Zombiewirtschaft: vom Tod der Marktwirtschaft durch Stabilisierung
Zombiewirtschaft: vom Tod der Marktwirtschaft durch Stabilisierung

Zombiewirtschaft: vom Tod der Marktwirtschaft durch Stabilisierung

Sind Sie der Ansicht, Deutschland und Europa benötigen keine Strukturreformen? Dann sollten Sie die nachfolgende Empfehlung nicht lesen. 

Wer strukturelle Reformen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft für notwendig hält, der ist gut beraten, das Buch von Alexander Horn zu lesen: „Die Zombiewirtschaft. Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind.“ 

Gleich vorweg: Ich halte es für einen enorm wichtigen Diskussionsanstoß. Ich halte es für ein überaus lesens- und besprechenswertes Buch. Ich wünsche mir, dass eine politische Debatte in Gang kommt: über die Zombiewirtschaft, unsere Wohlstandsillusion und die Ursachen.

Alexander Horn, selbständiger Unternehmensberater und Geschäftsführer beim Politikmagazin Novo, identifiziert drei Trends, die insbesondere Deutschland, darüber hinaus auch erhebliche Teile der westlichen Welt kennzeichnen:

  1. Sinkendes Produktivitätswachstum. Das bedeutet, Unternehmen haben die Fähigkeit und ihr Management die Anreize verloren, die Arbeitsproduktivität hinreichend zu steigern. Die Folge ist eine allmähliche Stagnation, auch des Lebensstandards der einfachen Bürger.
  2. Ausgereizte Niedrigzinspolitik. Das bedeutet, dass die Zentralbanken keinen Wirtschaftsaufschwung mehr bewirken können und die Staatsführungen über noch mehr Interventionismus und Fiskalpolitik Wirtschaftswachstum herbeiführen wollen.
  3. Entpolitisierung und Delegation politischer Gestaltung an Experten. Das bedeutet, die Volkssouveränität ist verloren gegangen und Experten, nicht einmal die gewählten Volksvertreter, gestalten zunehmend Wirtschaft und Gesellschaft.

Aus liberaler Perspektive leben wir heute in einer (Sozial-)Staatswirtschaft – mit Zombies statt Champions. Die Zombies werden immer mehr und machen bereits einen zweistelligen Teil der Unternehmen aus. Wir leben in einer Angestelltengesellschaft ohne echte Unternehmer. Bequem und risikolos, möglichst um die Freizeit herum drapiert soll der Job sein. Stabilität ist das Primat. Die Marktwirtschaft gilt als Problem, der Staat als Lösung. Unternehmen sollen soziale Verantwortung übernehmen, Gewinne sind verpönt. Mit dem Stabilitätsgesetz von 1967 hat der Staat offiziell die Verantwortung für die Wirtschaft übernommen. 50 Jahre später sind Stagnation und Abstieg die Konsequenz. Deutschland exportiert Güter und das Kapital gleich mit. Die Perspektive ist die Sklerose, nicht der Crash. Deutschland stagniert, bei vermeintlich ordentlichen ökonomischen Kennzahlen, wenn auch nur noch marginalem Wachstum. Teile der Bevölkerung verlieren bereits ihren Lebensstandard. 

Alexander Horn zeigt facettenreich auf, dass Kapital im Überfluss vorhanden ist, aber nicht für Investitionen genutzt wird. Ohne Investitionen keine Innovationen. Die Arbeitsproduktivität stagniert, sinkt in einigen Branchen, ist im letzten Jahrzehnt so niedrig wie nie zuvor, und der Trend zeigt bereits seit den 1960er Jahren abwärts. 

Liegt das an der zunehmenden Verstaatlichung von Wirtschaft und Gesellschaft? Der Zwang zur Beachtung des Vorsorgeprinzips, Corporate Social Responsibility und Finanzialisierung, d.h. vereinfacht Geld verdienen über Finanzprodukte statt wertschöpfende Güter, gehören zur den Treibern der Zombifizierung. 

Gesellschaftspolitisch beflügelt ein zunehmender Anti-Humanismus diese Entwicklung: Der Mensch wird als hilfsbedürftiges, zu betreuendes Wesen gesehen, das sein Leben nicht selbständig gestalten kann und vor gefährlicher Technik und allen Risiken dieser Welt geschützt werden muss. Wilhelm Röpke warnte bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert vor der „Verhausschweinung“ des Menschen und einer „komfortablen Stallfütterung“. Damit einher geht ein Demokratiedefizit, da sich die Eliten vom Souverän gelöst haben, den sie betreuen und bewirtschaften oder dies einer Expertokratie überlassen, die angeblich am besten weiß, was zu tun ist.

Steht Deutschland in erheblichen Teilen am Ende seiner industriellen Produktivität? Führt die allfällige Stabilisierung, die Vermeidung von (reinigenden) Krisen, die Rettung vielfach nicht überlebensfähiger Unternehmer, die als Zombies keine produktiven, innovativen Beiträge mehr leisten, keinen Wettbewerb mehr schüren können sowie Arbeitskräfte und Kapital binden nun zum Ausbruch der Sklerose? 

Die Bedeutung der Realwirtschaft sinkt, die der Finanzwirtschaft steigt und zieht selbst Naturwissenschaftler an, die eigentlich der Industrie zu Innovationssprüngen verhelfen könnten. Die Stabilisierung destabilisiert, lässt Wohlstandsgrundlagen erodieren. Verschuldung ohne Modernisierung, Stimulanz ohne Investition, aber mit Aktienrückkäufen. 

Die Angst vor einer Reform des Schneeballsystems mit schwachen Unternehmen, schwachen Banken, reformaversen Staatsführungen bietet keine gute Perspektive. Die Marktwirtschaft hat kein Zuhause mehr. Im Vodoo bezeichnet ein „Zombie astrale“ eine Seele, die von ihrem Körper getrennt ist.

Bis zur Finanzkrise 2007 wurde in Deutschland intensiv über Strukturreformen diskutiert. Alexander Horn nimmt diesen Faden wieder auf. Eine gesellschaftliche Debatte ist überfällig. Das Buch bietet jede Menge Denkanstöße und Ansatzpunkte für Erweiterungen, Bekräftigungen, Korrekturen. Zwei ergänzende Beiträge zur Österreichischen Krisenerklärung und der Rentabilitätskrise aus der Sicht von Marx sind auch enthalten. Über allem steht die Frage: Wie können Politik und Unternehmen aus der Zombifizierung aussteigen, so dass Innovationen sich wieder entfalten können? 

 

Alexander Horn: Die Zombiewirtschaft. Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind, mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan, Edition Novo, Band 129, 1. Auflage Frankfurt 2020, 378 S., 15,00 Euro.