Mythos der Machbarkeit
Mythos der Machbarkeit

Mythos der Machbarkeit

Wir Menschen haben einen Hang zum zielstrebigen Machen. 1988 wurde auf einem Werbe-Meeting der Slogan geprägt, der diese Haltung universell in drei Worte fasst: Just Do It. Die überaus erfolgreiche Botschaft besticht dadurch, dass sie gleichermaßen allgemein gültig wie persönlich ist und in einem Handlungsimpuls besteht.

Eine weitere Trias fasst das Tun folgt: Ziele, Mittel, Wege. Du hast ein Ziel oder musst es nur klar genug herausarbeiten. Sobald Du Dein Ziel gesteckt hast, gilt es nur noch die richtigen Mittel zu wählen und auf den geeigneten Wegen einzusetzen. Es liegt in Deiner Hand. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Offenkundig ist bereits im persönlichen Umfeld nicht alles machbar. Viele Dinge hängen von günstigen Rahmenbedingungen ab und von Voraussetzungen, die nicht einfach gegeben sind. Bildung ist nicht per se der Schlüssel zu einem erfolgreichen beruflichen Leben. Dazu gehört viel mehr. Sportliches Training egalisiert nur ein Stück weit mangelndes Talent – für einen Platz in der Mannschaft braucht es eine günstige Konstellation. Und doch heißt es, das Glück gehöre dem Tüchtigen – dem Tätigen.

Weniger offensichtlich ist, dass unsere Lebensrealität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht durch Linearität geprägt ist. Einfache Ursache-Wirkung-Beziehungen sind gleichermaßen selten wie unserer Wahrnehmung geschuldet: Wenn ich Hunger habe, mache ich mir etwas zu essen. Ein defektes Auto wird in der Werkstatt repariert. Wer systemisch auch im Sinne der Systemtheorie denkt, wer mit der Methode System Dynamics analysiert und simuliert, der berücksichtigt Feedbackschleifen und Rückkopplungsgeflechte, exponentielle und oszillierende Entwicklungen, Overshoot und Collaps. Ordnungspolitische Ökonomen besitzen dafür regelmäßig ein Gespür. Sie denken in Institutionen und Anreizen, berücksichtigen unbeabsichtigte Konsequenzen, wissen, dass die Verbesserung unseres Lebens über Generationen hinweg grandios ist und nicht durch Gleichheitsdenken und Umverteilung erzielt wurde.

Das gilt indes keineswegs für Ökonomen an sich. Eine Trennlinie verläuft zwischen Liberalen und Etatisten, zwischen denen, die die spontane Ordnung der unsichtbaren Hand wirklich verstanden haben und jenen interventionistischen Machern, die stets für Lenkung, Steuerung, Dirigismus werben.

In einer Krisensituation oder einer als Krise wahrgenommenen Situation kommt dieses Denken besonders zum Tragen. Zugleich gibt es eine starke Nachfrage nach raschen Lösungen. Das ist die Stunde der Sozialingenieure und Technokraten. Wer über einen Plan und Werkzeug verfügt, der greift zum Hammer, weil er überall die sprichwörtlichen Nägel sieht. Genau das ist der Fall bei einem vergleichsweise jungen und erfolgreichen Bonner Volkswirt. Der Makroökonom und Ökonometriker wurde in einer Sonntagszeitung über einen Ausweg aus der Pandemie und die Lage der deutschen Wirtschaft interviewt.

Er ist kein Verfechter einer emergenten, spontanen Ordnung, kein Freund einer unsichtbaren Hand, die auf das Wissen und die Präferenzen vieler setzt. Vielmehr begegnet dem aufmerksamen Leser der Idealtypus eines Managers der Machbarkeit. Liberale Ökonomen könnten bösartig die starke Faust des stumpfen Hirns am Werke sehen. Warum? Weil hier jemand die Volkswirtschaft „managen“ (sic!) will. Management ist ein BWL-Begriff, kein VWL-Jargon. Managen kann nur, wer steuerbare Einheiten sieht wie Teams, Unternehmen, Behörden. Managen kann, wer keine vielschichtige Ordnung erkennt, sondern eine gegliederte Organisation, wer Wirtschaft und Gesellschaft als steuerbare Einheiten ansieht, die kluge Philosophenkönige und VWL-Magiere beherrschen, im Griff haben.

In dieser Machart lässt sich wohlfeil auf weiche Defizite hinweisen, darunter mangelnden Handlungswillen, fehlendes Selbstvertrauen und zu wenig getan zu haben. Zugleich gab es seit der Finanzkrise so viel Staat und staatliches Handeln wie nie zuvor, so viel „gedrucktes“ Geld und so viele Subventionen, Transfers, Hilfen, Krisenprogramme und Lockdowns wie nie zuvor. Für Sozialingenieure, Gesellschaftsklempner und Volkswirtschaftsmanager ist es nur nie genug. Zugleich wissen wir, dass der New Deal die Weltwirtschaftskrise bis zum Zweiten Weltkrieg verlängert hat, dass die verfehlte Geldpolitik und das Handeln der Staatsführungen vor und in der Weltwirtschaftskrise diese erst so gefährlich machte. Wir wissen, dass Inflation durch Geldpolitik von Technokraten verursacht wird, die sich anmaßen, es besser zu wissen und erklären, diese im Griff zu haben. Dasselbe gilt für mangelnde, bezahlbare Wohnungen, fehlende, rationierte Impfstoffe und kontraproduktive Corona-Politik und so weiter und so fort.

Wie gesagt, diese Sozialklempnerei ist uns Menschen vertraut, weil wir in überschaubaren Zusammenhängen von Unternehmen, Behörden, Organisationen, der Nachbarschaft und auch der Familie agieren. Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft ist indes fundamental, genauso wie zwischen linearem Management und komplexer Systemdynamik. Liberale erkennen eine strukturelle Unfähigkeit sich mit der wesentlichen Frage auseinanderzusetzen: Wie funktioniert die Koordination der Aktivitäten in Wirtschaft und Gesellschaft? So viel ist klar: Einfach das Richtige machen ist die falsche Antwort.