Wüstenkrieg, Propaganda, militärische Leistungen und Differenzierungsvermögen
In einer Zeit angestrebter Eindeutigkeit unterscheidet Differenzierungsvermögen Menschen. Das Leben ist vielfach nicht eindeutig, sondern widersprüchlich. Zuweilen sollte es eher um perspektivenreiche Beobachtungen statt rasches Bewerten gehen.
In einer Zeit der Rückkehr des Krieges kann eine Beschäftigung mit Krieg, Schlachten, Kämpfen und Einzelschicksalen als Teil größerer Zusammenhänge nützlich sein für differenziertes Anschauen. Im Gefecht ist Zögern hingegen selten vorteilhaft. „Wirkung geht vor Deckung!“ ist eine militärische Maxime.
Im Zweiten Weltkrieg steht ein Truppenführer und General, später Generalfeldmarschall, persönlich für entschlossenes Handeln, für Führen von vorn. Führung als in Bewegung bringen, diese moderne Definition verkörperte damals Erwin Rommel (1891-1944).
Der Krieg in Nordafrika 1941 bis 1943 unter dem Befehl und Kommando von Rommel scheint immer noch mythisch aufgeladen zu sein wie die Person des Generalfeldmarschalls selbst. Das Wort „umstritten“ darf in diesem Zusammenhang nicht fehlen. Das gilt für den Krieg bzw. Kriegsschauplatz sowie für Charakter und Handeln von Rommel.
Die Briten gehen anders als die Deutschen unverkrampfter mit dem Thema um. Einer der Streamingdienste brachte 2023 eine anschauliche Action-Geschichte der Entstehung des SAS (Rogue Heroes) und deren Einsatz in Nordafrika als Miniserie. Aktuelle Spielfilme über das Afrikakorps sind mir nicht bekannt.
Das gilt auch für die populärwissenschaftliche Literatur. So ist die Gattung der tatsachenorientierten und mit Zeitzeugenberichten gesättigten, journalistischen Militärgeschichte in Deutschland ebenfalls nicht wieder in Mode gekommen. In der Geschichtswissenschaft galt Operationsgeschichte viele Jahre als nicht zeitgemäß. Der Bedarf ist spätestens seit der Zeitenwende und dem Ukraine-Krieg erheblich. Immerhin gibt es einen militärgeschichtlichen Lehrstuhl in Deutschland – mit Sönke Neitzel als prononciertem Inhaber, ferner das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
1976 war das noch anders. Vor fast 50 Jahren erschien „Rommels Krieg in Afrika“ von Wolf Heckmann (1929-2006), der als Journalist tätig war, u.a. Chefredakteur der Morgenpost (Mopo). Seine Darstellung des Wüstenkriegs unter Rommel 1941/42 kann stellvertretend für dieses Sachbuch-Genre betrachtet werden.
Wolf Heckmann verbindet Kampfszenen und Berichte über den Kriegsalltag ohne Gefechte, die in Skizzen politischer, strategischer und operativer Lagebilder und Entscheidungen eingebettet werden. Das Ergebnis erinnert an eine Collage, die aus einer Serie eigenständiger, kurzer Beiträge hervorgegangen sein könnte und geeignet ist, einen Eindruck von Entbehrungen und Leistungen, kleinen Freuden und großem Leid zu geben, von der Grausamkeit des Krieges und nicht zuletzt in einer Ambivalenz mündet: Besonders aus der Distanz hat Krieg scheinbar, allem furchtbaren Leid zum Trotz, auch einen abenteuerähnlichen Charakter. Ein Phänomen, das gerade wegen Tod, Verstümmelung, Elend und letztlich nahezu unbeschreiblich erscheinenden psychischen Ausnahmesituationen nicht allein sachlich erklärbar erscheint, denn das würde auf militärische Leistungen, Helden, Erreichen von Zielen, Kameradschaft und Durchleben von Ausnahmesituationen hinweisen. Zudem scheint Krieg als Form organisierter Gewalt ein urmenschliches Phänomen zu sein. Vielleicht haben wir uns gegen konkurrierende Hominiden durch Vernichtungskrieg durchgesetzt – zumindest spekuliert so Yuval Noah Harriri.
Wie in vielen Antikriegsfilmen finden sich in Wolf Heckmanns Sachbuch auch Elemente des Unterhaltungsgenres. Das Voranschreiten der Ereignisse, die vom Strom der Geschichte mitgerissenen Protagonisten erscheinen als Überlebende mit denen der Leser an einem letztlich „glücklichen“ Ausgang Anteil nimmt, während die Toten, Verwundeten und vor allem die vielen Kranken rasch aus dem Blick und dem Denken verschwinden.
Ich finde das gleichermaßen verständlich wie irritierend. Krieg ist ein rätselhaftes Phänomen und – über Clausewitz hinausgehend – ein Chamäleon.
Das gilt auch deshalb, weil Heckmann eine differenzierte, Rommel und herrschaftskritische Darstellung bietet: “Deshalb verläßt dieses Buch gelegentlich den Kriegsschauplatz: es will Zweifel säen an unkontrollierter Macht.” (S. 9) Und die Einleitung bietet ebenda weitere Ansatzpunkte für die in „Rommels Krieg in Afrika“ verfolgten Anliegen:
- Autor und Leser können nachprüfen, ob der verlorene Krieg allein Hitlers Schuld war, weil er seine Generäle am Siegen gehindert habe.
- „Was außerhalb jeder Kritik bleibt, ist die Leistung der Soldaten beider Seiten“. Etwas, das heute tatsächlich unvorstellbar und geradezu abenteuerlich erscheint.
- Was es bedeutete, dass Hitler an einem Punkt der Geschichte aufgetaucht sei, an dem die „totale Unfähigkeit der Menschen, mit der Welt auf anständige Weise fertig zu werden, ein ganzes Volk für ihn reif gemacht hatte.“
Die Ambivalenz zeigt sich auch darin, dass Wolf Heckmann einen Gegenposition zum Mythos verstärkenden Buch von Paul Carell „Die Wüstenfüchse“ (1958) einnimmt und jenseits seiner Schilderung, die punktuell erhebliche Kritik an Rommel* zulässt, doch mit flächendeckenden ähnlichen Erlebnisskizzen eine ähnliche Wirkung wie Paul Carell erzielt.
„Rommels Krieg in Afrika“ ist ein passender Titel aus mehreren Gründen: Von Beginn an lag die Initiative bei Rommel, war Rommel, der in der Wehrmacht gleichermaßen umstrittene wie vom NS-Regime gehypte General, als Troupier mit Führen von Vorne die herausragende Persönlichkeit des Kriegsschauplatzes. Ehrfurcht und Anerkennung zeichneten Rommel bei vielen Soldaten auf deutscher Seite und bei den Alliierten aus. Rommel verkörperte den Bewegungskrieg in der Wüste. Wolf Heckmann nimmt diese Perspektiven auf und spart nicht mit Kritik an Rommels Entscheidungen, seinem Auftreten und gravierender, zeitgenössischer Kritik.
In Erinnerung bleibt nicht zuletzt, dass der Informationsstand über das Grauen des Krieges eigentlich immer gut gewesen sei, aber nichts geändert habe.
Literatur: Wolf Heckmann: Rommels Krieg in Afrika. „Wüstenfüchse“ gegen „Wüstenratten“, Erstauflage Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1976, Neuausgabe Neuer Kaiser Verlag 1999, 320 S., zahlreiche Fotos und Karten, antiquarisch erhältlich.
*Anmerkung: So war Rommel „tapfer, ehrgeizig und maßlos in seinen Zielen“, er habe sich für Siege feiern lassen und Niederlagen seinen Untergebenen angelastet. Die historische Forschung zeigt Rommel als verwegener, tapferer, schneidiger Truppenführer, der zugleich auf Prestige bedacht war und sich in Szene setzte, nicht zuletzt um Karriere zu machen. Der deutsche Militärhistoriker Peter Lieb bietet in einem lesenswerten Aufsatz eine geschichtswissenschaftliche Bewertung von Rommel (IfZ). Darin schreibt er einleitend: „Schon während des Kriegs war Rommel umstritten, und auch heute sind sich Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht einig. War er ein loyaler „Nazi-General“, womöglich gar ein Kriegsverbrecher? Oder war er doch ein Widerstandskämpfer, ein „ritterlicher“ Offizier, wie es ihm seine britischen Gegner schon im Krieg oft bescheinigt hatten? Oder war er vielleicht beides zugleich? Kann man seine Biographie überhaupt so einfach über einen Leisten schlagen?“