Konservativ recht verstanden
Konservativ recht verstanden

Konservativ recht verstanden

Konservativ recht verstanden

Wir können die Welt besser verstehen. Wir solten dazu den Dingen auf den Grund gehen. Wenn wir uns allein der Schnelllebigkeit von Identität stiftenden Parolen verschreiben oder zu Opfern politischer Ideologien machen, die medial auf uns einprasseln, vielfach in journalistischem Gewand, dann ist das nicht hilfreich. Derzeit werden die Spielregeln unserer Gesellschaft verändert. Ein politischer Habitus soll an die Stelle von Leistung und Bewährtem treten. Diese Auffassung begründet Arnold Kling mit der Beobachtung, dass die neue Linke sich im gesellschaftlichen, politischen und akademischen Leistungswettbewerb mit gleichem Recht für alle und der Suche nach objektiver Wahrheit nicht mithalten können und eben deshalb die Spielregeln ändern wolle. Identität ist in dem neuen Spiel die einzige Wahrheit.

Bildung bleibt möglich. Eine Adresse ist die Bibliothek des Konservatismus in Berlin. Ein klassisch Liberaler bewirbt eine konservative Einrichtung? Ja! Im Dienste der Bildung und für eine freie Gesellschaft der Vielfalt. Wer sich mit Konservatismus beschäftigt, kann die fundamentalen Unterschiede zum Liberalismus entdecken. Dazu gilt es Konservatismus zunächst von der linken Gleichsetzung mit rechts (neue Rechte) zu befreien und dabei zu erkennen, dass Konservative im politischen Spektrum rechts stehen. Ein Widerspruch? Nur für Einfältige.

Das politische Spektrum umfasst links mit Sozialisten und Sozialdemokraten, in der Mitte die Liberalen und rechts Konservative. Politisch dominiert links. Alles rechts davon steht heute unter (identitärem) linkem Vorbehalt.

Podcast

Katechon ist ein hörenswerter Podcast der Bibliothek des Konservatismus. Katechon bezeichnet im 2. Paulusbrief an die Thessalonicher den Aufhalter des Bösen. In der zweiten Podcastfolge unterhalten sich über die kurze Geschichte des Konservatismus Bibliotheksleiter Dr. Wolfgang Fenske, Sammlungsleiter Jonathan Danubio und Tano Gerke, verantwortlich für Veranstaltungen und soziale Medien (Einblick per Foto).

Aus liberaler und allgemeinbildender Perspektive werden eine Reihe von Themen angesprochen, die hörens- und nachdenkenswert sind. Ich möchte einige Impressionen und Gedanken weitergeben, die dazu beitragen unsere Welt besser zu verstehen.

Was ist Konservatismus?

Konservatismus ist facettenreich und umfasst verschiedene Strömungen, Denktraditionen, Werthaltungen, teils politisch, teils künstlerisch, etwa in der Romantik, und vielfach privat. Wolfgang Fenske weist auf fünf Aspekte hin, die (ideengeschichtlich) Konservatismus ausmachen – nach meinem Hörverständnis:

  1. Die Annahme eines Gottes, auf den letztlich alles Denken und Handeln bezogen sei, und damit eines Naturrechts u.a. mit zwei Geschlechtern, natürlich Mann und Frau, einer Ordnung, die mit der Familie beginne, und durch eine Hierarchie gekennzeichnet sei.
  2. Der Mensch werde als Mängelwesen begriffen, kirchlich als sündhaft und als gefallen.
  3. Hilfskonstruktionen würden dem Menschen Halt geben, vor allem Traditionen, das Erbe, das weitergegeben werde, darunter Institutionen wie Familie und Staat, die menschliche Defizite ausgleichen würden.
  4. Die Geschichte sei nicht determiniert, der Konservative verfolge keine Utopie.
  5. Die menschliche Planung habe enge Grenzen, vieles sei nicht machbar, nicht politisch und nicht juristisch. Konservativ heiße, das moralisch Richtige tun.

Diese Aufzählung erscheint in mindestens dreierlei Hinsicht hilfreich: Erstens liefert sie Hinweise darauf, was konservativ ist und was nicht. Zweitens weist sie auf aktuelle gesellschaftspolitische Differenzen zum Konservatismus hin und darüber hinaus vielleicht auf grundlegende Mängel in unserer Gesellschaft. Ein Aspekt ist das Aufkommen einer neuen politischen Religion mit dem Niedergang des Glaubens und der Kirchen.

Liberalismus

Schließlich werden drittens Unterschiede zwischen Konservatismus und Liberalismus deutlich. Das sind schlagwortartig und nur auf die fünf Punkte bezogen:

  1. Liberalismus kann als weltliche Ordnungsperspektive begriffen werden, die diesseitig die Prosperität des Menschen und der Menschheit in ihrer Vielfalt zu befördern sucht – nüchtern vernunftbezogen und durch sichtbar gemachte Koordinationsprinzipien.
  2. Der handelnde Mensch birgt konstruktives und destruktives Potenzial, ersteres gilt es sich entfalten zu lassen, letzteres durch Konventionen und Recht einzuhegen.
  3. Institutionen spielen eine zentrale Rolle und könne sich in einer liberalen Ordnung divers entfalten solange sie mit der Freiheit anderer Menschen nicht in Konflikt geraten.
  4. Die Zukunft ist nicht determiniert und die Entwicklung der Menschheit stellt – bei allen Rückschlägen – eine Verbesserung der Lebensbedingungen dar, solange liberale Prinzipien wirksam werden.
  5. Der Mythos der Machbarkeit gefährdet die liberale Gesellschaft, die komplex, dynamisch und emergent ist und sich als spontane Ordnung begreifen lässt.

Als eine Zwischenbilanz ließe sich vorläufig festhalten: Konservatismus ist in einer liberalen Ordnung möglich. Konfliktstoff besteht hinsichtlich der Rolle des Staates.

Zäsuren

Drei große Zäsuren haben zur Entstehung des Konservatismus beigetragen und seine Bedeutung drastisch gemindert. Ausgangspunkt ist die Französische Revolution gegen die sich konservative aufgrund ihrer Welt umstürzenden extremen Entwicklung wandten. Die Industrielle Revolution warf konservative Gewissheiten über den Haufen, darunter Menschen können nicht fliegen und Fortschritt ist (stark vereinfacht) keine prägende, erwünschte Entwicklung. Schließlich ließ der Erste Weltkrieg nicht nur endgültig die Welt von gestern auf den Schlachtfeldern sterben, sondern für die Heimkehrer auch den Glauben an einen guten Gott. Die Reichsidee war mit dem Untergang des Alten Reichs und dem Arrangement mit den wenig geliebten wilhelminischen Reich passer. Der Nationalsozialismus lässt sich als weitere Zäsur hinzufügen, die als differenzierte Problemgeschichte des Mitwirkens und Leidens Konservativer im Dritten Reich sowie als erneuter Untergang begriffen werden kann.

Facettenreicher Konservatismus

Ideengeschichtlich reizvoll ist der Vater des Konservatismus Edmund Burke, weil dieser ein Liberaler in der liberalen Partei der Whigs war. Übrigens oder bekanntlich bezeichnete sich F. A. Hayek als Whig, der zudem im Schlusskapitel der „Verfassung der Freiheit“ begründete, warum er kein Konservativer ist. Joseph de Maistre verteidigte als Zeitgenosse von Burke hingegen reaktionär die Welt des Ancien Regimes.

Konservatismus erscheint als sehr geschichtsaffine Weltanschauung, was angesichts der zentralen Bedeutung von Traditionen nicht überrascht. Hier bestehen Berührungspunkte, nämlich Konservative und Liberale als Anhänger einer friedlichen Evolution mit bewährten Konventionen in Abgrenzung zu linken Revolutionären, deren Mythos der Machbarkeit beide ablehnen. Im Unterschied betonen Liberale die Offenheit von Entwicklungen und die Wertevielfalt, die Sache des Individuums ist, das nur nach seiner Facon glücklich werden kann. Konservatismus ist zudem nicht nur politisch in erheblichem Maße geprägt durch eine Auseinandersetzung mit und Haltung gegenüber der veränderten Welt.

Als Reaktion auf den technischen Fortschritt und die industrialisierte Welt entstanden rund um den Ersten Weltkrieg viele Bewegungen, die nach Rückbesinnung strebten, darunter bündische, Naturbewegung, Nudisten, Veganer, Lebensreform und Jugendbewegung. Einige werden heute offenkundig wieder propagiert – zuweilen als neu und als Erlösung.

Stil

Beim Hören des Podcasts fällt mir die gepflegte Atmosphäre eines Gesprächs angenehm auf. Das Bemühen um Verstehen, das Eingestehen von konservativen Defiziten, die Perspektivenvielfalt auf Konservatismus mit einer in Deutschland stark abendländischen Komponente, die sich auf eine reiche Geistestradition vieler Denker seit der Antike stützt, schließlich die Abgrenzung von einer aktivistischen neuen Rechten, die kaum konservative Merkmale besitzt und sich selbst vermutlich nicht als konservativ begreifen möchte, gehören dazu. Der vielfache Gegensatz zu emotionalisierten Debatten unserer Tage ist nicht zu überhören. Diesen positiven Eindruck können Sie auch bekommen, wenn sie Veranstaltungen der Bibliothek des Konservatismus besuchen.

Bei allen Unterschieden haben Konservatismus und Liberalismus manches gemeinsam: Es gibt von beiden nur wenige. Beide sind wesentlicher Teil unserer Welt. Beide werden kaum mehr verstanden und umso mehr attackiert – von titanenhaften Angreifern.

Zu guter Letzt: Wer Liberalismus kompakt und flott geschriebenen verstehen möchte, darf zu meinem Liberalen Manifest greifen: Sieben Prinzipien und einige Klarstellungen, 136 Seiten, 10 Euro.