Wissen wie Wissen entsteht
Wissen ist individuell, kann kollektiv organisiert werden, stellt eine Ressource und ein Kulturgut dar. Wissen steckt voller Geheimnisse. Wissen wird unterschieden von Daten, Fakten, Informationen, Meinungen und Bewertungen. Wissen umfasst Fakten, Theorien, Regeln und Modelle, die als gewiss, als (vorläufig) gesichert angesehen werden. Das Wort Wissen geht auf althochdeutsche und indogermanische Begriffe zurück wie die Perfektform woida – ich habe gesehen.
Wissen bewährt sich. Als wahre begründete Auffassung. Wie kommt es zustande?
Liberale können sich auf einen großen Denker berufen, der sich bereits vor 100 Jahren als Jugendlicher tiefgreifende, tragfähige Gedanken über Wissen gemacht hat und diese als etablierter Wissenschaftler vor 70 Jahren im Jahr 1952 unter dem Titel „Sensory Ordner“ zu einer Monographie ausarbeitete. Seine Erkenntnisse sind noch heute in weiten Teilen gültig und wurden vielfach bestätigt (Butos/McQuade 2012). Die Rede ist von Friedrich August von Hayek (1899-1992). Hayek erhielt den fünften Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften im Jahr 1974 für seine „bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Geld- und Konjunkturtheorie“ und seine „tiefgründigen Analysen der wechselseitigen Abhängigkeit von wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Verhältnissen“. Bekannt wurde Hayek durch zeitlose Bücher wie „Verfassung der Freiheit“ und den Bestseller „Weg zur Knechtschaft“ sowie seine klassisch-liberale Haltung. Weniger weithin bekannt sind seine Arbeiten zur Wissensökonomie.
Wie Wissen entsteht
Während heute vielfach suggeriert wird, Wissen sei abrufbar, Fakten seien (final) gecheckt, Wissen könne durch intelligente Maschinen produziert werden und Debatten, etwa über den Klimawandel, müssten nicht mehr geführt werden, fragte Hayek sich wie Wissen entsteht und wie es sich verändert.
Hayek formulierte in The Sensory Order eine Theorie des Verstands. Die Theorie beschreibt wie individuelles Wissen in einem neuronalen Netzwerk realisiert wird. Der Ökonom und Sozialphilosoph unterscheidet zwischen realer physischer Welt und der durch unseren Verstand geschaffenen Wahrnehmung bzw. Interpretation.
Der Verstand ist für Hayek ein selbst organisiertes anpassungsfähiges System. Das gilt sowohl für Erwartungen als auch Wahrnehmungen und unternommene Handlungen. Wahrnehmung ist wiederum eine Interpretation mittels Klassifikation, keine eins zu eins Abbildung der physischen Welt: „Perception is thus always an interpretation, the placing of something into one of several classes of objects”. (Sensory Order, 142) Die Klassifizierung ist, um es noch einmal zu betonen, keine absolute Wahrnehmung eines Sachverhalts, sondern eine relationale, die durch im Verstand gebildete neuronale Verbindungen der Vergangenheit bestimmt wird. Wissen wird damit zu einer Abstraktion, die auf der Wahrnehmung von einigen, aber nicht allen Eigenheiten eines Objekts beruht und begrenzt bleiben muss. – Das hat sehr weitreichende Konsequenzen in allen Lebensbereichen.
Gehirn und Verstand
Hayek ging dabei von einem komplexen kognitiven System aus, dessen Struktur durch hierarchische, abstrakte Klassifkationen von Impulsen im Gehirn zustande komme. Die reale Welt werde durch einen verzerrten, kontinuierlich veränderten, subjektiven Spiegel wahrgenommen. Diese Wahrnehmung sei das Resultat einer Kombination von einer Map (mentalen Karte) und einem (mentalen) Modell. Wahrnehmungen würden angepasst werden und nicht durch eine strikte, unveränderliche, individuelle Perspektive zustande kommen.
Einige Einzelheiten
Hayek unterscheidet drei Ordnungen oder Welten: die physische, die neuronale und die mentale (oder wahrnehmungsmäßige). Die neuronale und die mentale bezeichnet er als Sensory Order. Der Klassifizierungs- und Reklassifizierungsprozess im Gehirn wird durch negative Feedbacks geleitet, die Abweichungen zwischen Erwartungen und Ergebnisse korrigieren. Dieser Prozess verläuft emergent, bildet eine spontane Ordnung im Gehirn und führt im Ergebnis zu einer pyramidalen Kategorisierung mit zunehmender Abstraktion durch Überlagerung.
Die Map ist ein Langzeit-Gedächtnis-Apparat. Sie besteht aus einem zeitlich befristet dauerhaften, aber nicht permanenten Netzwerk von Verbindungen im zentralen Nervensystem. Die Map enthält Pfade, denen die Impulse folgen können und die wiederum die individuellen Klassifikationen darstellen, auf die sich das Individuum in seiner bisherigen Vergangenheit verlassen hat.
Modell ist die aktuelle Interpretation der externen Welt. Die Interpretation ergibt sich aus dem aktuellen Fluss der Impulse auf ihrem Weg durch die Map. Die Impulse folgen dabei in der Vergangenheit bewährten Folgeimpulsen. Das Modell stellt somit eine Erwartung von Folge-Impulsen dar, die erlernt wurden. Diese sind nicht fix, sondern wandelbar. Diesen Wandel nennt Hayek Reklassifikation, was wiederum Lernen bedeutet.