Latenter Bürgerkrieg
Latenter Bürgerkrieg

Latenter Bürgerkrieg

Latenter Bürgerkrieg

Dirk Blasius: Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005, 188 S., 24,90 €.

Als „latenten Bürgerkrieg“ deutet Dirk Blasius das Ende der Weimarer Republik (S. 7). Ein Ordnungsvakuum habe den Zustand einer bewaffneten Gewaltanwendung in Deutschland ermöglicht. Die Auflösung der staatlichen Ordnung und des Rechtsstaates sei mit der Auflösung der bürgerlichen Ordnung einhergegangen, die sich in der Perspektive des Bürgerkriegs zu einer Desorientierungskrise einer fraktionierten politischen Öffentlichkeit verbinde. Überdies sei die Bürgerkriegslage von 1930 bis 1932 mit ihren asymmetrischen Frontverläufen bereits eine Erfahrungs- und Deutungskategorie der Zeitgenossen gewesen (S. 20).

Der Essener Wirtschafts-, Sozial- und Rechtshistoriker stützt sich auf die Auswertung von publiziertem Aktenmaterial und der meinungsbildenden Tagespresse, um in seiner politikhistorischen Studie die Bürgerkriegspolitik der Entscheidungsträger bemerkenswert schlüssig nachzuzeichnen. Dies gelingt ihm in seiner chronologisch-situativen Darstellung auf zweierlei Weise: Einerseits vermag er das Ausmaß und die Intensität der Gewalt des roten und braunen Terrors aufzuzeigen, die den Staat in die Zange nahmen. Andererseits gelingt es ihm, die Wahrnehmung der Zeitgenossen, die Lageeinschätzungen der Akteure und die fehlgeschlagene Politik der Bürgerkriegsverhinderung auf recht fesselnde Weise darzulegen. Allein in Preußen kam es vom 21. Juli bis 31. August 1932 zu 493 Fällen politischer Ausschreitungen mit 33 Toten und 378 Verletzten. Nach den „Blut-Wahlen“ vom 31. Juli 1932 kam das Bürgertum nicht mehr zur Besinnung. Der Potempa-Mord steht beispielhaft für die Entgrenzung von Gewalt, für ein abartiges Ausmaß von Brutalität, dem die Verteidiger der Republik nicht gewachsen waren. Sie reagierten unter dem Druck von Kommunisten und Nationalsozialisten zumeist kurzatmig und höhlten immer weiterer Teile des Rechtsstaates aus. Auf diese Weise stärkten sie unbeabsichtigt das Vorhaben der roten und braunen Terroristen, die an die Schalthebel der Macht strebten, um ihre eigene Ordnung an die Stelle der bürgerlichen Gesellschaft zu setzen. Mit dem Prozess über den Preussen-Schlag Papens kam der Bürgerkrieg vor Gericht und wurde zum „Geburtshelfer der NS-Diktatur“ (S. 122): „Die Weimarer Demokratie ist keinen Erschöpfungstod gestorben; ihre Institutionen haben die tödliche Gefahr, die von politischen Gewalthandlungen der Rechten ausging, verkannt“ (ebenda). So gaben die teils legalistisch agierenden bürgerlichen Kräfte ohne Konzept und Langfristorientierung die Freiheit preis. Wollte man zunächst aus Angst vor einem Bürgerkrieg den Nationalsozialisten nicht die Macht überlassen, so sah die (bürgerliche) Bevölkerung angesichts der permanenten Gefahr eines Bürgerkrieges schließlich nur in den Nationalsozialisten selbst noch die Bewegung, die den Frieden künftig zu bewahren vermochte. Ergo: der Bock wurde zum Gärtner gemacht!

Die Schilderung von Dirk Blasius zeigt eindringlich das Politikversagen und seine Folgen auf, wirft ein Schlaglicht auf die Medien als Transmissionsriemen und verfolgt beharrlich die Brutalität der Kollektivisten. Letztlich demaskiert er deren propagandistisches Treiben einschließlich ihrer Legalitätsideologie als Fassade. Letztlich wollten gut organisierte Verbrecher-Banden ans Ruder, die im Kampf um die Macht keinen Terror scheuten. Insofern erstaunt es nicht, dass das „Wort Bürgerkrieg .. seit den Reichspräsidentenwahlen im Frühjahr 1932 zum politischen Schlagwort des Jahres“ (S. 35) avancierte.

Wie sich die Republik-treuen Kräfte in Machtkämpfen hinter den Kulissen hoffnungslos verstrickten zeigen das „Kriegsspiel“ Ott, die Bürgerkriegsplanübung der Reichwehr, die den Wechsel von Papen zu Schleicher maßgeblich beförderte, und Schleichers defensive Experimente mit dem Staatsnotstand (Stellvertretung des Reichspräsidenten und Gesetz über Straffreiheit, Staatsnotstand-Plan). Nach Schleicher folgte der „Bürgerkrieg in Permanenz“ (S. 174).

Mit der gleichermaßen einprägsamen wie konzisen Integrationsformel des Bürgerkrieges gelingt es Dirk Blasius, von Carl Schmitt inspiriert, die Besessenheit der Entscheidungsträger von der Bürgerkriegssituation aufzuzeigen und ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen – schwelend, aufbrandend, latent, permanent – herauszuarbeiten. Deutlich wird wie sehr sich die Weimarer Republik am „Rand des inneren Krieges“ (S. 89) bewegte. Damit gibt er Karl Dietrich Brachers These der Auflösungsphase der Weimarer Republik als Vorgeschichte des Dritten Reiches eine unerwartet frische Wendung. Das reflektierte Ausblenden des sozio-ökonomischen Kontexts zeigt die Grenzen der Erklärungskraft der Bürgerkriegsthese auf.

Quelle: Rezension erschienen in Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG) 93 (2006), 504-505.