“The times, they are a changing.” Bob Dylan ist nicht Ludwig Erhard. Beide können als Anführer bedeutender Bewegungen gelten. Auf sehr unterschiedliche Weise zeichnet beide soziales Engagement aus. Erhard wurde bekannt als Vater des Wirtschaftswunders. Seine Zigarre galt als Symbol rauchender Industrieschornsteine und damit für Wiederaufbau, Wohlstand und ein besseres Leben. Heute geht der Staat pauschal gegen das gesundheitsgefährdende Rauchen vor. Schornsteine und Industrie werden vielfach als umweltverschmutzend und unzeitgemäß dargestellt. Zugleich sind auch Windkraftwerke industrielle Produkte und ein rein virtuelles Leben ist ziemlich mager.
Was sich über die Zeit hinweg nicht geändert hat, das ist der Anti-Kapitalismus und das Unbehagen gegenüber der Industrie. Es glich fast einem Wunder, dass sich Ludwig Erhard und seine marktwirtschaftliche Wirtschaftsreform im Sommer 1948 gegen den Zeitgeist des Sozialismus durchsetzen konnte. Heute, in der Zeit des Neo-Etatismus, ist Anti-Kapitalismus selbstverständlich. Umfragen zufolge verbindet die Mehrheit in Deutschland den Kapitalismus mit negativen Assoziationen. Dass Reiche reicher werden und die Armen ärmer ist ein verbreiteter Topos, der bereits im 19. Jahrhundert konstruiert wurde, mit linearem Denken und der Unfähigkeit, sich eine industrielle Welt im Wandel vorzustellen. Wirtschaftsgeschichtlich ist die Behauptung der Ausbeutung längst widerlegt.
Manche Vorurteile bleiben unausrottbar. Industrialisierung und Kapitalismus haben die Welt von Grund auf zum Besseren verändert. Massenwohlstand gibt es erst durch Industrialisierung und Kapitalismus. Ein Ende von Hunger und Hungersnöten gibt es erst seit der Industrialisierung und durch den Kapitalismus mit seiner Effizienz, Produktivität und Ressourcenkoordination. Die Subsistenz-Existenz der Menschen endete nach Jahrtausenden erst durch die Industrialisierung und durch den Kapitalismus mit einer einzigartigen Wohlstandsentwicklung, sogar für Milliarden Menschen. Erst die Industrielle (und zugleich Institutionelle) Revolution hat dafür gesorgt, dass das Leben eines Menschen in Deutschland nicht durch seine Geburt und seinen Stand vorherbestimmt sind.
Unter Industrialisierung wird der soziale, technische und wirtschaftliche Wandel verstanden, der Mitte des 18. Jahrhundert einsetzte und das gesamte 19. Jahrhundert umfasste. Die Entwicklung reicht bis in die Gegenwart mit der Industrie 4.0. Damals wandelte sich die Agrar- zur Industriegesellschaft, die maschinelle Produktion im Fabriksystem für die Massenproduktion ergänzte und erweiterte die handwerkliche Arbeit. In der Übergangsphase warf das schwerwiegende soziale Fragen auf und ging mit gesundheitsgefährlichen Lebensbedingungen einher. Es war indes das industriell-kapitalistische System, dass die rasch wachsende Bevölkerung ernähren und schließlich einen einzigartigen Wohlstand ermöglichen konnte. Das reale Einkommen stieg in England beispielsweise erst mit und nach der Industrialisierung an und versechsfachte sich in 100 Jahren, während es in den Jahrtausenden zuvor nicht einmal das Niveau der Industrialisierung erreichte. Im Kalten Krieg blieb der anti-kapitalistische Ostblock stets lediglich ein Anhängsel des kapitalistischen Weltmarkts.
Unter Kapitalismus wird eine Ordnung verstanden, die sich durch individuelle Eigentumsrechte und dezentrale Entscheidungsstrukturen auszeichnet, anders als die vorangegangene Zeit der Fürstenherrschaft. Die Wirtschaft – und mit ihr die Menschen – erlangte erstmals eine Teilautonomie (von der Politik und der Herrschaft inkl. Leibeigenschaft). Koordination und Produktion erfolgen über Märkte und Preise. Kapital und Kredite existieren. Die frühkapitalistischen Praktiken sind 1000 Jahre alt und erst ab dem 12. Jhdt. in Europa zu beobachten.
Es ist faszinierend sich mit der Industrialisierung zu beschäftigen und mit der vorangehenden Protoindustrialisierung. Es handelte sich vor allem um regionale Phänomene, zunächst vom Export getrieben, dann auf die wachsende Binnennachfrage konzentriert. In Deutschland war Chemnitz beispielsweise das Power House der sächsischen Baumwollindustrie und Motor der Transformation.
In Deutschland setzte das moderne, selbst tragende Wirtschaftswachstum mit stetigem Reallohnwachstum ab 1880 ein. Die Reichsgründung hatte anders als die langfristigen Entwicklungen darauf keinen unmittelbaren Einfluss. Internationale Integration, industrielle Entwicklung, institutionelle Modernisierung zugunsten von Marktwirtschaft und Freihandel waren die Erfolgsschlüssel.
Die Quintessenz: Ohne Industrialisierung kein Massenwohlstand. Oder wie lludwig von Mises in „Vom Wert der besseren Ideen“ schrieb: „Es war Massenproduktion für die Bedürfnisse der Massen, Und das ist das Grundprinzip des Kapitalismus“.
Industrialisierung und Kapitalismus sind Weltwunder der Menschheitsgeschichte. Kein einzelner Anführer hat sie geschaffen. Wir sollten sie pflegen, statt sie mit Unbehagen zu betrachten.