Krisen- und Katastrophenhilfe: überschätzter Staat, unterschätzte Unternehmen und ziviles Engagement
Krisen- und Katastrophenhilfe: überschätzter Staat, unterschätzte Unternehmen und ziviles Engagement

Krisen- und Katastrophenhilfe: überschätzter Staat, unterschätzte Unternehmen und ziviles Engagement

Krisen- und Katastrophenhilfe: überschätzter Staat, unterschätztes ziviles Engagement

“Regierung gibt neuen Plan für den Kriegsfall raus” titelte die BILD am 06.06.2024 und fasst zusammen, was alle Deutschen tun müssten, wenn Russland angreift. Der neue Verteidigungsplan der Bundesregierung, der sogenannte Operationsplan Deutschland (Oplan), legt fest, wie das Land im Fall eines Angriffs, insbesondere durch Russland, reagieren soll. Dies umfasst die Nutzung Deutschlands als Drehscheibe für militärische Logistik, die Einbindung der Zivilbevölkerung durch Freiwilligendienste, um kritische Infrastrukturen zu schützen und Unternehmen sollen Verträge mit dem Staat abschließen, um die Versorgung der Bundeswehr mit wesentlichen Gütern wie Wasser und Lebensmitteln sicherzustellen. Ein wesentlicher Aspekt des Plans ist schließlich die Stärkung des zivilen Schutzes.

KI Bild von Craiyon

In der Krise richten sich alle Augen auf den Staat und der sorgt seit Ende des Kalten Krieges für einen Krisen- und Kriegsfall vor. Das ist unerlässlich, wichtig und teilweise richtig. Allerdings sollte dabei eine alternative grundsätzliche Perspektive auch betrachtet werden, die des überschätzten Staates und der unterschätzten privatwirtschaftlichen Fähigkeiten oder einer unterschätzten Zivilgesellschaft. Das gilt sowohl vor dem Hintergrund der Performance des Staates weltweit in der Corona-Krise als auch für die bereits von Adam Ferguson aufgezeigten vielgestaltigen, nicht zentralen Bemühungen vieler Menschen zur Verbesserung der Welt bereits im 18. Jahrhundert. Wissenschaftliche Untersuchungen haben den Wert und mitunter die Überlegenheit zivilgesellschaftlicher Hilfe im Vergleich zum bürokratischen Staatsapparat aufgezeigt. Diese werden nachfolgend thematisiert – einige Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Aufsätzen im 21. Jahrhundert:

Der Aufsatz “Emergencies: on the misuse of government powers” von Christian Bjørnskov und Stefan Voigt, untersucht den Missbrauch von Notstandsbefugnissen durch Regierungen und deren Auswirkungen auf Bürgerrechte und politische Systeme. Es lohnt sich die Kernaussagen zur Kenntnis zu nehmen und darüber nachzudenken – „Wir stellen fest, dass die Zahl der Todesopfer einer Naturkatastrophe umso höher ist, je mehr Vorteile die Notstandsverfassung der Exekutive einräumt, und zwar unabhängig von der Schwere der Katastrophe.“

1. Verfassungsrechtliche Notstandsregelungen:

Fast 90% aller Verfassungen enthalten Bestimmungen, die es Regierungen ermöglichen, im Falle außergewöhnlicher Ereignisse den Notstand auszurufen. Diese Notstandsregelungen sollen eigentlich dazu dienen, Krisen zu bewältigen, indem sie der Exekutive erweiterte Befugnisse einräumen. Bjørnskov und Voigt stellen jedoch infrage, ob diese Regelungen wirklich die beabsichtigte Wirkung haben.

2. Machtverschiebung zur Exekutive:

Die Autoren zeigen auf, dass Notstandserklärungen häufig zu einer Machtkonzentration in der Exekutive führen, während die Befugnisse der Legislative und der Judikative eingeschränkt werden. Dies geschieht oft zum Nachteil der Bürgerrechte. Sie argumentieren, dass Notstandsgesetze oft nicht primär zur Bewältigung der Krise eingesetzt werden, sondern dazu, die Macht der Regierenden zu festigen oder auszubauen.

3. Negative Auswirkungen auf Menschenrechte:

Die Analyse deutet darauf hin, dass in Ländern mit weitreichenden Notstandsbefugnissen der Exekutive die Zahl der Todesopfer bei Naturkatastrophen höher ist. Dies wird darauf zurückgeführt, dass Regierungen möglicherweise weniger Anreize haben, effektiv auf Katastrophen zu reagieren, wenn sie die Situation nutzen können, um ihre Macht zu erweitern. Zudem verschlechtern sich die Menschenrechtsbedingungen proportional zur Leichtigkeit, mit der ein Notstand ausgerufen werden kann.

4. Unterschiedliche Effekte in politischen Systemen:

Bjørnskov und Voigt vergleichen die Auswirkungen in verschiedenen politischen Systemen und stellen fest, dass präsidentielle Demokratien tendenziell besser mit Naturkatastrophen umgehen können als parlamentarische Systeme, gemessen an der Anzahl geretteter Menschenleben. In autokratischen Systemen verschlechtern sich die Rechte der Bürger nach einem Notstand deutlich stärker.

5. Beispiele und aktuelle Relevanz:

Der Artikel beleuchtet historische Beispiele und die Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie, um die Missbrauchspotentiale und die Folgen der Notstandsregelungen zu verdeutlichen. Besonders im Rahmen der Pandemie haben viele Regierungen Notstandsmaßnahmen eingeführt, die zu erheblichen Einschränkungen der Bürgerrechte führten.

Insgesamt unterstreicht der Aufsatz die Notwendigkeit, die Machtbalance auch in Krisenzeiten zu wahren und die Bürgerrechte zu schützen, um Missbrauch zu vermeiden und die Effektivität von Regierungsmaßnahmen zu erhöhen.

Österreichische Perspektiven politischer Ökonomie in den USA

Der Artikel “The Political, Economic, and Social Aspects of Katrina” von Peter Boettke et al. analysiert die Reaktionen auf den Hurrikan Katrina und deren Auswirkungen auf die kommunale Wiederbelebung an der Golfküste. Zu den wesentliche Aussagen gehören:

Institutionelle Robustheit: Der Aufsatz betont, dass eine erfolgreiche Erholung nach Naturkatastrophen robuste wirtschaftliche, politische und soziale Institutionen erfordert. Diese Institutionen helfen dabei, die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften zu stärken.

Vergleich öffentlicher und privater Reaktionen: Die Autoren stellen fest, dass private Initiativen oft effektiver zur Wiederherstellung der Stabilität beitragen als staatliche Interventionen. Die Autoren argumentieren, dass die langsame Reaktion und die fragilen Zustände in vielen betroffenen Gebieten auf ineffektive staatliche Maßnahmen zurückzuführen sind.

Zivile Gesellschaft und unternehmerische Reaktionen: Der Artikel unterstreicht die Bedeutung der Zivilgesellschaft und der unternehmerischen Aktivitäten für die schnelle Wiederherstellung nach einer Katastrophe. Die zivilen und privatwirtschaftlichen Aktivitäten haben maßgeblich zur Überwindung der Krise beigetragen.

Fehlerhafte politische Rahmenbedingungen: Die Analyse hebt hervor, wie politisch und privat geschaffene Voraussetzungen vor der Katastrophe und die darauffolgenden Reaktionen die institutionelle Robustheit unterminiert oder unterstützt haben. Schlechte politische Rahmenbedingungen und mangelnde Vorbereitung haben die Erholung verlangsamt und erschwert.

Die Autoren plädieren dafür, die Rolle der Zivilgesellschaft und privater Akteure in Krisensituationen zu stärken und betont die Notwendigkeit, politische und institutionelle Strukturen zu überdenken, um die Resilienz gegen zukünftige Katastrophen zu verbessern.

An der George Mason University wurde im Nachgang zum Hurrikane Katrina ein wissenschaftliches Forschungszentrum errichtet, das über mehrere Jahre staatliche und private Aktivitäten und Institutionen im Umgang mit Naturkatastrophen untersucht hat: Mercatus Center Gulf Coast Recovery Project. Zahlreiche Veröffentlichungen dokumentieren die Forschungsarbeit.

Ich greife zwei Publikationen heraus:

Russel S. Sobel und Peter T. Leeson verwenden in „Government’s response to Hurricane Katrina: A public choice analysis” die Public-Choice-Theorie, um das Versagen der Federal Emergency Management Agency und anderer staatlicher Stellen bei der Durchführung einer wirksamen Katastrophenhilfe nach dem Hurrikan Katrina zu erklären. Die Bereiche, auf die sie sich konzentrieren, sind: 1. die Tragödie des Gemeindeversagens (anti-commons), die aus der vielschichtigen Bürokratie resultiert, 2. eine politische Voreingenommenheit durch übermäßige Vorsicht bei der Entscheidungsfindung, 3. die politische Manipulation von Katastrophenerklärungen und Hilfsmaßnahmen, um Wählerstimmen zu gewinnen, 4. das Problem der rechtzeitigen und genauen Offenlegung von Präferenzen, 5. das Streben nach Ansehen durch Regierungsbeamte und 6. Die Auswirkung von Kurzsichtigkeit, die mit Voreingenommenheit bei der Entscheidungsfindung der Regierung verbunden ist.

Peter J. Boettke und Daniel J. Smith untersuchen in “Private Solutions to Public Disasters: Self-Reliance and Social Resilience” die Rolle privater und kommunaler Maßnahmen in der Bewältigung von Naturkatastrophen. Boettke und Smith weisen darauf hin, dass staatliche Katastrophenhilfe oft durch bürokratische Hürden und mangelnde Anpassungsfähigkeit ineffizient ist. Im Gegensatz dazu reagieren private Akteure schneller und flexibler auf die Bedürfnisse der Betroffenen. Die beiden Autoren betonen, dass Eigenverantwortung und die Nutzung sozialer Netzwerke entscheidend zur Widerstandsfähigkeit und Erholung beitragen. Der Artikel beschreibt, wie Gemeinschaften durch lokale Organisationen, gemeinnützige Initiativen und Marktmechanismen besser auf Krisen vorbereitet sein können. Abschließend fordern die Autoren eine verstärkte Unterstützung und Integration privater und gemeindebasierter Ansätze in Katastrophenpläne.