Vom Wert der Alternative
Das Denken in Alternativen erweitert den Horizont. Wer nur eine Alternative findet, erfährt bereits mehr über seine ursprüngliche Sicht, sein zuvor einziges Vorhaben, die zuvor eine Lösung.
In der Geschichtswissenschaft ist das Denken in Alternativen einerseits genuiner Bestandteil differenzierten Denkens, andererseits ein vergleichsweise junger und zunächst von der Bildungsverwaltung kategorisch abgelehnter Ansatz. Das ist zumindest in Berlin Anfang der 1980er Jahre der Fall gewesen wie der vielleicht letzte deutsche Universalhistoriker, Alexander Demandt, schildert. Sein Buch „Ungeschehene Geschichte“ ist der Klassiker konsequent alternativen Geschichtsdenkens.
Stefan Blankertz und ich haben das zum Anlass genommen und eigene freiheitliche Alternativen entwickelt. In den Vincent-Sessions liegt bei Stefan der Schwerpunkt in der Ukraine und einer begründeten anarchistischen Erfolgsgeschichte. Ich entwerfe eine liberale Alternative zum Kaiserreich 1870/71, da Bismarck das auf ihn verübte Attentat unter den Linden nicht überlebt.
Wie vielseitig und unterhaltsam alternatives historisches Denken sein kann, zeigt dieser Video-Beitrag von gut 30 Minuten: What Would Have Happened If Britain Lost The Battle Of Britain? Deutlich wird dabei wie viele Hindernisse einer oder mehreren alternativen Verläufen entgegenstehen können. Es gibt auch die umgekehrte Betrachtung, wie unwahrscheinlich oder wie voraussetzungsreich die ex post einzige sichtbare Realität tatsächlich war. Die Machtübertragung an Hitler gehört, um in der Zeit zu bleiben, dazu, eindringlich beschrieben in Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik.
Alternativen besitzen einen grundsätzlichen, analytischen und rhetorischen Wert: Sie erweitern in jeder Disziplin die Wahrnehmung, gerade in persönlich-individuell kontra-intuitiv erscheinenden Erkenntnissen. Damit beugen sie konfrontativen Narrativen vor, die durch die Suche nach bestätigenden Argumenten geprägt sind, um Recht zu behalten.
Wie wirklich die Wirklichkeit ist, das fragte bereits Paul Watzlawik. Mit der Wirklichkeit tut sich die Wissenschaft schwer, unpolitisches Beispiel ist die Hot Hand beim Basketball, ziemlich faszinierend.