Wissenschaft, Ideologie, Non-sens und dergleichen
Wissenschaft, Ideologie, Non-sens und dergleichen

Wissenschaft, Ideologie, Non-sens und dergleichen

Wissenschaft, Ideologie, Non-sens und dergleichen

Der amerikanische Ökonom und Gelehrte Arnold Kling schrieb auf Substack unter dem Titel “Justice, order, and the left-right divide”: „In any case, by the time I wrote the third edition, I was more keenly aware that most people don’t really want constructive debate: they use languages that do nothing but exacerbate tribal warfare because they prefer tribal warfare to constructive debate.

Der polnische Soziologe Stanislav Andreski bemerkte in seinem Klassiker „Die Hexenmeister der Sozialwissenschaften“ (1974): „Allein schon die Tatsache, daß professionelle Erforscher der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik sich selbst und ihre Kollegen als Rechte oder Linke klassifizieren, zeigt, daß ihre Kategorien nicht differenzierter sind als die des Mannes auf der Straße.“ Und er fährt mit einer eindringlichen Illustration fort: „Man stelle sich vor, was für eine Art von Wissenschaft die Zoologie oder die Kristallographie wären, wenn alles auf eine Dimension gebracht würde, in der alle Dinge nur nach ihrer Größe oder danach, ob sie hell oder dunkel, weich oder hart sind, klassifiziert würden.“ (S. 28)

Acht Sozialwissenschaftler zusammen inklusive Thomas Homer-Dixon konstatieren in ihrem Paper „A Complex Systems Approach to the Study of Ideology: Cognitive-Affective Structures and the Dynamics of Belief Systems“ (2013): “Ideologies are often deeply emotionally embedded and central to an individual’s sense of who they are, that is, their identity.

Was haben die drei Beiträge gemeinsam? Welche Verbindungen sehe ich zwischen ihnen? Das Verlangen, Debatten zu führen, nach Erkenntnis zu streben, seine Ansicht zu erweitern, gar zu ändern, ist begrenzt. More of the same, preach to the converted, groupthink dominieren – im Alltag, in der Publizistik, in der Wissenschaft. Manches, das im Gewand der Wissenschaft daherkommt, ist bestens wertlos. Sogar Vieles. Die Gründe sind menschlich, identitär – individuell und gruppenbezogen, schwerlich trennbar emotional verklebt. Mit der Zeit bilden sich Strukturen, Institutionen, herrschende Verhältnisse aus, die dem Neuen, Originellen abträglich sind. Ein heute nach meiner Wahrnehmung weit verbreiteter Missstand, der alle Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durchzieht.

Wer möchte, der kann an dieser Stelle aufhören zu lesen. Wer noch Interesse hat, der kann einige Einsichten in Andreskis Verriss der Wissenschaft erwarten genauso wie psychologische Erkenntnisse einer Beschäftigung mit Glaubenssystemen.

Pseudo-Wissenschaft

Stanislav Andreski (1919-2007) macht in seinem gesellschaftswissenschaftskritischen Buch im Untertitel sein Anliegen klar: „Mißbrauch, Mode und Manipulation einer Wissenschaft“. Konsequent führt er den Leser durch die fundamentalen Irrtümer seiner Zunft, die die wiederholte Unfähigkeit sauber zu Denken und zu Schlussfolgern von etablierten Wissenschaftlern einschließt. Ein aufgeblasener Fachjargon, eine aufgequollene Methodik sowie durch Tonnenideologie geleitete Publikationspraxis und Wissenschaftsorganisation gehören zu den stellenweise amüsant vorgetragenen Attacken gegen ein Schamanentum, das sich als Wissenschaft ausgibt. Masse statt Klasse, nachbeten statt selbst denken, so lautet wiederholt die Anklage: „Prätentiöse und nebulöse Weitschweifigkeit, unendliche Wiederholung von Plattitüden und versteckter Propaganda sind an der Tagesordnung, während mindestens 95% der Forschung die Suche nach Dingen darstellt, die schon vor langer Zeit und seitem viele Male gefunden wurden.“ (S. 9)

Andreski sieht einen Zusammenhang zwischen der Expansion der Sozialwissenschaften und einem Qualitätsverlust. Andere Gründe fallen mir ein, darunter, dass die Proportionen gleichgeblieben sein könnten, nur die Masse des mäßig Interessanten mehr auffällt, ferner die Schwierigkeit, bahnbrechende Erkenntnisse am laufenden Band zu liefern, und das Ignorieren von vielen guten, aber nicht großartigen Erkenntnisfortschritten.

Tatsächlich gehört Charakter, d.h. ein wenig Größe dazu, eigene Irrtümer und Unzulänglichkeiten einzugestehen. Politikwissenschaftlern und Ökonomen würden dem dadurch aus dem Weg gehen, dass sich stets ein Argument fände, das den Irrtum wegerkläre. Bekannt ist diese Reaktion durch eine selbst geglaubte ex post Anpassung verfehlter Einschätzung.

Zeitlos finde ich die Warnung des Soziologen vor Zentralisierung, gerade im Wissenschaftsbetrieb. Das führe zum Unterwerfen unter Autoritäten, schränke eigenständiges Denken ein, führe zur Fehlleitung durch Bürokratien, gerade auf ministerieller Ebene, und zur Vermassung in Forschungsgruppen anstelle originärem Selbstdenken, das die großen Wissenschaftsfortschritte der Zeit kennzeichne. Dem kann ich einiges abgewinnen. Allerdings scheint mir heute, fast 50 Jahre nach der Veröffentlichung, die Disziplinen übergreifende Zusammenarbeit angesichts der vielfachen Detailkenntnisse und wertvollen Spezialisierungen für alle, die nicht ganz große Geistern sind, unerlässlich und wertvoll zu sein.

Besonders aktuell klingt sein erster Absatz im Kapitel „Absurditäten und ihre Anwendung“. Dort schreibt er, „daß der Mensch keine angeborene Neigung hat, nach der Wahrheit zu suchen, daß vielmehr Absurdität und Obskurität für die meisten Menschen eine große Anziehungskraft haben.“ Als Grund führt er u.a. an, dass „Klarheit und Logik dem Denken schwere Beschränkungen auferlegen, die verhindern, daß wir uns mit ganzem Herzen unseren Wünschen, Abneigungen und Launen hingeben.“ (S. 91) Wer hier an Klima-Kriminelle und -Katastrophismus denkt, Wokismus, kritischen Rassismus und cancelnde Unkultur, an absurde Bürokratie, die nicht mehr hinreichend von Sachkenntnis geleitet wird, an Corona-Politik und permanente Krisenpolitik, der fügt dem Absurden noch Machtpolitik hinzu: „Konfusion und Absurdität schützen etablierte Autorität vor Störung dadurch, daß sie von Talent und Geschicklichkeit und deren Bewertung ablenken, ähnlich wie Kleider eine Hierarchie vor den Wirkungen der Nacktheit schützen“. (S. 92) Wir dürfen noch mehr Absurdes erwarten.

Bedenkenswerte halte ich Andreskis Hinweis, dass wir unaufhörliche Schwierigkeiten mit rein Vernunft geleitetem Denken haben werden, weil uns die Begriffe für rein kognitive Verhaltensbeschreibungen fehlten (nicht aber für emotionale und normative Feststellungen). Die propagandistische Aufladung von Begriffen behandelt er überzeugend am Beispiel des Faschismus.

Ich belasse es an dieser Stelle, um nicht zu weitschweifig zu werden, mit dem Hinweis, dass der wahre wissenschaftliche Geist mit Andreski darin besteht, sich um die „größtmögliche Annäherung an die Wahrheit zu bemühen, die unter den gegebenen Umständen möglich ist“. (S. 126)

Glaubenssysteme

Hängen geblieben bin ich bei der Lektüre des Aufsatzes von acht Autoren über das Studium von Ideologie an dem Satz, dass ideologische Positionen besser als Glaubenssystem verstanden werden können, die sich nicht konträr gegenüberstehen, sondern die bedeutsam und sinnvoll seien (meaningful). (S. 339f.) Wenn ich mich selbst und andere, abweichende Positionen betrachte, dann finde ich diese Perspektive einleuchtend. Damit geht einher, worauf bereits Andreski beim einfältigen Links-Rechts-Schema hinwies: „the reduction of ideologies to a small numer of dimensions is simply too crude.” (S. 340)

Nach Homer-Dixon uns seinen Coautoren umspannen Ideologien individuelle psychologische Bedürfnisse sowie in und zwischen Gruppen die Legitimation und Herausforderung von Macht. Damit wirkten sie handlungsleitend. Kohärenz wirke anziehend, Unterschiede wirkten trennend, vor allem emotional. Individuelle Emotionen existierten neben Gruppenemotionen. Kollektive Bedeutungen, die geteilt werden, erforderten eine gemeinsame Sprache. Dabei sei die Gruppe sowohl größer als das Individuum angesichts der Zahl und Vernetzung als auch der kleinste gemeinsame Nenner.

All das lässt sich auf zahlreichen Politikfeldern beobachten.

Ideologischer Wandel erfordere konzeptionelle und emotionale Andockfähigkeit mit bestehenden Glaubenssystemen.

Das macht einen dringend erforderlichen Mentalitätswandel im Westen so schwer.

Wir glauben noch seien wir Spitze und die Probleme würden sich auflösen.

It just ain’t so.