Mehr Liberalismus 2.0 wagen
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Ein Plädoyer für mehr Unternehmertum, Unternehmer und mehr Reflexion über neue Technologien

Gastbeitrag von Christian Hugo Hoffmann

Wie bei jedem menschlichen Handeln sollten auch wir Liberale uns fragen, ob die gewählten Mittel geeignet und besser geeignet sind als andere, um ein Ziel zu erreichen. Das gilt lapidar ausgedrückt gerade für die Mehrung von Freiheiten. Da unsere Zeit ein knappes Gut ist und da es Opportunitätskosten gibt, besitzt diese Frage nach komparativen Vor- und Nachteilen zentrale Bedeutung.

Ein bevorzugtes Mittel von vielen Liberalen scheinen politische Grossdebatten zu sein, die mit der Aura der Intellektuellen gerne geführt werden, die aber oft nichts ändern und zudem abgehoben wirken können. Woher stammt die Popularität dieses Mittels? Diese Frage ist umso beeindruckender, wenn man sich vergegenwärtigt, dass viele Liberale gleichzeitig Intellektuelle kritisch beäugen, da letztere grosso modo markt- und kapitalismusfeindlich sind[1] und insofern eher eine deutlichere Abgrenzung vom Kreis der Intellektuellen angezeigt wäre.

Rufen wir uns für diese Herausforderung ein von Mises Zitat in Erinnerung, mit dem er vielleicht Pate für die Positionierung vieler Liberaler mit ihrem Faible für intellektuelle Ausführungen und politische Grossdebatten stand: «Für den, der die Welt zum Liberalismus zurückführen will, bleibt kein anderer Weg offen als der, seine Mitbürger von der Notwendigkeit der liberalen Politik zu überzeugen. Diese Aufklärungsarbeit ist das einzige, was der Liberale leisten kann und was er leisten muß, um, soviel an ihm liegt, dem Untergang entgegenzuwirken, dem die Gesellschaft heute mit raschen Schritten zueilt.»[2]

In diesem Papier wird die These vertreten, dass von Mises an der zitierten Stelle irrt; und mit ihm irren vielleicht viele Liberale. Mit anderen Worten liegt das Augenmerk hier auf der Unterschätzung der Opportunitätskosten, die Überzeugungsarbeit per grosse Debatten oder Papieren sei alternativlos.

Liberalismus 2.0: Unternehmer, Unternehmertum und neue Technologien verleihen der Freiheit Auftrieb

Glauben wir wirklich, dass wir unsere Mitbürger von der Notwendigkeit der liberalen Politik überzeugen müssen? Wäre das nicht naiv angesichts oftmals gut organisierter Sonderinteressen-Koalitionen? Wäre es vielleicht sogar kontraproduktiv, weil mehr politisches Engagement zu mehr (statt weniger) Politikern und Beamten führt und Politik vielleicht nur Privatsache sein sollte, wenn man Libertären Glauben schenkt? Zum Glück gibt es noch einen anderen, einen unpolitischen Weg als Alternative zu Mises, um die bedrohten oder bereits verloren gegangenen Freiheiten zu verteidigen oder zurück zu erobern, nämlich den des (Tech-) Unternehmers.

In der Handschrift vom «Klassenfeind» Marx lautet der Appell: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an[,] sie zu verändern.» Warum hören wir so oft den Sozialphilosophen und ihren Interpreten und Anhängern zu, statt (auch) denen eine Bühne zu geben, die zwar weniger berühmt, aber dafür ganz greifbaren, freiheitsmehrenden Impact im Hier und Jetzt haben, auf dem Terrain der unser alltägliches Leben praktisch beeinflussenden Wirtschaft?

Konfrontiert mit der Anregung, vielleicht Persönlichkeiten aus der Praxis und deren Wirken mehr Raum zuzugestehen, denken manche gleich an «Top-Unternehmer» wie Titus Gebel, der sich einerseits mit seiner in der Schweiz beheimateten Free Private Cities Stiftung und andererseits mit seiner privaten Unternehmung Tipolis für die Verbreitung von «Sonderwirtschaftszonen Plus» global in Honduras und anderenorts einsetzt.[3] Das am weitesten fortgeschrittene Beispiel in Honduras, die ZEDE (Zone for Employment and Economic Development), zeigt zwar, dass wir dort ein high-profile unternehmerisches Projekt eines renommierten Libertären vorfinden, das ganz direkt den nicht nur für Liberale und Libertäre wichtigsten Lebensbereich betrifft, nämlich den, wie wir zusammenleben wollen. Allerdings, müssen es immer Superlative sein? Kommt das Projekt nicht auch mit einem erhöhten Ausfallrisiko einher, wie der diesjährige Regimewechsel in Honduras hin zu den Sozialisten nahelegt? Laufen exponierte Top-Unternehmer mit high-profile Projekten Gefahr, keinen richtigen oder nachhaltigen Impact zu erreichen?

Mit diesen Fragen möchte dieser Autor keineswegs den notorisch zweifelnden Schwarzmalern das Wort reden oder behaupten, potenziell scheiternde Projekte könnten Dritte nicht inspirieren. Vielmehr möchte dieser Autor eine Lanze brechen für kleinere, weniger grossdimensionierte oder nicht unmittelbar den Liberalismus betreffende Bestrebungen, für die «B-Garde» des Unternehmertums, die vielleicht näher am Wirkungskreis des Lesers sind. Zwei konkrete und konstruktive Vorschläge als food for thought zum Abschluss dieses Artikels.

Proudly small: von der zweiten und dritten Reihe der Unternehmer lernen

Ein Beispiel wäre der Autor selbst, weil er auf Augenhöhe eine Geschichte zu erzählen hat,[4] die zur Inspiration und zum Mitmachen einlädt. Denn mit seiner in der Schweiz ansässigen House of Lab Science AG, die privat organisiert und profitorientiert ist und als Geschäftszweck Innovationsparks für Life-Sciences-Firmen anbietet und betreibt, führt er dem Schweizer Staat vor, wie man Service-orientiert und nach hoher Kundenzufriedenheit trachtend, Ökosysteme aufbaut und bewirtschaftet.[5]

Dieses Startup ist noch klein und steht nicht im Scheinwerferlicht der liberalen Community anders als die Charter-Städte. Dennoch ist das Narrativ, wie man ein Geschäftsmodell designt, um den Staat aus einem durch öffentliche Gelder verseuchten Markt zurückzudrängen, relevant und transferierbar. Vielfältige unternehmerische Beispiele existieren, die auf Mitstreiter angewiesen sind, deren Akteure leicht zugänglich coachen können und deren Einsatz man als Mittel für Freiheitskämpfer bewerben könnte. Wie wäre es, auch für den Schweizer Raum gesprochen, mit einem Fabio Andreotti, der im Verwaltungsrat der der Geldentwertung entgegentretenden Firma Real Unit Schweiz AG sitzt und bei Bitcoin Suisse als Jurist arbeitet? Oder einem Dr. Serge Pelap, einem ehemaligen Banker der Credit Suisse der heute mit Baoba eine neue Generation von Social-Media-Plattformen betreibt, die Probleme wie hate speech und Manipulation freiheitlich und ohne Zensur in den Griff bekommt? Oder Pietro Zanoli, ebenso am Finanzplatz Zürich im Banking gewesen, der heute eine der coolsten und kulinarisch eindrücklichsten Alpenhütten bewirtschaftet, die Capanna Alpe Nimi zwischen Valle Maggia und Valle Verzasca – ganz in Freiheit, soweit das seine 120 Ziegen zulassen. Und, und, und…

Was ist ein Vorteil dieses unternehmerischen Wegs gegenüber dem von Miseschen Ansatz, der auf Aufklärung setzt und an die Vernunft appelliert? Während letzterer einem Zielkonflikt ausgeliefert ist – der Wohlfahrtsstaat mag zwar aus Vernunftgründen nicht angezeigt sein, aber er bringt auch Bequemlichkeit für den Einzelnen, Verantwortungsdiffusion und im «besten» Fall «Steuergeschenke» – braucht der unternehmerische Ansatz nur darauf bauen, dass Individuen ihrem Eigeninteresse folgen und die besten Dienstleistungen und Produkte nachfragen. Der Mensch ist vielleicht nicht so besonders, nicht so vernünftig, wie von Mises glauben mag, sondern eher praktisch veranlagt.[6]

Die neuen Technologien der Freiheit

Zugegeben, der Vorstoss, neue Technologien für die Freiheit auszuleuchten und zu gewinnen, ist kein ganz neuer;[7] nichtsdestotrotz ist das Potenzial, so der zweite Vorschlag hier, noch bei weitem nicht ausgeschöpft. [1] und [2] sind Liberale, die bereits neue Technologien untersucht haben, und beide fokussieren kryptographische Technologien und Blockchain. Das sind beileibe keine kleinen Felder; aber es bleibt dennoch verkürzt, wenn unter den neuen Technologien der Freiheit nur darauf abgestellt wird. Ein Bespiel zur Untermauerung:

Zusammen mit seinem Kollegen Dr. André Dahlinger vom Bosch IoT-Lab der Universität St. Gallen (HSG) hat dieser Autor 2019 einen Artikel bei der Zeitschrift Foresight veröffentlicht, das sich der Beleuchtung sozio-ökonomischer Implikationen von dezentralisierten, autonomen und sich selbst besitzenden Unternehmen verschreibt.[8] D.h., pointiert gesprochen, hinter solchen Unternehmen stehen keine menschlichen Anteilseigner mehr. Die Case Study aus dem 2019-Paper, anhand des Beispiels vom Taxi-Markt besprochen, erfährt ihren Aufschwung durch die Kombination zweier grundlegender Technologien: Künstliche Intelligenz (KI), speziell autonomes Fahren, mit Blockchain-Technologie, speziell smart contracts. Im Taxi-Case wäre ein Taxi quasi wie ein Ein-Mann-Taxibetrieb, das aber alle Geschäftsvorgänge autonom erledigt: Fahren, Bezahlen, Wartung usw. Darüber hinaus könnte das ‘Gehirn’, welches das Taxiunternehmen betreibt, über ein dezentrales Netzwerk laufen. Sollten Liberale des 21. Jahrhunderts nicht mehr um die Möglichkeit, Bedeutung und den Impact von solchen Technologien wissen und von deren Zusammenspiel in einer immer weiter durch Tech dominierten Welt?

Was wären Folgen aus dem Taxi-Case? Zunächst einmal lässt sich herleiten, dass dezentralisierte, autonome und sich selbst besitzende Taxi-Unternehmen auf einem freien Markt früher oder später zum dominierenden Anbieter für Taxifahrten würden, weil sie ihren Service zu einem niedrigeren Preis platzieren würden (z.B. keine Kosten für einen Fahrer, keine Kosten für menschliches Management, keine Gewinnausschüttung oder -thesaurierung notwendig). Was ergibt sich daraus? In dem Papier wird argumentiert, dass in einem «robo-ökonomischen System», also in einem Wirtschaftssystem, wo viele dezentralisierte, autonome und sich selbst besitzende Unternehmen über den Taxi-Markt hinaus entstehen und Wettbewerbsvorteile erlangen, die Kapitalrendite im Durchschnitt viel niedriger wäre. Im Durchschnitt würde viel weniger besessen, ohne dass dies einschneidende Auswirkungen auf die Schaffung von Wohlstand hätte. Die Prinzipien freier Märkte würden nicht angetastet.

Im Gegensatz zu den gegenwärtigen Formen des Kapitalismus, in denen spezielle Gruppen oft Vorteile, d.h. Marktmacht, haben, würden Überschüsse im robo-ökonomischen System quasi unter den Nutzern verteilt werden – und zwar nicht wie beim umverteilenden Staat, der Sonderinteressen bedient, sondern schlichtweg fair durch niedrigere Preise für Nachfrager. Würde dies nicht auf eine Radikalisierung der Märkte – im Sinne von Radix, zurück zu den Wurzeln, zu den Menschen – mit gesellschaftlich wünschenswerten Ergebnissen hinauslaufen?[9]

 

Zum Autor

Dr. Christian Hugo Hoffmann ist Unternehmer mit mehreren Gründungen und Geschäftsführerrollen in den Bereichen Software, Fintech, Cleantech, Life Sciences in der Schweiz, Deutschland und Afrika. Er ist ausgebildeter Philosoph und Ökonom mit u.a. Stationen an der London School of Economics, Yale University und ETH Zürich. Seine Forschungsinteressen und Kompetenzen liegen in den Bereichen Technikethik, Angewandter Künstlicher Intelligenz und Risikomanagement. Mehr Informationen unter: https://www.christian-hugo-hoffmann.com/.

 

Endnoten

[1] Polleit, T. 2022. Der Weg zur Wahrheit. Eine Kritik der ökonomischen Vernunft. München: FinanzBuch Verlag: 318f.

[2] Von Mises, L. 1927/2010. Liberalismus. Auburn: The Ludwig von Mises Institute: 137.

[3] Der Autor ist in beiden engagiert, in ersterer unterstützend als Botschafter.

[4] Genau genommen gäbe es mehrere passende Geschichten etwa auch der zu Liberalismus und Bergsteigen, was diesen Autor gleichermassen begeistert.

[5] Im Vergleich dazu denke man etwa an den Innovationspark «Technopark Winterthur», wo der Stadtpräsident der Stadt Winterthur und der Rektor einer hiesigen öffentlichen Hochschule im Verwaltungsrat sitzen, und das Arbeitslosenamt (RAV) einer der grössten Einzelmieter ist – was für ein Signal an motivierte Jungunternehmer, welche auch die Statistik kennen, dass neun von zehn Startups scheitern, welche aber damit nicht alltäglich konfrontiert sein müssen.

[6] Der Mensch ist nicht einzigartig, es bestehen lediglich graduelle Unterschiede zu anderen Tieren. Vgl.: Hoffmann, C.H. 2022. The Quest for a Universal Theory of Intelligence: The Mind, the Machine, and Singularity Hypotheses. Berlin: De Gruyter.

[7] [1]: Kessler, O. (Hg.). 2021. Liberalismus 2.0 – Wie neue Technologien der Freiheit Auftrieb verleihen. Zürich: Liberales Institut. [2]: Berg, C., Allen, D., & Davis, S. 2020. The New Technologies of Freedom. Great Barrington: American Institute for Economic Research.

[8] Hoffmann, C.H., & Dahlinger, A. 2019. How capitalism abolishes itself in the digital era in favour of robo-economic systems: socio-economic implications of decentralized autonomous self-owned businesses. Foresight, 22(1): 53–67.

[9] Posner, E.A., & Weyl, E.G. (2018). Radical Markets: Uprooting Capitalism and Democracy for a Just Society, Princeton: Princeton University Press.