Defizit Daten-Bildung adressiert
Defizit Daten-Bildung adressiert

Defizit Daten-Bildung adressiert

Defizit Daten-Bildung adressiert

Die versierte Diplom-Statistikerin Katharina Schüller hat vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht, das nichts an Aktualität eingebüßt hat. Im Gegenteil, die Pandemie hat gezeigt, dass mangelnde Data Literacy, die Kompetenz mit Daten umzugehen, ein verbreitetes Problem in Deutschland und darüber hinaus ist.

Das zugrundeliegende Defizit ist sehr menschlich: Wir können mehr oder minder gut mit überschaubaren Zahlen und Zusammenhängen umgehen, sind indes per se schlechte Statistiker. Unsere Intuition steht uns vielfach im Wege. Entwicklungen verlaufen nicht nur linear und deterministisch, sondern z.B. exponentiell und sind multifaktoriell begründet. Korrelationen sind keine Kausalitäten. Daten sagen uns nichts über Kausalzusammenhänge. Normalverteilungen helfen kaum bei seltenen Ereignissen. Das geht auch Profis so, deren Risikomodelle im Vorfeld der internationalen Finanzkrise von 2008 nicht Fat Tail orientiert waren.

Katharina Schüller bringt es auf den Punkt: „Statistik ist eine spezielle Art des Denkens.“ (S. 11) und dazu gehört: „Statistik bedeutet, den Zufall von der Wahrheit zu trennen.“ (S. 14) Statistiker betreiben Recherche und sind Handwerker. Big Data ist (moderne) Statistik, genauso wie Data Science. Eine wesentliche Botschaft des Buches lautet: „Wir brauchen mehr Kompetenzen im Umgang mit Unsicherheit.“ (S. 28) Sag es treffender ist einer erklärten Wendezeit kaum möglich.

Als Vorstandsmitglieder der Deutschen Statistischen Gesellschaft spricht sie einen Denkfehler an, der nicht zuletzt ein Politikum ist, über soziale Medien und vermeintliche Faktenchecker hinaus: Die Annahme, es gebe etwas Wahres und etwas Falsches, ist regelmäßig ein Denkfehler. Die Realität ist durch Unsicherheit geprägt, durch „Sowohl als auch“ statt „Entweder oder“.

Bedenkenswert finde ich den Hinweis auf den indischen Statistiker Rao, der zu der Erkenntnis gelangte: „Sicheres Wissen entstehe in einer neuen Art des Denkens aus der Kombination von unsicherem Wissen und dem Wissen über das Ausmaß der Unsicherheit.“ (S. 8)

Das Buch ist gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam und richtet sich an eine breite Leserschaft. Im Wesentlichen besteht es aus rund 35 Fallbeispielen, wohlproportioniert, die fünf Themen zugeordnet sind und von „Politik und Weltgeschehen“ über „Wirtschaft und Unternehmen“ bis „Gesellschaft und Leben“ reichen. Das erste Kapitel setzt den Ton, gibt das Muster vor: „Warum Steuerschätzungen danebenliegen“. Warum Dummheit nicht krankmacht, sondern „umgekehrt“ Menschen mit niedrigerem IQ häufiger an Herz-Kreislauferkrankungen sterben, aber nicht öfter daran erkranken, verweist auf Herausforderungen im Umgang mit Kausalität und auf das sogenannte Multikollinearitätsproblem, also auf Faktoren, die das Gleiche messen, und damit auf den Teufel im Detail von Studien und Daten.

Den Rahmen bildet ein einführendes Kapitel, das über Statistik und statistische Arbeit sowie Denkmuster informiert. Viele Fäden werden im abschließenden Kapitel aufgenommen und vertieft, wenn das Handwerkszeug erläutert wird, von Mittelwerten und Streuung über den zentralen Grenzwertsatz bis zu Regressionen, Zeitreihen und Prognosen. Elf Regeln für den Alltag sorgen zusammenfassend, manifestartig für ein Extrakt, das nach Anwendung und einem Arbeitsbuch ruft. Das findet sich in jedem Kopf eines Lesers beim Betrachten der Welt, die man nach der Lektüre mit veränderter Perspektive wahrnimmt.

 

Katharina Schüller: Statistik und Intuition. Alltagsbeispiele kritisch hinterfragt, Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg 2015, 294 S., 19,99 Euro.