Portionierte Zukunft zum Anpacken
Portionierte Zukunft zum Anpacken

Portionierte Zukunft zum Anpacken

Portionierte Zukunft zum Anpacken

Eine Bedienungshilfe im Umgang mit der Zukunft. Ein Mutschwung, um nach vorne zu kommen, nicht zuletzt politisch. Ein Ratgeber für jedermann.

Die Politikwissenschaftlerin und Militärstrategin Florence Gaub, Direktorin des Forschungsbereichs am NATO Defense College befasst sich professionell mit der Zukunft und publizistisch in ihrem aktuellen Buch „Zukunft. Eine Bedienungsanleitung“.

Ihr Leitgedanke, zugleich Leitbild für die Leser, ist der Umgang mit einer komplizierten Maschine, die mit Hilfe einer Bedienungsanleitung handhabbarer wird. Einen Ausgangspunkt bildet die Diagnose, die Zukunft stecke in Deutschland und im Westen u.a. aufgrund von Krisen und Status quo Orientierung vielleicht in der Krise. Zudem beschäftige die Zukunft als Forschungsobjekt erst seit kurzem die Wissenschaft. „Und genau deshalb benötigen wir eine Bedienungsanleitung.“ schreibt die Wahl-Römerin in ihrem einleitenden Kapitel „Vor der Erstbenutzung“.  Aufschlussreich erscheint die zentrale Aussage, mehr Optionen würden den Handlungsspielraum erhöhen und damit Optimismus befördern.

Adressaten des Buches sind sowohl einzelne Leser als auch „Unternehmen oder Regierungen, die langfristig denken wollen.“ Florence Gaub bietet für sie fünf Kapitel an:

„Technische Daten: Was ist die Zukunft?“ enthält definitorische Annäherungen, eine Typologie mit vier Arten nach Zeit gestaffelt, den Hinweis auf die Relevanz von Wahrscheinlichkeit, einen Selbsttest zur Zukunftsvergesslichkeit und eine kleine Geschichte der Zukunftsbearbeitung.

„Bedienelemente und Geräteteile: Woraus besteht die Zukunft?“ thematisiert das aktive Befassen mit Zukunft, auch als Tagträumer, Überlegungen zu Gegenwart, Vergangenheit und Kreativität. Emotionen und Kreativität würden in einem gegenteiligen Verhältnis stehen.

„Inbetriebnahme: So funktioniert Zukunft“ setzt beim Kardinalproblem an: Das Hauptproblem der Zukunft ist, dass es so viele davon gibt.“, befasst sich mit Wissen und Nicht-Wissen, postuliert mehr Daten würden zu besserem Wissen führen. Gefahren und Optimalvorstellungen sowie Zufall werden ebenfalls erörtert.

„Sicherheits- und Warnhinweise“ warnt vor Katastrophen- und vor Wunschdenken sowie vor Illusionen der Gewissheit. Florence Gaub kritisiert zwei Formen von gefälschter Zukunft, Determinismus und Obskurantismus: „Zukunft als das Ergebnis von Kräften, die außerhalb unserer Kontrolle liegen“ und der Glaube, „die Zukunft beeinflussen zu können, indem wir Schritte unternehmen, die nichts mit ihr zu tun haben.“

Im Schlusskapitel „Störungsbehebung“ werden vier Betriebsstörungen thematisiert: 1. abgelaufene Zukunft, die uns z.B. in Krisen als Abschied von einer alten Zukunft begegnet, 2. Depressive No Future Mentalität, verbreitet während der Corona-Krise, aus denen uns Regierungen herausholen sollen, 3. schlechte Zukunft als Angst und Alternativlosigkeit, 4. uninspirierte Zukunft, die ein aktives Auseinandersetzen erfordert und in der Aufforderung mündet „wieder bewusst eine sinnliche Zukunft voller Adjektive zu wählen“, somit  „Zukünfte nach Gefühl zu wählen, in denen wir uns verbunden, erfüllt, wachsend, weise und geschätzt fühlen.“ Nice!

Peppige Zitate aus der Popkultur leiten die Kapitel ein, z.B. von Rachael aus „Blade Runner“ (1982) und Doc Brown aus „Zurück in die Zukunft II“. Die klar strukturierten Kapitel und durchdeklinierten Texte sind gespickt mit Lesefrüchten unterschiedlicher Disziplinen, darunter die Gehirnforschung.  Wer aus der Lethargie gerissen werden möchte, der findet mit dem fast neongrünen Buch eine praktische Handhabung und vielleicht Hoffnung.

Man kann auch noch anders auf das Buch schauen. Das hat etwas mit Erwartungen vor der Lektüre zu tun und mit dem, was man im Buch nicht findet. Das ist häufig eine wohlfeile, mitunter unangebrachte Kritik, stets eine Frage der Maßstäbe. Wer eine Bedienungsanleitung gelesen hat, findet diese technischen Erklärungen vermutlich auf die Maschine beschränkt. Der Vorteil der gewählten Einfachheit und Klarheit lässt sich zugleich als sehr einfach beurteilen. Unsere Zukunft ist indes durch dynamische Komplexität gekennzeichnet; sie kann gerade von Regierungen nicht nur vollkommen unzulänglich gestaltet werden, sondern wird von Regierungen und Gesellschaften immer wieder geradezu verbockt. Eine hausgemachte Krise jagt im Westen seit 20 Jahren die nächste. Ein Grund liegt darin, dass Zukunft keine technische Frage ist, sondern ein Koordinationsproblem darstellt. Das erfordert mehr als machen, nämlich häufig nicht machen, sondern machen lassen. Mit einigen Passagen von Florence Gaub ließe sich ein solcher Aufbruch als Ausbruch begründen. Wer prägnante Begriffe sucht: Die unsichtbare Hand lässt grüßen. Einige weitere Schlagworte lauten Subsidiarität, besser Non-Zentralität, die unabhängigen Bemühungen vieler, Handeln und Haften, die furchtbaren Folgen von Großmannssucht. Demut kann daher eine wichtige Haltung sein und das Wissen um die vielen unbeabsichtigten Konsequenzen von Handeln wie Teile der Wirtschaftswissenschaften lehren. Das gilt es sich indes zunächst zu erarbeiten. Lethargie sollte keineswegs die Folge sein, aber kluge Zurückhaltung und das Öffnen von Handlungsspielräumen für die Menschen statt politischer Primate und Beschränkungen. So kann kreatives Potenzial entfesselt werden. Voraussetzung ist ein anderes Denken.

Florence Gaub: Zukunft. Eine Bedienungsanleitung, dtv, München 2023, 224, Hardcover 23,00 Euro