Ein Kommentar von Helmut Krebs
Die Spätzeit des Römischen Reiches wird die Zeit der Völkerwanderung genannt. Die Römer nannten die Einwanderer Germanen. Es waren viele Stämme aus dem Norden, die einen Marsch nach Süden und nach Osten unternahmen, das Römische Reich wie Heuschreckenschwärme durchzogen und eine Spur der Verwüstung zurück ließen. Sie vereinigten sich zu Großstämmen (Vandalen, Kimbern, Ostgoten, Westgoten, Alemannen, Franken), weil die Wanderung in schlagkräftigen Heerscharen sie vor der militärischen Vernichtung schützte.
Völkerwanderungen gab es in der Geschichte der Menschheit schon immer. Auch wir Weißen sind die Nachkommen von Einwanderern. Vor den Germanen nannte man die wandernden Völker Kelten oder Galater. Das heutige Gebiet um Ankara heißt nach ihnen (Galatien), der spanische Nordwestzipfel ebenso (Galicien). Kiew wurde von Wikingern als Handelsstation gegründet. Im Unterschied zur alten Zeit sind die heutigen Völkerwanderungen keine militärischen Aktionen mehr. Sie sind zivilisierter geworden.
Die Wanderungen gleichen ein ökonomisches Potenzialgefälle zwischen relativ übervölkerten und relativ untervölkerten Gebieten aus. Übervölkert nennen wir Gebiete, die der Population keine ausreichende wirtschaftliche Grundlage bieten – zu viele Menschen, zu wenig Brot. Menschen, die nicht wirtschaften können, weil der Boden zu wenig Ertrag zulässt oder deren Siedlungen zerstört wurden, suchen Gebiete auf, die einen relativen Überschuss an Ertragsmöglichkeiten bieten. Ist das Gebiet vollständig besiedelt, ist die unmittelbare Folge für die autochthone Bevölkerung unvermeidlich eine Senkung des Lebensstandards. Sie sind nicht erfreut. (In den USA, Australien u.a. Siedlungsgebieten konnte die progressive Landnahme den einwandernden Überschuss lange Zeit aufnehmen.) Aber langfristig bieten sich neue Chancen; es führt zu einer besseren Ausnutzung der Ressourcen und damit zu höheren Erträgen, die den Lebensstandard aller erhöhen.
Bei einer Völkerwanderung gibt es nur zwei Möglichkeiten: Krieg oder Kooperation. Ein Drittes gibt es nicht. Man kann die Wanderungsvölker militärisch besiegen und vernichten oder sie siedeln lassen und mit ihnen in wirtschaftliche Beziehungen treten. Wenn wir Krieg ausschließen, bleibt nur die Kooperation. Kooperation hat den Vorteil, dass sie zum beiderseitigen Vorteil gestaltet werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass beide Parteien, vor allem die wandernden Völker, etwas zum Tauschen haben. Es ist eine Illusion, dass Wanderungen anders als durch Vernichtung verhindert werden können. Die Entwurzelten werden legal einwandern oder illegal. Kein Meer, keine Grenze kann sie aufhalten. Wir können sie in begrenzter Zahl in Lager pferchen und durchfüttern. Die Folgen solcher Dauerlager lassen sich im Libanon studieren. Es ist ein langgezogenes und obendrein kostspieliges Sterben mit fatalen Folgen auch für die fütternden Hände.
Die entwurzelten Syrer sind in der Lage, sich selbst zu ernähren, wenn wir ihnen die Chance dazu geben. Alles, was wir tun müssen, ist, sie selbst entscheiden zu lassen, wohin sie ziehen und wo sie siedeln wollen. Sie müssen anfangen zu produzieren und zu handeln und das werden sie, sobald sie sich sesshaft machen. Dann können sie sich selbst helfen. Sie brauchen uns nicht als Amme, sondern als Tauschpartner. Wir können ihnen eine Starthilfe geben, aber es ist nicht unsere Pflicht, sie auf immer zu füttern. Kooperation nützt immer beiden Seiten. Die bisher nach Deutschland eingewanderten Gruppen haben unser Leben bereichert, von der Pizza bis zum Lebensmittelladen. Mannheim wurde von italienischen Maurern gebaut, deren Nachkommen noch heute die Familiennamen der Stadt färben. Polnische Bergleute prägten die Ruhr. Die Lösung der Probleme findet sich in einem freien Markt von alleine. Der Staat ist dazu völlig unnötig und obendrein ungeeignet. Wir sollten nur die Illusion aufgeben, dass die extrem hohen Mindeststandards des Arbeitslebens sich mit der Tatsache der Einwanderung vereinbaren lassen. Mindestlöhne und andere Hemmnisse sollten aufgegeben werden.
Natürlich müssen Einwanderer einer strengen Personenkontrolle unterzogen werden. Terroristen sind unschädlich zu machen. Und natürlich müssen epidemische Vorkehrungen getroffen werden. Dazu ist der Staat gut. Das kann er. Aber eine ökonomische Dauerlösung kann er nicht finden. Das müssen die Millionen einzelner Menschen selbst und das können sie auch. Wir brauchen keine Aufnahmequoten, nur eine erste Hilfe, und die ist schwierig genug. Die Einwanderer nach Quoten auf die Länder aufzuteilen, heißt sie überwiegend dort anzusiedeln, wo sie nicht wollen und damit die Chancen, wirtschaftlich auf eigene Füße zu kommen, zu verschlechtern. Es heißt, ein willkürliches starres System an die Stelle der verstreuten und pragmatischen Intelligenz der handelnden Menschen zu setzen. In der Freiheit, nicht in der Planwirtschaft liegt die Lösung.
Anmerkung:
In einer Welt ohne wirtschaftliche Hemmnisse gibt es keine wirtschaftlichen Gebiete in diesem Sinne, d.h. keine Gebiete, die mit anderen ein Potenzialgefälle aufweisen und somit umwälzende Wanderungen veranlassen. Menschen und Waren können sich dann frei bewegen. Die Unterschiede gleichen sich durch kleindosierte Korrekturen stetig aus.
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