendant im Management wäre mit dem legendären Managementforscher und Unternehmensberater Peter Drucker (1909–2005) das Akronym SMART (Specific Measurable Achievable Reasonable Time-bound).

Die Aktivisten können in diesem Spiel nicht mithalten. Sie können nicht die Leistungen erbringen, um den von ihnen gewünschten Status zu erlangen. Folglich versuchen sie das Spiel selbst zu ändern, d.h. sie ändern die Regeln, sie spielen nicht nach den Regeln, die das Fundament der liberalen Gesellschaften des Westens gebildet haben.

An die Stelle von gleichem Recht für alle, von transparenten, überprüfbaren Verfahren in der Suche nach objektiver Wahrheit tritt Identität, d.h. Gruppenzugehörigkeit. Wolkige Forderungen nach „Sozialer Gerechtigkeit“ bestehen insbesondere in Privilegien für einzelne Gruppen, vor allem ethnische und sexuelle Minderheiten. Identität ist in dem neuen Spiel die einzige Wahrheit. Mit den Worten von Arnold Kling: : “people who are not satisfied with their status under the liberal-values game are trying to change the rules in order to gain status for themselves.”

Das erklärt die Angriffe auf weiße Männer. Deren Statusverlust ist nicht nur ein Statusgewinn für die Aktivisten, sondern auch eine Regeländerung. Entschieden wird nunmehr nach der Identitätsregel. “Soziale Gerechtigkeit” ist zu einer Waffe geworden. Das Ziel sind erfolgreiche Menschen, die z.B. eine politisch inkorrekte Äußerung getätigt haben (sollen) oder nicht genug zur “Sozialen Gerechtigkeit” beigetragen haben (sollen).

Tragischerweise schaden die neuen Spielregeln – von den wenigen Profiteuren abgesehen – fast allen anderen Menschen.

[1] Arnold Kling: Explaining Current Anti-liberalism, 12-17. My theory of the illiberalisms of the left and the right, 17.12.2021 auf Substack.

    1. Nachtrag: Donald Trump war einer der Gewinner des neuen Spiels. Denn seine Wähler wurden von den etablierten Eliten der USA genauso missachtet wie von den neuen Aktivisten. Trump war ihr Held, der ihre Sprache sprach, und deshalb angefeindet wurde.
    2. Nachtrag: Die Herausbildung der Aktivisten lässt sich als Folge einer Überakademisierung erklären. Es gibt eine Vielzahl gut ausgebildeter Menschen, die mit ihrem Status unzufrieden sind. Mit dem Historiker Peter Turchin handele es sich um Eliten-Überproduktion. Das ähnelt dem Problem des Jugendüberschusses (Youth Bulge), der insbesondere in muslimischen Ländern zu beobachten ist und zu einer Reihe von Revolten beigetragen hat.
    3. Nachtrag: In konservativer Perspektive lässt sich der Aktivismus als (neomarxistischer) Kulturkampf beschreiben. In liberaler Perspektive fällt der Aktivismus hinter die Errungenschaften der Aufklärung zurück. In sozialistischer Perspektive wäre der Aktivismus dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Kampf gegen Unterdrückung handeln würde.