Braune Wirtschaftselite oder eher graue?
Braune Wirtschaftselite oder eher graue?

Braune Wirtschaftselite oder eher graue?

Braune Wirtschaftselite oder eher graue?

Zu einem realistischen Bild der Großunternehmer im Nationalsozialismus gelangen der Soziologe Paul Windolf und der Historiker Christian Marx in ihrer makro-empirischen Datensatzanalyse aller Vorstände und Aufsichtsräte von Großunternehmen im Dritten Reich (1933-1938). Vorweg, es handelt sich um eine reflektierte, differenzierte Ausarbeitung.

Der Titel erscheint gleichermaßen zugkräftig wie schief. Die untersuchte Wirtschaftselite bestand weder überwiegend aus Nationalsozialisten, bis zur Machtübertragung verhielten sie sich distanziert, dann arrangierten sie sich mit dem totalitären Regime, noch war der Anteil der NSDAP-Mitglieder einzigartig hoch. Zumindest waren anteilig mehr Mediziner und Juristen (teils stramme) Mitglieder. Allerdings lag der Anteil deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt (dreifach), was indes statistisch der vergleichsweise kleinen Personengruppe (gut 1.000) mit exponierten Ämtern geschuldet sein kann.

Aktuell haben es Unternehmer und Top-Manager aufgegeben mit den führenden Politikern, Regierung und Opposition, Verbesserungen des Standorts zu diskutieren; sie haben sich auf ausländische Standortsuche begeben. Ein Frankfurter Banker sagte laut Berliner Zeitung im Sommer 2023: „Das Verhältnis zwischen Wirtschaft und der gesamten Politik ist zerrüttet. Es ist besorgniserregend.“

Was hätten die Großunternehmer im Nationalsozialismus anderes tun sollen als sich zu arrangieren und das Überleben ihrer Unternehmen zu sichern? Aktiven Widerstand üben, wirklich? Vielleicht das, was Ayn Rand in „Atlas shrugged“, u.a. treffend mit „Der Streik“ übersetzt, beschrieben hat: eine längere Arbeitsverweigerung? Wozu hätte das führen sollen? Die begrenzte Aussagekraft einer Parteimitgliedschaft thematisieren die Autoren selbst.

Die Nationalsozialisten verfügten über eine Vielzahl von Mitteln, um ihre Ziele durch Unternehmen realisieren zu lassen, von Subventionen bis zur Einschränkung von Freiheit und im seltenen Fall Verstaatlichung. Ergänzend sei bemerkt: Schon die Weimarer Republik erfüllte in ihrer Endphase viele Kriterien einer Marktwirtschaft nicht mehr. Das galt umso mehr für den „organisierten Kapitalismus“, ein hälftig treffender und unpassender Begriff, für die gelenkte Wehrwirtschaft der Nationalsozialisten. Eine zeitlose Lehre ist: Auch das Wirtschaftssystem unterliegt Bedingungen, die es selbst nicht allein bestimmen kann, hier eher autoritären Leitbildern, die in der Kaiserzeit wurzeln.

Zweifellos, die untersuchte Wirtschaftselite profitierte vom politischen Wechsel zum NS-Regime: KPD, SPD und Gewerkschaften wurden ausgeschaltet, die Löhne sanken, Rüstungsaufträge schlugen sich in verdoppelter Rentabilität der Industrie-AGs und einem hohen Einkommensanteil für die Wirtschaftselite nieder. Die Arbeitsbeziehungen wurden sogar refeudalisiert, mit Unternehmern als Betriebsführern und Arbeitern als Gefolgschaft mit Treuepflicht. Bekanntlich endete das Regime in Trümmern, Hyperinflation und mehrjähriger Besatzungswirtschaft.

Offenkundig war die Elite weltanschaulich heterogen, kein Verfechter von Marktwirtschaft und Wettbewerb, unterstützte sogar aktiv die Arisierung. Angesichts ihrer reservierten Haltung gegenüber der liberalen Parteidemokratie („skeptisch bis ablehnend“ (S. 365) war ihr Verhalten konsistent. Andere Erwartungen lassen primär auf den Bewertenden schließen. So blieb es treffend bei einer „Konsensfiktion“ (S. 87) aus Angst vor Denunziation und als kollektive Motivation wird die zusammenfassende Bewertung „opportunistisches Mitläufertum“ (S. 131) angeboten und kann als Normalzustand zu fast allen Zeiten angesehen werden.

Mehr als am Rande: Big Government und Big Business zeitigen durchweg dieselben Folgen, in der NS-Zeit korrupte Netzwerke anstelle aufgelöster Verbände, steigende Einkommensungleichheit und sogar verminderter Lebensstandard für Arbeitnehmer bei stark steigenden Staatskonsum (massive Aufrüstung) und hoher Kontinuität des Personals auch über 1945 hinaus.

Literatur: Paul Windolf, Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite. Unternehmer und Manager in der NSDAP, Frankfurt a.M., New York 2022.