Zwickmühle Nahostkonflikt
Zwickmühle Nahostkonflikt

Zwickmühle Nahostkonflikt

Der Nahostkonflikt scheint unlösbar. Eine Reihe von Kriegen hat seit der Staatsgründung Israels nicht zu einem dauerhaften Frieden geführt. Zahllose internationale Initiativen sind erfolglos geblieben. Bewaffnete Konflikte unterhalb eines Krieges bleiben auf der Tagesordnung und bergen ein Eskalationsrisiko. Der Nahostkonflikt ist Teil eines größeren Konfliktzusammenhangs in ganz Nah-/Mittelost und Nordafrika.

Wer wissen will, warum das so ist, der ist gut beraten die Frontstellungen in der israelischen Gesellschaft selbst abzuschreiten. Die einsichtsreiche und nach Russ Roberts beste Studie dazu stammt von Micah Goodman, einem israelischen Bestsellerautor der jüngeren Generation, tätig bei israelischen Denkfabriken.

Catch-67 bezeichnet die Zwickmühle, in der sich die israelische Linke und Rechte sowie die Palästinenser seit dem Sechstagekrieg von 1967 befinden. Catch spielt dabei auf den sprichwörtlich gewordenen Roman Catch-22 an, der eine unlösbare Situation bezeichnet, weil die Lösung zugleich deren Verhinderung ist: „For Israelis to escape the catch they must rescue themselves from the devastating choice between a state with a defensible Jewish majority but indefensible borders and a state with defensible borders but an endangered Jewish majority.”

Im Nahostkonflikt bedeutet das Folgendes:

Die israelische Rechte hält die Ideen der Linken nicht nur für falsch, sondern für gefährlich und vice versa. Die Realisierung der jeweiligen Idee würde zu einem Kollaps Israels führen.

Inzwischen spielen weniger Ideen oder Ideologien in den beiden Lagern eine dominante Rolle, sondern Identitäten. Nichts davon wird der Komplexität des Nahostkonflikts gerecht und niemand bietet eine Lösung.

Der Konflikt ist stark emotional aufgeladen. Die Israelis fürchten die Palästinenser, die Palästinenser fürchten die israelische Erniedrigung.

Die Rechte ist mit der Zeit religiöser und dafür weniger liberal geworden, die Linke weniger sozialistisch und dafür pazifistischer.

Die Argumente beider Seiten stimmen. Die Folge ist eine Zwickmühle.

Sicherheitspolitisch betrachtet kann sich Israel nicht aus den besetzten Gebieten zurückziehen, aus demographischer Perspektive darf Israel dort nicht bleiben. Wenn sich Israel zurückzieht, kann es sich im geschrumpften Territorium nicht mehr verteidigen, wenn es dort bleibt, wird es keine jüdische Mehrheit mehr geben.

Eine Zwei-Staatenlösung adressiert für die Palästinenser lediglich die 50 Jahre traumatischer Besetzung, aber nicht ein Jahrhundert westliche Erniedrigung des Islam und nicht das jahrzehntelange Trauma des Massenexodus nach dem Unabhängigkeitskrieg.

Die Lehre der jüdischen Geschichte: Die Sicherheit der Juden kann niemals in nicht-jüdische Hände gelegt werden. Die Lehre des Westens lautet: Herrsche nicht über andere Menschen.

Die Zwickmühle wird noch vertrackter durch eine Überlagerung zionistischer und jüdischer Dilemmata. Das verhärtet die innerisraelische Frontstellung. Für Micah Goodman stellt das eine „Implosion der ideologischen Pole“ und Hinwendung zur Bekräftigung von Identitäten dar. Gruppenpsychologie sei an die Stelle von unabhängigem Denken getreten.

Als Ausweg plädiert Micah Goodman für einen konsequenten Pragmatismus und bietet zwei Konzepte an – einen partiellen Friedensplan und einen partiellen Zwei-Staaten-Plan, beide mit mehr Selbstverwaltung für die Palästinenser ohne verminderte (militärische) Sicherheit für die Israelis. Beide sollen den Konflikt nicht lösen, sondern restrukturieren und tragfähiger machen.

Die tiefgründige und klare Analyse der vertrackten Lage ist ein Augenöffner. Es gibt möglicherweise noch zwei weitere Entwicklungspfade: die Perpetuierung des Status quo, der ebenfalls keine Lösung, aber ein geradezu bewährter Zustand ist. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Demographie tatsächlich ein Problem ist für einen jüdisch-israelischen Staat. Die Masse der palästinensischen Israelis wünscht sich Frieden und Prosperität.

Micah Goodman: Catch-67. The Left, the Right, and the Legacy of the Six-Day-War, translated by Eylon Levy, Yale University Press, New Haven, London 2018, 243 S., gebundene Ausgabe 36,97 Euro.