Kommentar
Die Ordoliberalen sind so etwas wie die guten staatstragenden Liberalen in Deutschland. Berührungsängste braucht niemand zu haben. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe.
Ordoliberale gehören zu den Vätern und Patenonkeln der Sozialen Marktwirtschaft, der freiheitlichen Alternative zum dominierenden Sozialismus und massiven Etatismus der Zeit. Unter ihnen waren und sind ausgesprochen kluge, interdisziplinäre und liberale Köpfe. Viktor Vanberg und Alfred Schüller, den ich sehr schätze, darf man zu ihnen zählen. Ihre Ordnungspolitik ist ein für Politik und Staatsbürokratie verständliches und praktikables Angebot, das allerdings auf zunehmende Ignoranz der Politik traf. Inzwischen sind nahezu alle Lehrstühle an deutschen Universitäten verschwunden.
Ich hatte neben großem Interesse stets auch ein ungutes Gefühl beim Ordoliberalismus, insbesondere bei einigen Ordoliberalen. „Wettbewerb als staatliche Veranstaltung“ ist eine der bizarren Formeln, die mehr als nur den Eindruck einer Inszenierung erweckt. Die österreichische Auffassung von Monopolen und Wettbewerbs im Marktprozess halte ich für überlegen.
Schmunzeln musste ich als ich erstmals über Mises Ausbruch bei einer MPS-Debatte las: „Ihr seid doch alle Sozialisten“. Zudem erinnere ich mich noch gut an die Situation, in der ich vor langer Zeit Mises Klarheit und Bestimmtheit gegenüber ordoliberalen Mitstreitern befürwortet und verteidigt habe. Ihnen war er zu radikal.
Nun habe ich mich bereits kürzlich kritisch mit der Sozialen Marktwirtschaft in Bezug auf Ludwig Erhard auseinandergesetzt (Mythos Soziale Marktwirtschaft). Kaum ist das der Fall, fließt reichlich Wasser auf meine Mühlen.
So las ich in der Zeitschrift „Monatsblätter für freiheitliche Wirtschaftspolitik“, die von dem heute weitgehend vergessenen und vermutlich unterschätzten Volkmar Muthesius herausgegeben wurde, in der Ausgabe Nr. 1 vom Mai 1955. Gleich der erste, wahrscheinlich von ihm stammende Text ist überschrieben mit: „Weniger regieren!“ Es folgt ein Zitat von R. L. d’Argenson: „Um besser zu regieren, täte es not, weniger zu regieren.“ Welch zeitlose Wahrheit!
In der folgenden Rubrik „Randnoten“ werden die 1.109 Sozialgesetze und -verordnungen kritisiert, die in den 70 Jahren zwischen 1883 und 1953 erlassen wurden, als „kollektivistisches System von staatlichen Zwangsversicherungsanstalten, für die Wechselfälle des Lebens“.
Es folgt ein kluger Beitrag von Hans Hellwig, der konstatiert: „Wir brauchen kein Kartellgesetz“. Ein BGB-Zusatzparagraph genüge, der Kartellvereinigungen für nichtig erkläre, die den Wettbewerb beschränken. Und dort findet sich ein treffender Ausdruck für mein ungutes Gefühl:
Der Ordoliberalismus sei eigentlich ein Sozialliberalismus, schon aufgrund der darin enthaltenen Ideen Oppenheimers. Die Ideen Böhms, Euckens und Miksch’ über Kartellpolitik und Leistungswettbewerb hätten unangefochten in der von Reichsminister Dr. Hans Frank herausgegebenen Schriftenreihe der Akademie für Deutsches Recht veröffentlich werden können.
Und nun etwas ausführlicher zitiert: „Das beweist gewiß nichts gegen diese Ideen, aber immerhin einiges gegen ihren liberalen Inhalt. Die Nationalsozialisten hatten hierfür eine feine Nase. Man stelle sich nur einmal vor, die drei Autoren hätten statt ihrer staatlich zu sichernden Forderung nach Leistungswettbewerb, die auf die Marktformenlehre gestützt wurde, etwa die kallaktische Kartelltheorie v. Mises’ vorgetragen: Was der Lehre Leonhard Miksch’ gewährt wurde, wäre der von Ludwig v. Mises ohne Zweifel verwehrt worden. Die Nationalsozialisten spürten sofort den interventionistisch-sozialistischen Einschlag der neuen Wettbewerbslehre heraus. Auch im bolschewistischen Rußland heißt jedes dritte Wort „Wettbewerb“. Während der unbehinderte Wettbewerb in einer liberalen Wirtschaftsordnung Ausfluss des Privateigentums an den Produktionsmitteln ist, bedeutet der Wettbewerb für den Sozialisten eine amtliche Pflicht, eine staatliche „Veranstaltung“, ja geradezu die Rechtfertigung des Privateigentums.“ (Hervorhebungen von mir)
Alles vom Staat und durch den Staat, das ist die große Illusion, die einige Ordoliberale nähren. Rasch wird der Rahmen setzende Staat zur Eigentum gewährenden Obrigkeit, die unerwünschte Marktergebnisse korrigiert und das Soziale usurpiert. Die gefürchtete Marktanarchie der unsichtbaren Hand wird durch die starke sichtbare Hand der Staatsdiener geordnet. Alle Bürger können beruhigt schlafen. Der Staatsdiener dient gar nicht dem Staat, sondern dem Gemeinwohl. Der Staat verhält sich neutral, erkennt Unzulänglichkeiten auf Märkten, verfügt vielfach über besseres Wissen über die anzustrebenden Endzustände. Ein marktkonformer Staat der Ökonomenkönige.
Wenn Wettbewerb durch den Staat veranstaltet werden muss, dann muss konsequenterweise auch die Wirtschaft und ihr Wachstum durch den Staat geleitet werden. Genauso kam es 1967 mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz. Der heutige Interventionsstaat wurde nicht zuletzt mit ordoliberaler Hilfe vorbereitet und fest verankert. Die Ordoliberalen sind vielleicht keine Sozialliberalen, aber Staatsliberale. Kein Wunder, dass Mises, wenn auch beim Thema Goldstandard, ausflippte.
Für mich gilt: Mises hatte recht.