Re-Education: Nach dem Zweiten Weltkrieg führten die Alliierten eine Entnazifizierung durch. Als Umerziehung diente sie der Abkehr vom und Überwindung des Nationalsozialismus. Die zuweilen als demokratische Bildungsarbeit bezeichnete Re-Education zielte auf eine Umprogrammierung der deutschen Gesellschaft und auf die Auflösung des nationalsozialistisch durchformten Kultursektors. Die Bildung sollte dabei eine Schlüsselrolle einnehmen.
Die 68er haben mit ihrer linken, sozialistischen, zersetzenden Ideologie eine weitreichende Umerziehung erheblicher Teile der deutschen Gesellschaft erreicht. Das macht Josef Kraus, jahrzehntelanger Präsident des Deutschen Lehrerverbands, in seinem facettenreichen Essay deutlich. Die Bildung hat dabei eine Schlüsselrolle eingenommen. Die Medien wurden faktisch von den 68ern übernommen. In den deutschen Parteien dominiert ebenfalls der neue Sozialismus, ein mit bürgerlichem Anstrich getarnter Samtpfotensozialismus. Die Kirchen, insbesondere die evangelische, gleicht einem linken Sozialverein.
Nach der Lektüre des anklagend-aufklärerischen Buches wird deutlich, dass die Rückkehr zu einer freiheitlichen, gesunden Gesellschaft nicht mehr ohne eine Rollback-Politik gelingen wird. Die Aufgabe ist ähnlich tief greifend wie die Re-Education. Der rote und grüne Sozialismus der 68er folgt dem braunen der Nationalsozialisten unter Schallmaienklängen eines Antifaschismus und trägt doch selbst totalitäre Züge. „Was die echten und die späteren 68er ihren Eltern vorwarfen, haben sie nie selbst praktiziert: ihre Ideologien aufzuarbeiten, vor allem ihre ‚pädagogischen’“. schreibt der jahrzehntelange Leiter eines bayerischen Gymnasiums Josef Kraus. Heute ist kein Bereich des Lebens dem Dirigismus, Paternalismus und Moralismus der 68er mehr entzogen. Im Rückblick wird die Kulturrevolution sichtbar.
Um das zu erkennen, ist die Lektüre des stark verdichteten Essays sehr hilfreich. Sein Anliegen macht Josef Kraus zum Ende des Buches deutlich: „Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland nicht ausschließlich zur politisch korrekten und gesinnungskonformen ‚Zivilgesellschaft’ wird: gutmenschlich, domestiziert, postnational, postheroisch, ständig sich selbst und andere umerziehend.“ Genau das bekommt der Leser in die Hand und kann es sich zu Gemüte führen, sprachlich vorbildlich, gedankenreich und mit einer Fülle von Bezügen zu Dichtern und Denkern, Literaten und Wissenschaftlern. Das ist ein Vor- und zugleich ein Nachteil: Ein Strom pointierter Aussagen streift viele Themen und fördert die Kernaussagen an die Oberfläche, zugleich entsteht aber auch ein letztlich schwer überschaubares Geflecht von Perspektiven, dessen Argumentation sich kaum verinnerlichen lässt.
Der Leser erfährt Wesentliches über die Entstehung und die ideologischen Urväter der 68er mit ihrem „Eklektizismus aus Kommunismus, Marxismus, Maoismus, Sozialismus, Egalitarismus, Hedonismus, Pazifismus, Feminismus, Internationalismus, Humanitarismus, Kulturrelativismus, Multikulturalismus, neuerdings auch Ökologismus und Genderismus … unterlegt mit vielen Anti-Ideologien“. Diese Spießerideologie besitzt einen moralischen Totalitätsanspruch, dessen repressive „Toleranz“ in der sogenannten politischen Korrektheit gebündelt wurde. Lächerlich ist der Genderismus mit einer allerdings geradezu autoritären Verstiegenheit, nämlich über eine Deformation von Sprache regelrechte Gehirnwäsche zu praktizieren.
Im Grunde haben die 68er eine erfolgreiche Zersetzungsstrategie durchgeführt. Besonders anschaulich zeigt Josef Kraus das in seinem Spezialgebiet Bildung und Pädagogik auf. Zudem ist das Kapitel über das schizophrene Verhältnis der Linken zum Islam besonders gelungen. Geschildert werden dort nicht zuletzt 1001 Unterwerfungen. Wer den Abstieg und die Abschaffung Deutschlands begreifen und noch wichtiger sich dagegen stemmen möchte, dem sei die Ideologiekritik des Neosozialismus von Josef Kraus sehr empfohlen.
Michael von Prollius
Josef Kraus: 50 Jahre Umerziehung. Die 68er und ihre Hinterlassenschaften (Werkreihe von TUMULT # 6), 2. Auflage Dresden 2018, 189 S., 19,90 Euro.