Deutschland im Paragraphenrausch (W. Kurzka)
Deutschland im Paragraphenrausch (W. Kurzka)

Deutschland im Paragraphenrausch (W. Kurzka)

Wieland Kurzka: Im Paragraphenrausch. Überregulierung in Deutschland – Fakten, Ursachen, Auswege, Resch Verlag, Gräfelfing 2005.

Der Resch Verlag bietet Autoren ein Forum, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Jenseits des politisch korrekten Mainstreams prangern Autoren wie Roland Baader („totgedacht“, „Fauler Zauber“, „Geld, Gold und Gottspieler“) mit kraftvollen Worten Missstände der deutschen Gesellschaft und des deutschen Denkens an. Ihre Analysen der Ursachen und Auswege sind Streitschriften, die durch eine freiheitliche, Werte gebundene, häufig christliche Grundhaltung verbunden sind. Ein im besten Sinne liberales Bürgertum kommt hier mit populärwissenschaftlichen Sachbuchautoren zu Wort.

Der Jurist Wieland Kurzka bietet mit seiner Abhandlung zur Überregulierung in Deutschland einen Zugang zum Verständnis unserer gesellschaftlichen Krise. In den drei Abschnitten Befund, Wurzeln und Konsequenzen stellt er die „Verrechtlichung unseres gesellschaftlichen Lebens“ dar. Besonders anschaulich ist ihm die Darstellung der Normenflut gelungen, die noch einmal die teils absurden, teils totalitär anmutenden Eingriffe mehrerer Gesetzgeber in die bürgerlichen Freiheitsrechte von der Säuglingsanfangsnahrung bis zur Friedhofssatzung aufzeigt.

„Gesetzgeberische Inkontinenz“

So müsste ein Durchschnittsbürger über 80.000 Bestimmungen beachten und die geplante europäische Verfassung ist mit ihren 300 Seiten ein bürgerferner Moloch. Direkte Folge dieser „gesetzgeberischen Inkontinenz“ (S. 27), die durch handwerklichen Pfusch sowie Alibi- und Verhinderungsgesetzgebung noch verstärkt wird, sind Ungerechtigkeit, weil die Gleichheit vor dem Gesetz aufgehoben wird, Freiheitsverlust und Standortnachteile. Wieland Kurzka deutet zudem den grotesken Glauben an die Allmacht gesetzlicher Regelungen (z.B. Luftsicherheitsgesetz) an. Zusammen mit dem Missbrauch von Gesetzen als politisch kurzfristig einsetzbaren Instrumenten hat sich eine nicht zu überschätzende Gefahr des Paragraphenrausches entwickelt, die sich noch systematischer herausarbeiten ließe: Der Rahmen setzende Staat der Väter der Sozialen Marktwirtschaft und der Bundesrepublik Deutschland ist zu einem steuernden Staat einer sozialistischen Marktwirtschaft mutiert.

„Juristisches Universum“

Der Steuerungswunsch hat eine geistesgeschichtliche Tradition, die Gesetzgeber und Bürger gleichermaßen nach Gesetzen rufen lässt. Um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert ist ein „juristisches Universum“ (S. 95) entstanden, dessen gleichermaßen umfangreiche wie kompakte Darstellung aus dem Band als Leistung Wieland Kurkas hervorragt. Gleichwohl wirkt dieser ideengeschichtliche Parforceritt durch Rechtsgeschichte und Philosophie wie ein Fremdkörper; zumal der Eindruck entsteht, die Wurzeln des überregulierten Wohlfahrtsstaates reichten bis zu den solonischen Reformen zurück. So bemerkenswert der von Thomas von Aquin um 1260 auf Aristoteles gestützte „Theoriewechsel … zu einer interventionistischen Sicht der Rechtsordnung“ (S. 115) ist, gerät doch die Darstellung der Gesetzgebung als Instrument, der Konjunkturzyklen der Gesetzgebung und der Fixierung auf den Steuerungsprozess zu einseitig und damit zu wenig offen für den unabdingbaren Wert einer guten Gesetzgebung. Den Wert einer gesetzlich gesicherten Verfassung der Freiheit haben deutsche Liberale wie Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Walter Eucken und Franz Böhm aufgezeigt.

Die deutsche Misere

Gleichwohl ist Wieland Kurzkas wichtigstem Befund zuzustimmen: „Die wesentlichen Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland müssen vom Gesetzgeber getroffen werden.“ (S. 178) In diesen verfassungsrechtlichen Grundgegebenheiten mit der anhaltenden Tendenz zur Einzelfallregelung liegt ein Schlüssel zum Verständnis der deutschen Misere (staatliche Anmaßung von Wissen, starre statt evolutorische Ordnung).

Was ist zu tun? Die Kritik Kurzkas an einer Bürokratie erzeugenden Normprüfstelle überzeugt mehr als die an der Befristung von Gesetzen. Statt der von ihm präferierten, auf der Metaebene angesiedelten Systemtheorie erscheint zudem eine Besinnung auf die deutschen liberalen und ordoliberalen Weisheiten – also eine ordnungspolitische Wende – zielführender. Hier bleiben die bekannten konservativen Forderungen mehr Mahnung als konkreter Ausweg. Ohne Zweifel wird ein Neuanfang ohne die Rückbesinnung auf eine wertegestützte Ordnung (Selbstverantwortung, Subsidiarität, Christentum) schwer gelingen. Ob die Nation als Bezugsrahmen taugt, bleibt angesichts der Einbindung in Europa offen

Auf jeden Fall gilt es gegen die Sozialingenieure eine Selbststeuerung in einer offenen Gesellschaft durchzusetzen (213f.) und den zur Beute der Interessengruppen gewordenen Staat, so umzubauen, dass das „Netz der Gesetzesregulierung [nicht länger, MvP] .. die Freiheit des Bürgers [tötet]“ (S. 75). Nicht zuletzt wegen dieser Erkenntnis ist dem verständlich geschriebenen, kompakten Taschenbuch mit seiner gelungenen thesenartigen Zusammenfassung im abschließenden Teil „Übersicht“ (S. 278-286) ein großer Leserkreis zu wünschen.

Quelle: Erschienen 2005 auf Forum Ordnungspolitik