(mvp) Bereits vor zehn Jahren kritisierte Konrad Paul Liessmann die der sogenannten Wissensgesellschaft zugrunde liegenden Irrtümer und plädierte für eine Wiederbelebung der Bildung. Schlimmer noch als einst Theodor Adornos Diagnose einer grassierenden Halbbildung bewege sich die Gesellschaft heute mangels „jeder synthetisierenden Kraft“ und zahllosen fehlgeleiteten Reformen und Moden in Richtung Unbildung. Der Wiener Universitätsprofessor für Philosophie vertritt in seiner engagierten Denkschrift beileibe keinen kulturpessimistischen Standpunkt. Wer auf der Suche nach dem ist, was Bildung ausmacht, der wird in den neun Kapitel perspektivenreiche Anregungen finden. Die differenzierte Argumentation bleibt stets unmissverständlich. So ist die Abrechnung mit der vermeintlichen Wissensgesellschaft („Wissen ist mehr als Information“), mit PISA und dem Ranglistenwahn, Bologna und permanenten Bildungsreformen gleichermaßen pointiert wie tiefgründig. Liessman warnt vor der „Desinformationsgesellschaft“ und kritisiert die herrschenden Zustände als Unbildung, weil Bildung aufgehört habe, eine „normative oder regulative Funktion zu erfüllen“. Geistlosigkeit, Fähigkeiten und Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Flexibilität und Kommunikationsbereitschaft seien die neuen Ziele, die zugleich Individualität suspendieren würden.
Demgegenüber steht für Liessmann die Bildung als eine lebendige Auseinandersetzung des Geistes mit sich selbst und der Welt. Verstehen statt Wissen könnte die Kurzformel lauten. Zur Bildung gehöre ein Grundverständnis der Kultur, das als Selbstverpflichtung angenommen werde. Lexikalisches Wissen habe genauso wenig mit Bildung zu tun wie Unterhaltung durch Informationen. Bei Bildung geht es, so ließe sich resümieren, um Erkennen, um eine perspektivenreiche Weltsicht und um eine verbindliche Einsicht. Lernen um des Lernenwillens ist folglich ein Bestandteil von Bildung, aber nicht zu verwechseln mit lebenslangem Lernen als Werkzeug oder Kompetenz. Wissen ist dementsprechend eine mit Bedeutung versehene Information. Angesichts einer hysterischen Gesellschaft, in der wir zu leben scheinen, sind das weitreichende Erkenntnisse.
Da Bildung nicht zuletzt mit Wilhelm von Humboldt den Menschen freier machen soll, kollidiert Konrad Paul Liessmanns absehbar noch lange Zeit aktuelle, überaus lesenswerte Denkschrift mit dem konformistischen, politisch korrekten Zeitgeist. Lesen! Denken. Erkennen. Sich bilden. Das Buch ist mehr Wert als 10 Euro.
Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006, 175 S., Taschenbuchausgabe 2008 10,00 Euro.