Erkenntnistheorie- und Praxis für eine offene Gesellschaft
Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie. Praktische Denkhilfen und Anregungen für eine förderliche Lebenshaltung. Diagnose substanzieller Probleme unserer Übergangszeit. Grundlegungen für einen Weg zu einer wieder freieren, offenen und vielseitigen Gesellschaft. All das und nichts allein davon zeichnet für mich nach meiner Lektüre das lesenswerte Buch des Ökonomen der Bayreuther und Österreichischen Schule aus, der doch einen eigenen Ansatz präsentiert. Lebenshilfreich.
Man merkt dem Buch die Drei-Essay-Struktur an. Es liest sich zugleich angenehm, ein gelungenes Layout. Im Mittelpunkt steht die Ökonomik. Der erste kurze Teil handelt von systemischem Denken. Es folgt umfangreicher der wesentliche wissenschaftstheoretische Teil: konstruktivistische Epistemologie. Der umfassendste Abschnitt behandelt das aktuelle System der gesellschaftlichen Co-Abhängigkeit. Den Abschluss bildet eine umfangreiche Zusammenfassung mit Ausblick bzw. Perspektiven. Gedankenreich sind die Anlagen, unbedingt lesen!
Der Titel ist als Imperativ gedacht, sich „eines agilen und funktionalen Mind-Sets achtsam und gegenwärtig zu Nutze zu machen.“ (S. 250). Zu den mit einander verbundenen Mega-Mind-Sets gehören: Im Westen denken wir die Natur/ Wahrheit objektiv erkennen zu können. Das müssten für jeden, auch für Minderheitenmeinungen gelten. Indes beherrscht richtig-falsch, schwarz-weiß unser Denken. Toleranz im Denken und im Umgang sind mehr denn je geboten, um diese Spaltungen zu überwinden. Beobachtungen werden mit Bewertungen durchsetzt und ersetzt. Interventionen sorgen über Rettungskaskaden für Co-Abhängigkeiten. Eine Alternative ist das Sowohl-als-auch-Denken. Damit verbunden ist der Konstruktivismus, die Einsicht, dass Erkennen subjektiv ist und ein vom Beobachter abhängiger Prozess. In einem gemeinsamen Entdeckungsprozess lassen sich blinde Flecken identifizieren und erhellen. Das erfordert Geduld, Gewähren-Lassen, Grautöne. Fragen statt Antworten helfen enorm.
Markus Schiml bietet einen systemisch-konstruktivistischen Denkansatz, der zugleich eine Geistes-, vielleicht Lebenshaltung sein kann. Das Betrachten ist im besten Sinne Ganzheitlich, erfasst die Komplexität, Dynamik und Interdependenz der Dinge und der Betrachter reflektiert, dass seine Beobachtung und Bewertung selbstreflexiv sind, wie die der Mitmenschen auch, so dass objektive Wahrheit angestrebt, aber kaum erreicht werden kann.
Mit dieser Haltung lässt sich unsere haltlose Gesellschaft wieder zusammenfügen, in der zusehends Normen und Werte zusammenbrechen, Ziele und Ideale verloren gehen, psychopathologische Spaltungen und Co-Abhängigkeiten produziert werden.
Ein Buch, das mir immer wieder aus dem Herzen und Kopf spricht. Angesichts der heutigen Lage ein Engagement wie ein wieder ins Wasser geworfener Seestern – die Brandung bleibt. Wer mag mitmachen?!
Markus H. Schiml: Mega-Mind-Set! Grundlegungen zu einer “neuen” Ethik der Freiheit, Verlag Markus H. Schiml, Lauf an der Pegnitz 2022, 295 S., Hardcover, 22,95 Euro.